16.05.2012, 16:37 Uhr

Mit ECM Geschäftsprozesse straffen

Enterprise Content Management ersetzt nicht nur das Papier, sondern krempelt auch die Geschäftsprozesse um. Unternehmen wie Mitarbeitende müssen sich gründlich darauf vorbereiten, wenn die Implemen­tierung zum Erfolg werden soll.
Enterprise Content Management ersetzt nicht nur das Papier, sondern krempelt auch die Geschäftsprozesse um. Das will vorbereitet werden.
Der Autor ist Redaktor bei unserer deutschen Schwesterpublikation Computerwoche, dort ist die ungekürzte Fassung dieses Beitrags («Die richtige Strategie für Content-Management») erschienen.
Ein Enterprise Content Management (ECM) nur wegen der besseren Dokumentenverwaltung einzuführen, ist bei Weitem zu kurz gegriffen. Wenn sich Unternehmen mit der Einführung eines ECM beschäftigen, sollten sie sich unbedingt auch mit ihren Prozessen auseinandersetzen, empfiehlt Martin Böhn, Senior Analyst beim Business Application Research Center (Barc). Denn die Abläufe rund um den Informationsfluss im Unternehmen reichen in aller Regel weit über die Abteilungsgrenzen hinaus. Die zentralen Fragen lauten in diesem Zusammenhang: Welche Dokumente werden wo und wann benötigt? Wer legt ein Dokument an welchem Ort ab? Wo tauchen Kopien eines Dokuments auf? Die Antworten darauf beschränken sich jedoch meist auf das persön­liche Arbeitsumfeld. Um ECM jedoch effizient einzusetzen, müssen die Verantwortlichen über die Abteilungsgrenzen hinausschauen, rät auch Wolfgang Hackenberg vom Steinbeis Transferzentrum, einem Beratungsunternehmen, das sich auf den Wissens- und Technologietransfer spezialisiert hat. Gerade in grösseren Firmen fehle dafür oft der Überblick. Wer jedoch nicht bereit ist, Prozesse anzupassen, kann auch nicht den vollen Nutzen aus einer ECM-Lösung ziehen, so die Experten. Vorhandene Abläufe lediglich elektronisch abzubilden, ist weder zielführend noch effizient, kommt aber in der Praxis trotzdem immer wieder vor. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Prozesse in Frage stellen

Prozesse in Frage stellen

Die Unternehmen sollten stattdessen ihren ECM-Bedarf möglichst genau ermitteln, aber auch kritisch hinterfragen. «Es ist keine Aneinanderreihung technischer Termini gefragt», warnt Hackenberg, «sondern eine klare allgemein verständliche, ausformulierte Beschreibung des erwarteten Nutzens.» Hielten sich die Beteiligten nicht an diese Spielregeln, komme nur eine Liste mit Schlagwörtern heraus, die viele Interpretationen zulasse. Dabei besteht die Gefahr, dass vordergründig zwar ein Konsens erzielt wird, letzten Endes aber doch jeder etwas anderes unter den Begriffen versteht. Die Bedarfsliste darf jedoch nicht ungeprüft in das Projekt einfliessen: «Hier muss man filtern, ob der Aufwand in einem sinnvollen Verhältnis zum Nutzen steht», empfiehlt Bernhard Zöller von der Unternehmensberatung Zöller & Partner. Ein neuer Ordner pro Quartal sei manchmal effi­zienter als die elektronische Ablage, meint er. Am Ende dieser Phase steht ein Konzept, das die fachlich-funktionalen und technisch-architektonischen Anforderungen beschreibt. Dabei sollten die IT-Verantwortlichen über die eigene Infrastruktur hinausdenken, auch das Auslagern in die Cloud ist zum Beispiel eine Prüfung wert.Geht es an die Auswahl einer konkreten Lösung, muss neben den Funktionen und der Technik auch die Integration in die bestehende Systemlandschaft im Auge behalten werden. Häufig machen die Projektleiter dabei den Fehler, sich nur auf dokumentenlastige Prozesse zu konzentrieren. Für durchgängige Abläufe müssen jedoch auch CRM, ERP, Office, die vorhandenen Schnittstellen sowie Internet und Onlinedienste einbezogen werden. Vor allem soziale Netzwerke weichen die Unternehmensgrenzen zunehmend auf. Darüber hinaus ist auf eine hohe Bedienerfreundlichkeit und Ergonomie des ECM-Systems zu achten, um die Akzeptanz der ECM-Lösung bei den Nutzern sicherzustellen – ein nicht zu unterschätzender Faktor. Letzten Endes bringt die beste Software nichts, wenn die Anwender nicht bereit sind, damit zu arbeiten. Idealerweise sollten die Nutzer gar nicht merken, dass sie Daten in ein ECM eingeben oder Informationen daraus ziehen. Die Lösung muss deshalb nahtlos in die Business-Prozesse integriert sein. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Widerstände abbauen

