Kommentar zur Google-Kritik 22.12.2015, 13:33 Uhr

Zuwanderungsprobleme lassen sich nicht wegdiskutieren

Ein Google-Topshot kritisiert den Standort Zürich. Auch wenn Google Schweiz die Aussagen nicht als Unternehmensmeinung verstanden haben will: Unrecht hat er nicht. Und der Bundesrat verschlimmert die Lage noch.
Dass Google-Topshot Julien Borel den Standort Schweiz kritisiert, muss aufhorchen lassen. Google gehört mit seinen 1600 Mitarbeitern zu den grösseren Arbeitgebern in Zürich. Wichtiger als die wirtschaftlichen Faktoren ist aber die Strahlkraft des Konzerns. Der Suchmaschinist sorgt dafür, dass die Schweiz international als ICT-Hochburg angesehen wird. Zwar haben diverse internationale IT-Firmen Ableger in der Schweiz, von Microsoft über IBM, Huawei oder Cisco. Doch ausser IBM mit dem Forschungslabor Rüschlikon bekennt sich keine von ihnen derart stark zur Schweiz. Google weiss, was es an der Schweiz hat und umgekehrt. Die Zelte hier werden deshalb so rasch nicht abgebrochen werden und auch die Bedeutung des Standorts wird erhalten bleiben. Dennoch hat Borel mit seinen Aussagen teilweise recht. Firmen, die Talente in die Schweiz locken wollen, stehen vor einem Problem. Trotz ETH gibt es zu wenig Nachwuchs in der Branche und nicht alle arbeitslosen Informatiker eignen sich für Jobs, wie sie Google, IBM, aber auch Schweizer Firmen wie Zühlke oder Ergon anbieten. Firmen, die ICT-Fachkräfte suchen, greifen heute deshalb besonders oft auf ausländische Fachkräfte zurück. 2000 von gesamthaft 8000 Aufenthaltsbewilligungen für Fachkräfte aus Drittstatten strich der Bundesrat allerdings vor rund einem Jahr. Über die Beschränkung von Drittstaatlern wolle man einen Anreiz für Schweizer Unternehmen setzen, das inländische Arbeitskräftepotenzial noch effektiver auszuschöpfen, sagte der Bundesrat damals. Behörden wie das Amt für Wirtschaft und Arbeit, das die Bewilligungen erteilt und deshalb von Borel auch kritisiert wurde, stellt dies vor Probleme. «Unser Kontingent war im Mai bereits aufgebraucht», sagte Bruno Sauter, Generaldirektor des AWA, zur Nordwestschweiz. Anträge gebe es jedoch zuhauf. Die Mitarbeiter bringe dies in eine äusserst unangenehme Lage. Sie müssten auswählen, welchem Unternehmen man die Bewilligung verwehre, wird Sauter zitiert.

Immer mehr wollen, immer weniger dürfen

Alleine in den letzten fünf Jahren sind gemss einer Studie 24 300 ICT-Fachkräfte in die Schweiz immigriert, die eine Beschäftigung im ICT-Umfeld fanden und sich noch immer in der Schweiz aufhalten. Das ist rund jeder achte ICT-Beschäftigte, was einem beinahe doppelt so hohen Migrantenanteil wie dem Schweizer Durchschnitt von 7 Prozent entspricht. 75 Prozent davon stammen zwar dem EU/ETFA-Raum und die sind damit nicht von den Kontingentkürzungen betroffen. Doch auch ICT-Fachkräfte aus diesen Regionen werden weniger in die Schweiz gelassen.
Denn der Bundesrat kürzte auch die Höchstzahlen für Dienstleistungserbringer aus EU/EFTA-Staaten mit einer Einsatzdauer von über 90 respektive 120 Tagen pro Jahr. Anstatt 3000 werden nur noch 2000 dieser Kurzaufenthaltsbewilligungen erteilt. Und die Aufenthaltsbewilligungen für Personen, die länger als 120 Tage in der Schweiz bleiben, werden um die Hälfte reduziert und betrugen im Jahr 2015 noch 250 Einheiten. Diese Höchstzahlen gelten für alle Dienstleistungserbringer, die sich nicht auf das Freizügigkeitsabkommen (FZA) oder das EFTA-Übereinkommen berufen können. 2016 sollen die Konti

MEI ja - aber wie?

Natürlich muss die Masseneinwanderungsinitiative umgesetzt werden, doch auf diese Art bringt sich der Bundesrat in ein Dilemma. Die Unternehmen werden deswegen nicht weniger ausländische Fachkräfte anstellen ? es gibt schlichtweg zu wenig inländisches Potenzial. Stattdessen haben sie bereits begonnen, andere Massnahmen zu ergreifen, um von der politischen Agenda nicht überrollt zu werden. Anstatt Mitarbeiter in die Schweiz zu locken, stellt man sie nun Herkunftsland ein, wo sie ausschliesslich für die Schweizer Niederlassung arbeiten. Einerseits können die Firmen dadurch sicherstellen, dass die Mitarbeiter über die nötigen Qualifikationen verfügen. Dabei geht es nicht nur um IT-Fertigkeiten, sondern beispielsweise auch Sprachkenntnisse, um die eigenen Systeme zu verstehen. Andererseits will man sich nicht der Politik ausliefern lassen müssen und in die Situation kommen, irgendwann aufgrund mangelnder Fachkräfte den Betrieb nicht mehr weiterführen zu können. Und dass die Fachkräfte, die auf anderen Kontinenten arbeiten günstiger sind wie diejenigen, die in der Schweiz arbeiten, ist auch ein nicht zu verachtender Vorteil. Aber einer, den man eigentlich nicht nutzen möchte, wie Computerworld erfuhr. Man sei durchaus bestrebt, die Arbeitsplätze in der Schweiz zu halten, sagten Verantwortliche auf unsere Nachfrage. Aber mit der derzeitigen Richtung, welche der Bundesrat eingeschlagen hat, werde einem das sehr schwer gemacht.
Trotzdem wäre es falsch, nur die Politik in die Pflicht zu nehmen. Die Wirtschaft muss sich stärker darum bemühen, die Probleme der Kontingentbeschränkungen zu vermitteln. Dazu müsste aufgrund der Betroffenheit an vorderster Front auch die ICT-Branche gehören. Doch wie meistens, wenn es um konkrete Forderungen geht, ist sie relativ still.



Das könnte Sie auch interessieren