05.05.2006, 14:39 Uhr

«Wir wollen einen sanften Übergang»

Seit dem ersten Mai letzten Jahres führt Lenovo ohne grosses Aufsehen das ehemalige PC-Geschäft von IBM weiter. Patrick Roettger, Chef von Lenovo Schweiz, zum zurückgelegten und kommenden Weg der PC-Herstellerin.
Genau vor einem Jahr übernahm Lenovo offiziell das weltweite PC-Geschäft von IBM. Seit August 2005 laufen Thinkpad-Notebooks und Thinkcentre-PC in der Schweiz unter der Ägide von Lenovo. Geschäftsführer ist Patrick Roettger, der zuvor die PC-Division von IBM leitete.
COMPUTERWORLD: Wie haben Sie das erste Jahr Lenovo erlebt?
PATRICK ROETTGER: Das Jahr war wahrscheinlich das spannendste meiner Karriere. Es kommt nicht oft vor, dass man ein neues Unternehmen gründet und gleich über ein solches Produktportfolio verfügt und eine so grosse Zahl an Mitarbeitern und Kunden. Wir waren quasi schneller von Null auf Hundert als ein Porsche. Eine solche Chance ist wahrscheinlich einmalig. Damit ist auch meine Verantwortung gestiegen. Bei IBM war man sozusagen geschützt vor der Aussenwelt, weil immer noch jemand über einem die Verantwortung trug. Das ist jetzt bei Lenovo nicht mehr der Fall.
CW: Was hat sich für Sie gegenüber früher verändert?
ROETTGER: Nach aussen haben wir versucht, den Wechsel so sanft wie möglich anzugehen. Die Kunden und Partner sollten eigentlich gar keine Veränderung spüren. Ein «Big Bang» hätte keinen Sinn ergeben. Intern hat sich natürlich einiges verändert. Ich nehme als Beispiel meine Post: Wenn früher eine Steuerrechnung eintraf, ist sie bei der verantwortlichen Person von IBM gelandet. Heute bin ich als Geschäftsführer von Lenovo Schweiz dafür zuständig. Von den internen Abläufen her haben sich teils massive Veränderungen ergeben. In einigen Prozessen haben wir uns sehr schnell von IBM abgekoppelt, weil man eine Firma wie Lenovo anders führen muss. Hier haben wir einiges verändert - zum Glück. Dadurch können wir schneller reagieren und auch kosteneffizienter arbeiten.
CW: Nach aussen, also bei der Zusammenarbeit mit Kunden und Businesspartnern, hat sich aber nichts geändert?
ROETTGER: Das ist genau gleich geblieben, auch rechtlich hat sich kaum etwas verändert. Was das Tagesgeschäft angeht: Da meine Verkäufer und Techniker ja mitgekommen sind, haben sich die Schnittstellen nach aussen nicht verändert. Und die Partner wie auch die Produkte sind dieselben geblieben, jedenfalls bis vor kurzem, als wir unser Portfolio erweitert haben.
CW: Wo steht Lenovo heute?
ROETTGER: Bei der Ankündigung im Dezember 2004 haben wir auch unseren Dreiphasen-Plan vorgestellt. In der ersten Phase des Übergangs sollte sich so wenig wie möglich ändern, Kontinuität war angesagt. Die zweite Phase war und ist der Moment der Konsolidierung, und in der dritten Phase streben wir Wachstum an. Die erste Phase haben wir vor einigen Monaten abgeschlossen. Wir sind jetzt im Moment der Konsolidierung. Damit ist hauptsächlich gemeint, die Vorteile einer historischen Lenovo auszunutzen. Vor allem im Supply-Chain-Bereich hat Lenovo in China sehr gut funktionierende Prozesse, das ist absolut beeindruckend. Diese Abläufe wollen wir natürlich so schnell wie möglich in die internationale Lenovo integrieren. Daran arbeiten wir derzeit. Die Phase des Wachstums hat eigentlich auch schon begonnen. Sie wurde eingeläutet mit der Ankündigung der Lenovo-3000-Reihe für Firmen ab einer Person an aufwärts bis zum mittelgrossen KMU.
CW: Hat sich bei der Herstellung der Notebooks überhaupt etwas geändert? Die IBM-Thinkpads wurden ja schon früher in der gleichen Fabrik produziert.
ROETTGER: Nein, nichts. Es sind immer noch die gleichen Werke, die gleichen Leute und dieselben Entwicklungsteams. Auch die Strategie ist gleich geblieben, nämlich, dass wir lieber selber produzieren anstatt produzieren zu lassen. Ich denke, dass dies definitiv die richtige Strategie für uns ist. Man hat damit die Fabrikation besser unter Kontrolle, und das wird auch in Zukunft so sein.
CW: Die IBM-Thinkpads waren wegen ihrer Zuverlässigkeit geschätzt. Es gibt Stimmen, die wegen des Wechsels zu Lenovo einen Qualitätsabbau befürchten.
ROETTGER: Es gab tatsächlich Befürchtungen bei den Kunden, dass Zuverlässigkeit und auch Innovation leiden könnten. Thinkpads gehörten immer zu den innovativsten Notebooks auf dem Markt, und in diesem Bereich konnten wir die Befürchtungen der Kunden zerstreuen. Die jüngsten Modelle sind nochmals Meilensteine in der Thinkpad-Entwicklung, was Akkulaufzeit, Ergonomie und Datensicherheit angeht. Und mit dem so genannten Rolling-Cage, einer Art Schutzkäfig für das Motherboard, haben wir kürzlich eine Innovation eingeführt, die von Lenovo selber entwickelt wurde. Damit haben wir gezeigt, dass wir gute Thinkpads bauen können und nicht vorhaben, die Qualität zu senken. Lenovo hat nicht über eine Milliarde Dollar für das PC-Geschäft von IBM bezahlt, um das Ding den Bach runtergehen zu lassen.



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