Best Practice 31.08.2020, 08:50 Uhr

Robo Advisory auf den Punkt gebracht

Robo Advisory wird heute primär in der Vermögensverwaltung eingesetzt. Die Technologie dahinter ist weniger Magie als vielmehr ausgeklügelte Software. Sie birgt viel Potenzial auch für weitere Anwendungsfälle.
(Quelle: Shutterstock/AleksSafronov)
Erfolgreiche Unternehmen müssen in der Lage sein, schneller und intelligenter als der Wettbewerb zu agieren. Robo Advisors sind ein probates Mittel. Sie haben sich bisher primär in der Finanzbranche etabliert. Allerdings sind Herr und Frau Schweizer in der Nutzung der digitalen Vermögensverwaltung noch zögerlich unterwegs. Insbesondere bei der digitalen Geldanlage haben die Menschen möglicherweise noch Angst, ihre Gelder fernab des sicheren Sparbuchs anzulegen. Dennoch beginnen sich moderne Angebote rasant zu verbreiten.
Rein technologisch gesehen, handelt es sich bei den Robo Advisors um eine regelbasierte Automatisierung, die es Unternehmen ermöglicht, menschliches Know-how und maschinelles Lernen so zu kombinieren, dass Unternehmensprozesse deutlich schneller, weniger fehleranfällig und automatisiert ablaufen. Der Mensch wird hierbei nicht ersetzt, sondern vielmehr von repetitiven Routinearbeiten erlöst. Gleichzeitig entstehen neue Rollen und die Kreativität der Mitarbeiter wird für die Steuerung und Weiterentwicklung des Automatisierungsprozesses eingesetzt. Ziel ist, kontinuierlich einen Mehrwert für den Kunden zu schaffen – und dies schnell. Geschwindigkeit erfordert Fokus auf eine konkrete Problemstellung.

Skalierbar dank Automatisierung

Viele der heutigen Robo Advisors aus der Finanzbranche werden zur Empfehlung verschiedener Anlagestrategien eingesetzt. Kunden können jederzeit kostengünstig, online und transparent ihr Anlagevermögen verwalten. Individueller Risikoappetit, verschiedene Umsetzungen beim Anlagestil – zum Beispiel eine nachhaltige Umsetzung – und eine breite Diversifikation sind nur ein Teil des Pakets. Die gewählte Zielstrategie wird dann in regelmässigen Zeitabständen und automatisch mittels des sogenannten Re-Balancings umgesetzt. Hierbei handelt es sich um eine reine Automatisierung der Portfolio-Umschichtung, die nach fixen Regeln funktioniert. Eine klassische Routineaufgabe, welche die Maschine um Grössenordnungen schneller als ein Mensch erledigen kann, und das mit einer Fehlerrate, die nahe an null grenzt. Also keine Spur von künstlicher Intelligenz oder Robotern, die am Werk sind – alles in allem nicht viel Zauberei. Aber genau hier liegt viel Potenzial. Dank Technologie kann die Dienstleistung der Vermögensverwaltung einer viel breiteren Masse von potenziellen Kunden zugänglich gemacht und Einstiegshürden reduziert werden.
“Durch intelligente Prozessautomation kann ein Produkt günstiger angeboten werden – ohne Margenverzicht„
Daniel Peter, Viac
Welche Möglichkeiten hatte ein Kunde, bevor es diese digitale Beratung gab? Im Wesentlichen drei: nichts machen, selbst machen oder vom Wealth Manager machen lassen. Wenn nichts tun keine valable Option ist, bleibt, sich selbst darum zu kümmern, was sehr zeitintensiv ist und zu Anlagefehlern führen kann. Die Beratung durch einen Experten ist nicht unabhängig, bringt erhebliche Kosten mit sich und erfordert oftmals ein Mindestanlagevolumen, sodass dies effektiv nur wenigen zur Verfügung steht. Eine solche Dienstleistung kann folglich dem Luxussegment zugeordnet werden. Der Robo Advisor automatisiert genau diese Dienstleistung, macht sie einfach zugänglich und somit massentauglich. Dank der Verwendung von regelbasierten Anlage-Algorithmen kann ein Robo Advisor auf eine sehr effiziente Weise arbeiten. Kosten für teure Filialräumlichkeiten und Beratung durch Wealth Manager fallen komplett weg. Auch die Bank kann profitieren: Kann ein Kundenberater allein nur ca. 100 bis 150 vermögende Kunden betreuen, sind einem hochgradig automatisierten System bei der Anzahl Kunden nahezu keine Grenzen gesetzt. Durch die Automatisierung und dadurch, dass sich die Schnittstelle zum Kundenberater auf qualitativ hochwertige Beratung über Chat oder Telefon reduziert, steigt die durchschnittliche Servicequalität. Die Folge sind deutlich tiefere Kosten für eine qualitativ bessere Dienstleistung mit fast uneingeschränktem Potenzial an Neukunden.