Widerstände abbauen

Da mit dem ECM-Vorhaben meist auch die Reorganisation von Prozessen einhergeht und damit die Arbeit in den Fachabteilungen neu zu organisieren ist, sollten alle Beteiligten möglichst frühzeitig an Bord geholt werden. Neben der IT müssen auch der Fachbereich und vor allem die Geschäftsführung hinter dem Projekt stehen. Dieser Rückhalt ist wichtig, um mögliche Widerstände abzubauen. Denn die Anwender müssen sich im Zuge einer ECM-Implementierung von gewohnten Abläufen verabschieden. Dazu kommt, dass Dokumente nicht mehr in Papierform, sondern nur noch elektronisch vorliegen. Hier ist mit Befürchtungen der Nutzer zu rechnen, dass wichtige Unterlagen verloren gehen könnten. Darüber hinaus müssen die Bedenken der Anwender wegen vermeidlicher Mehrarbeit durch das neue System ausgeräumt werden. Barc-Spezialist Böhn empfiehlt, ein ECM-Vorhaben nicht auf einen Schlag im gesamten Unternehmen umzusetzen: «Das überfordert sowohl die Mitarbeiter als auch das Projektteam, da nicht nur die Bedienung der Software, sondern auch die Umstellung der Arbeitsweisen zu erlernen ist.» Die Verantwortlichen suchen sich am besten eine Pilot-Abteilung, die grossen Bedarf an einer ECM-Unterstützung hat und deren Mitarbeiter offen für neue Ideen sind. Nach ersten Erfolgen kann das System dann schrittweise in anderen Abteilungen ausgerollt und gleichzeitig der Funktionsumfang sukzessive ausgebaut werden. Um die Mitarbeiter bei der Stange zu halten, müssen die Unternehmen die richtige Balance finden, rät Böhn: «Nicht zu viel wollen, sonst scheitert man an der Komplexität, und nicht zu wenig, sonst bleibt der Nutzen unklar. In beiden Fällen hat man die Mitarbeiter gegen sich.» Lesen Sie auf der nächsten Seite: Jenseits der Kostenvorteile + Fazit

Jenseits der Kostenvorteile

Laut einer Umfrage des Branchenverbands Association for Information and Image Management (AIIM) ist die Aussicht auf Kosteneinsparungen der Haupttreiber für Investitionen in ECM. Dieser einseitige Blick auf Kosten und Return on Investment (ROI) ist jedoch wenig hilfreich, denn eine effizientere Prozessunterstützung oder eine verbesserte Kundenzufriedenheit lässt sich quantitativ kaum erfassen. Die qualitativen Aspekte haben viele Unternehmen jedoch gar nicht im Blick. Während Mitarbeiter und Kunden von überarbeiteten Prozessen profitieren und sich über mehr Qualität freuen, registriert die Geschäftsleitung oft nur die Zusatzkosten, schildert Spezialist Hackenberg eine häufige Diskrepanz. Gerade im Mittelstand gelte es an dieser Stelle, Vorbehalte aus dem Weg zu räumen. Der Nutzen von ECM setzt sich aus einer Mischung von Kostenreduktion, Qualitätsgewinn und Prozessbeschleunigung zusammen. Auch aus Sicht von Barc-Analyst Martin Böhn besteht der wesentliche Nutzen von ECM-Systemen darin, sowohl Effizienz als auch Effektivität zu steigern. Da Informationen dort zentral vorliegen, können Angestellte schneller darauf zugreifen, was wiederum die Mitarbeiter­zufriedenheit erhöht. Aus­serdem können sich Unternehmen so besser auf das Kerngeschäft fokussieren, da unnötige Tätig­keiten entfallen. Böhn verweist auch auf direkte Einsparungen bei Papier und Porto. Nicht zu vernachlässigen sind auch die höhere Datensicherheit und damit das Erfüllen von Compliance-Vorschriften.

Fazit: Der Bedarf steigt

Der Bedarf an ECM-Systemen wird sich mit den jüngeren Generationen, die mit digitalen Medien aufgewachsen sind, weiter erhöhen. Schon heute werden die meisten Inhalte elektronisch erzeugt. Damit wird sich auch die Demateria­lisierung von Abläufen in Zukunft weiter beschleunigen. Das oft beschworene papierlose Büro werde jedoch Fiktion bleiben, prognostizieren die Experten einhellig. Allerdings arbeiteten die Hersteller daran, die materielle mit der digitalen Welt zu verbinden – zum Beispiel durch RFID-Chips in Dokumenten. Dann lassen sich papiergestützte und elektronische Prozesse verknüpfen.


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