Organisatorische IT-Maturität 26.02.2018, 14:35 Uhr

Nerds führen besser

Alle Top-Level-Manager sollten die IT verstehen, denn der Nutzen der IT für ihr Unternehmen hängt wesentlich von ihrer IT-Kompetenz ab. Die Digitalisierung erhöht sogar die Vielfalt des nötigen IT-Wissens in der Chefetage.
(Quelle: Unsplash)
Technik ist nie das Problem! Wie oft haben wir diesen Satz schon gehört. So naiv er ist, so weist er doch auf eine wichtige Erkenntnis hin: IT allein ist (fast) nie die Lösung. Es braucht zusätzlich das Wissen, wie man die Technik erfolgreich nutzt. Und es braucht in Unternehmen dafür die passenden Strukturen, Prozesse, Kultur und innovative Geschäftsideen sowie Betriebsmodelle. Deshalb sollten alle Mitglieder der Geschäftsleitung die IT im Unternehmen verstehen und zu ihrer erfrolgreichen Nutzung beitragen.
Im digitalen Wandel sind IT-affine CEOs ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Umgekehrt gilt: Am IT-Wissensmangel des CEOs sind schon viele besonders ambitionierte CTOs und CIOs gescheitert. In Unternehmen, in denen die Mitglieder der Geschäftsleitung nichts von IT verstehen, gibt es unüberwindbare Grenzen für die Wertgenerierung durch die IT. Das heisst, je weniger Führungskräfte auf der Business-Seite etwas von IT verstehen, desto weniger Nutzen kann die IT dem Unternehmen bringen. Drei wichtige Führungsaufgaben von CEOs sind deshalb, ein Verständnis für IT zu erwerben, die IT-Weiterbildung der Führungskräfte zu fördern und eine Strate- gie für die organisatorische IT-Maturität mit den weiteren Mitgliedern der Geschäftsleitung zu entwickeln und umzusetzen.
Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Sie kommen aus der Forschung zu erfolgreicher Praxis und gelten seit etwa zehn Jahren unter Insidern als «Common Sense». Und sie werden immer wichtiger, denn der Fortschritt in der IT hat zwar in den letzten Jahren einige Aufgaben des IT-Managements vereinfacht, dafür aber die Bedeutung des IT-Wissens für C-Level-Manager erhöht.
Zum Autor
Prof. Dr. Reinhard Riedl
hat in reiner Mathematik promoviert und zu Fragen der IT, Ökonomie und Rechtswissenschaften geforscht. Riedl leitet das transdisziplinäre Forschungszentrum «Digital Society» an der Berner Fachhochschule. Seit 2015 ist Riedl Präsident der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik Bern.

Vorsicht, Coffin Corner

Je höher die organisatorische IT-Maturität ist, die ein Unternehmen anstrebt, desto höher in der Hierarchie müssen die IT-Entscheidungen gefällt werden. Bei sehr hoher IT- Maturität müssen sogar externe Partner mit in die IT-Entscheidungen einbezogen werden. Entwickelt ein Unternehmen seine organisa­- to­rische IT-Maturität, so sollte es schrittweise vorgehen und beispielsweise vor dem Integrieren der Silos zuerst die Silos jeweils für sich op­timieren. Die Unternehmensverantwortlichen sollten sich dabei bewusst sein, dass sich mit jedem Entwicklungsschritt die prioritären Ziele ändern. Ebenso wandeln sich die kritischen Erfolgsfaktoren, die Aufgaben und die relevanten Messwerte. So führt etwa die Erhöhung der organisatorischen IT-Maturität zuerst zu Kostensenkungen in der Technik, weil grobe Missstände abgestellt und Standardtechnologien eingeführt werden. Für eine weitere Erhöhung der IT-Maturität muss aber die Software-Qualität gesteigert werden, was die IT-Kosten wieder steigen lässt, dafür aber auch die geschäftliche Agilität erhöht. Wer dagegen nur IT-Alignment praktiziert, sich also nur auf die alltägliche Abstimmung zwischen Fachabteilung und IT konzentriert, der führt das Verhältnis von organisatorischer IT-Maturität und Wert­generierung durch IT in den sogenannten «Coffin Corner». Solche Entscheider reduzieren die technische Agilität und schaffen dadurch grosse operative Risiken für das Unternehmen.
Die digitale Transformation der Wirtschaft hat die Vielfalt der IT-Bedürfnisse weiter erhöht. Viele Unternehmen müssen daher die organisatorische IT-Maturität er­höhen, um ihre geschäftliche Flexibilität zu steigern oder ein attraktiverer Arbeitgeber für kreative junge Mitarbeiter zu werden. In anderen Firmen muss die Geschäftsleitung kritische Designentscheidungen für die IT-Nutzung treffen, um extreme Betriebsmodelle praktizieren zu können oder um etwa künstliche Intelligenz erfolgreich einzusetzen. In wieder anderen Organisationen muss die Geschäftsleitung sogar Mathematikwissen besitzen, um die Datenbewirtschaftung zu organisieren und Big Data produktiv einzusetzen. Natürlich gibt es auch Unternehmen – sogar solche mit disruptiven Geschäftsmodellen –, in denen IT eine geringe Rolle spielt. Das kann sich aber innerhalb weniger Monate ändern, und dann blockieren fehlende IT-Kenntnisse an der Spitze den Wandel, ähnlich wie früher fehlende Englischkenntnisse des CEOs oft die Ursache dafür waren, dass Unternehmen sich nicht internationalisierten.
Definition
Organisatorische IT-Maturität
Die organisatorische IT-Maturität beschreibt den Reifegrad, den ein Unternehmen in Bezug auf die Nutzung der IT zur Wertgenerierung erreicht hat. Die höchste ­Stufe der organisatorischen IT-Maturität wird oft als «Dynamic Venturing» bezeichnet. Sie ist erreicht, wenn die IT die geschäftliche Agilität optimal unterstützt. Das verlangt, dass einfach konfigurierbare Plug&Play-Business-Module vorhanden sind und kurzfristig die eigene IT mit der IT von Partnerunternehmen so verknüpft werden kann, dass problemlos organisationsübergreifend Geschäftsprozesse ausgeführt werden können. Voraussetzung dafür ist, dass die Geschäftsleitung die technischen Entwicklungen antizipiert und Partner in strategische IT-Entscheide mit einbezieht.