Digitale Beratung schafft Vertrauen

Die Automatisierung einer Dienstleistung kann Prozesse optimieren, Kosten senken und hat auch Potenzial, neue Wirtschaftszweige zu eröffnen. Nehmen wir ein Beispiel aus dem Versicherungswesen. Den eigenen Versicherungsbedarf objektiv zu ermitteln, ist zeitintensiv und fällt vielen Kunden schwer. Vor allem in der Schweiz, das als Versicherungsland gilt: Schweizer gelten oft als überversichert und schliessen viele Versicherungen ab – oft auch solche, die sie gar nicht brauchen. Selbst wenn der Bedarf ermittelt ist, ist es aufwendig, ein Portfolio von Versicherungen zu finden, das einerseits den Bedarf optimal abdeckt und andererseits keine Überschneidungen hat. Ist eine Versicherung erst einmal abgeschlossen, ist die Hürde hoch, sie wieder loszuwerden. Die Gründe sind vielfältig. Zum einen ist die Auseinandersetzung mit dem aktuellen Versicherungsbedarf mühsam und bereitet den wenigsten Freude, zum anderen sind die Kündigungsbedingungen meist sehr unflexibel. Ein System, das regelmässig und automatisch dabei unterstützt, den Versicherungsschutz dem Bedarf anzupassen, wäre eine echte Erleichterung für den Endkunden.
Es gibt bereits digitale All-in-One-Versicherungslösungen, die mit ersten Ansätzen künstlicher Intelligenz den individuellen Versicherungsbedarf ermitteln und daraus ein Versicherungsportfolio zusammenstellen, das sich per Knopfdruck abschliessen lässt. Spannend wäre aber auch der nächste Schritt, nämlich wenn das System intelligent Änderungen des Versicherungsbedarfs erkennen und automatisch Vorschläge für die Anpassung des Versicherungsschutzes machen würde. Hält sich der Benutzer zum Beispiel häufig mit dem Auto im Ausland auf, könnte das System einen zusätzlichen oder gar nur temporären Versicherungsschutz vorschlagen. Umgekehrt könnte das System vorschlagen, die Vollkaskoversicherung zu entfernen, wenn das Auto ein bestimmtes Alter überschritten hat oder zu wenig im Gebrauch ist. Das Ziel solcher Systeme ist, dass jeder Kunde zu jeder Zeit ein individuell massgeschneidertes Produkt hat, das im Hintergrund aber wiederum auf standardisierten Produkten basiert. Kunden sollen sich um nichts mehr kümmern müssen, das System denkt objektiv mit. Und zwar ohne persönliche Anreize, wie sie zum Beispiel ein Versicherungsverkäufer hat. Somit erreicht man nicht nur Skalierbarkeit von Dienstleistungen, sondern stärkt auch das Vertrauen beim Endkunden. Erfolg hat, wer es schafft, ein Produkt bereitzustellen, das für individuelle Bedürfnisse optimiert, schnell, jederzeit verfügbar und intelligenter als bei den Mitbewerbern funktioniert. Kombiniert mit qualitativ hochwertigem Support über Chat oder Telefon, wird ein vertriebsnahes Kundenerlebnis geschaffen.

Vom Berater zum Assistenten

Ein digitaler Berater ist im Prinzip vielerorts einsetzbar. Ein Beispiel einer ganz alltäglichen Frage: Was soll auf den Menüplan diese Woche? Was hatten wir letzte Woche gegessen und an welchen Tagen isst unsere Tochter, die sich vegan ernährt und eine Glutenallergie hat, zu Hause? Beim Treffen dieser Entscheidungen könnte ein digitaler Berater helfen, indem er noch weiss, was letzte Woche auf dem Menüplan stand, welche Präferenzen und Allergien die Familienmitglieder haben, indem er den Stundenplan der Tochter aus dem Kalender abrufen kann und so weiter. Je mehr Informationen einbezogen werden können, desto grösser ist der Mehrwert des Systems. Spielt beispielsweise das Budget eine wichtige Rolle, könnte das System die aktuellen Aktionen aller Anbieter miteinbeziehen und eine Einkaufsliste für die verschiedenen Shops erstellen oder gleich automatisch bestellen. Die Bezahlung würde natürlich mit dem jeweils günstigsten Zahlungsmittel erfolgen, das die meisten Cashback-Punkte gibt.
“Die Balance zwischen digitaler und persönlicher Beratung schafft ein einzigartiges Kundenerlebnis„
Matthias Leumann, Ergon Informatik
Das Zusammenführen von digitalen Beratern aus verschiedensten Bereichen erhöht das Potenzial für die Qualität der Dienstleistung nochmals und führt schliesslich zum digitalen Assistenten, der automatisch Vorschläge macht und gewisse Entscheidungen sogar selbst trifft.

Balance zwischen digital und persönlich

Die Automatisierung von Dienstleistungen und die damit verbundene Skalierbarkeit schafft für Unternehmen die Chance, durch konsequente Standardisierung und geringeren Personalaufwand, ihre Marge zu steigern und gleichzeitig die Qualität zu verbessern. Das heisst effizienter und günstiger für den Kunden und trotzdem mehr Marge für das Unternehmen. Das Resultat ist ein Preiskampf. Wer also stehen bleibt, dem droht künftig der Verlust von Marktanteilen und des Kundenvertrauens. Wie die digitalen Berater und Assistenten zeigen, geht die Entwicklung klar in Richtung immer digitaler. Irgendwann wird es aber auch einen Gegentrend geben, bis sich eine Balance zwischen digitaler und persönlicher Beratung eingestellt hat. Wichtig für Unternehmen ist, sich bewusst für eine Strategie zu entscheiden und diese umzusetzen. Wer nichts macht, wird früher oder später nicht mehr konkurrenzfähig sein.
Der Autor
Daniel Peter
Viac
Daniel Peter ist CEO und Mitgründer des Start-ups Viac, der digitalen Freizügigkeitslösung und Vorsorge-App für die Säule 3a. www.viac.ch
 
Der Autor
Matthias Leumann
Ergon
Matthias Leumann ist Senior Software Engineer und Team Lead Finance & Telco Solutions bei Ergon Informatik. www.ergon.ch


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