Was wirklich zählt

Derzeit ist die Zahl von Führungskräften mit vertieften IT-Kenntnissen noch immer klein. Viele halten IT für ein Nicht-Thema oder blockieren sogar aktiv IT-basierte Innovationen. Das liegt auch daran, dass das IT-Wissen oft nicht intuitiv erfassbar erscheint und auf komplexen Zusammenhängen beruht. So verstehen etwa viele nicht, dass Software ganz schlecht altert. Auch viele Ingenieure ohne spezielle Informatikausbildung begreifen nicht immer, wie die IT tickt. Sogar viele jener Führungskräfte die früher einmal gut programmieren konnten, tun sich schwer mit der strategischen IT-Führung, da sie IT aus der Perspektive des Programmierers betrachten oder gar aus der Perspektive des Amateurs, der Designprinzipien gern ignoriert und Anti-Patterns – also möglichst ungünstige Lösungsansätze – mit Überzeugung verfolgt und praktiziert.
“Viele halten IT für kein Thema oder blockieren sogar aktiv IT-basierte Innova­tionen„
Reinhard Riedl
Die Mitglieder der Geschäftsleitung müssen nicht programmieren können. Sie benötigen aber einen Teil des Systemverständnisses, das wirklich hervorragende professionelle Programmierer besitzen. Und sie müssen dieses Systemverständnis in den betriebswirtschaftlichen Kontext übersetzen und die Entwicklung der organisatorischen IT-Maturität führen. Das relevante Wissen dafür kommt aus der IT-Praxis, das Know-how dagegen ist ein Führungs­wissen aus der Managementpraxis.
Wichtiger als Detailwissen mit schnellem Verfalls­datum sind jedoch die richtigen Fragen. Denn es geht «nur» darum, strategische Entscheidungen zu treffen und ihre Umsetzung zu steuern. Dafür sollte man die wichtigsten technischen Prinzipien sehr gut kennen und sie mit anthropologischen, systemischen und ökonomischen Per­spektiven verbinden. Die Herausforderung liegt darin, dass man mit abstrakten Modellen und Analogien arbeitet, die auf einen konkreten Praxiskontext angewandt werden müssen. Richtige und falsche Schlüsse sind dabei schwer zu unterscheiden. Noch schwieriger ist es, anderen ihre Denkfehler zu erklären. Trotzdem sollten strategische Entscheidungen von der Geschäftsleitung gemeinsam er­arbeitet werden. Dafür braucht es keine exzellente Spe­zialisierung. Gefragt sind vielmehr gute Fähigkeiten in allen genannten Aspekten, insbesondere die Fähigkeit, das Wissen von Spezialisten aus ganz unterschiedlichen Bereichen aufzunehmen und in Strategieentscheidungen einfliessen zu lassen.

Der Teufel tritt als gefälliger Experte auf

In der Praxis ist die häufigste Herausforderung, dem Teufel in Gestalt von Experten zu entsagen, die wohlgefällige Thesen verbreiten. «Jeder Franken, der in IT investiert wird, muss sich lohnen!» oder «IT-Investitionen machen nur Sinn, wenn sie Geschäftsnutzen erzeugen!» Andere Experten sprechen dagegen gern über Werte, Ideale und die Bedeutungslosigkeit technischer Aspekte. Gemeinsam ist ihnen, dass sie eine Art «Filter-Bubble» unter Nichtexperten erzeugen, da sie die angenehme Botschaft verbreiten, dass man nichts dazulernen muss. Das Gegenteil ist wahr!
Reifestadien einer Unternehmensorganisation
Business-Silos Standardisierte Technologie Optimierter Kern Business-Modularität Dynamische Unternehmungen
IT-Fähigkeit Lokale Applikationen Geteilte technologische Plattformen Unternehmensweit standardisierte Prozesse oder Datenbanken Plug&Play-Module für Geschäftsprozesse Nahtlose Zusammenarbeit mit Systemen von Partnern
Geschäftsziele ROI lokal angesiedelter Initiativen im Business Reduzierte IT-Kosten Kosten und Qualität des Geschäftsbetriebs Speed to Market; strategische Agilität ROI neuer geschäftlicher Vorhaben
Top-Fähigkeiten des Managements Technology enabled change management Design and update of standards; funding shared services Core enterprise process definition and measurement Management wieder verwendbarer Geschäftsprozesse Kreation in sich geschlossener Geschäftsprozesse
Wer Applikationen definiert Lokaler Leiter Business Leiter IT und Leiter Business Senior-Management und Prozess-Leiter Führungskräfte in den Bereichen IT, Business und Industrie Führungskräfte in den Bereichen IT, Business und Industrie
Die grössten Probleme der IT-Governance Werte messen und kommunizieren Verantworung etablieren auf lokaler, regionaler und globaler Ebene Überlagerung von Projektprioritäten mit den Zielen der Architektur der Organisation Definieren, unterstützen und finanzieren von Business-Modulen Joint-Venture Governance
Strategische Implikationen Lokale/funktionale Optimierung IT-Effizienz Business/operationale Effizienz Strategische Agilität Organische Umgestaltung
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(Quelle: http://evolute.be/reviews/eastrategy.html )



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