28.04.2016, 17:06 Uhr

«Es kann nicht sein, dass Kantone derart starken Einfluss auf die Netzplanung nehmen»

Schlechter Mobilfunkempfang im Zug ist ein Ärgernis. Für die Bevölkerung und die Unternehmen. Rechtsanwalt Markus Schleutermann erklärt, wie und warum vor allem der Bund die Situation verbessern kann.
Computerworld: Doris Leuthard wirft SBB und Telkos vor, dass zu wenig getan werde, um die Empfangsqualität im Zug zu verbessern. Hat sie Recht?
Markus Schleutermann: Sagen wir es so: Mit der Kritik hat sie sich keinen Gefallen getan.
Warum?
Weil damit auch ihr Departement in den Fokus rückt, das bisher in dieser Sache nichts unternommen hat.
Wie meinen Sie das? Die Unternehmen müssen die Netze aufbauen und Repeater einbauen, nicht das UVEK.
Der Bund muss die gesetzlichen Grundlagen schaffen, damit in der Schweiz der Aufbau drahtloser Fernmeldenetze mit vernünftigem Aufwand möglich bleibt. Unter anderem dafür zahlen die Telekomfirmen Millionen von Franken an Konzessionsgebühren. Im Gegenzug muss der Bund dafür sorgen, dass der Netzausbau ohne übermässige Einmischung von Kantonen oder Gemeinden stattfinden kann.
Warum sollten Kantone und Gemeinden den Bau von Antennen nicht verbieten dürfen? Am Ende sind es die Anwohner, die unter den Bauten leiden.
Radiofrequenzen sind eine begrenzte Ressource. Das macht eine nationale Koordination der Netze nötig, auch in Bezug auf die Antennen. Würden im Bereich der Elektrizitätsversorgung die gleichen, chaotischen Verhältnisse wie bei den Antennenvorschriften herrschen, so hätten wir heute noch in jeder Gemeinde eine andere Netzspannung und Netzfrequenz und Überlandleitungen könnten überhaupt nicht gebaut werden. Die unsinnigen und willkürlichen Antennenverbote der Gemeinden betreffen nicht nur die Handy-Netze, sondern alle andern Funkdienste, die auf Antennen angewiesen sind. Dazu kommt, dass das Verbot insbesondere von privaten Antennen einen massiven Eingriff in die verfassungsmässig garantierte Informationsfreiheit bedeutet. Gerade im Zeitalter des jederzeit zensurier- und manipulierbaren Internets ist die freie Informationsbeschaffung durch direkten Empfang mit eigener Antenne wieder ein sehr aktuelles Anliegen.
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Es ist aber nicht so, dass die Telkos überhaupt keine Antennen bauen dürfen. Verbote gibt es nur, wenn sich Anwohner beschweren oder das Landschaftsbild verschmutzt wird.
Das ist falsch. Seit dem Bundesgerichtsurteil Urtenen-Schönbühl 2012 haben die Gemeinden eine Unzahl von Antennenverboten in Wohnzonen erlassen, die angeblich dem Schutz der Einwohner vor ideellen Immissionen dienen sollen. Ideelle Immissionen zeichnen sich aber dadurch aus, dass sie nicht in der Realität, sondern nur in der Phantasie der Betroffenen existieren.
Das müssen Sie genauer ausführen.
Das Handy bestrahlt das Ohr und Gehirn bei voller Leistung mit Feldstärken von 40-50 V/m, da es nur wenige Millimeter vom Kopf entfernt sendet. Die Strahlung einer Handy-Antenne nimmt dagegen im Quadrat zur Entfernung ab, also doppelte Entfernung reduziert die Strahlung auf einen Viertel. Je weiter weg die Antenne steht, desto mehr Leistung muss das Handy bringen, um die Empfangsqualität aufrecht zu erhalten. Die Handys regeln wegen der schlechteren Versorgung die Sendeleistung auf das Maximum von 2 Watt und das führt im Nahfeld zu einer weitaus stärkeren Belastung der Benützer und ihrer unmittelbaren Umgebung, als eine Handy-Antenne im Quartier. Das Bundesgerichtsurteil mit seinem Kaskadenmodell sorgt also dafür, dass ideelle Immissionen durch reale Immissionen in Form einer höheren Strahlungsbelastung ersetzt werden müssen.
Warum trägt Doris Leuthard die Schuld dafür? Was Bundesrichter entscheiden und Kantone daraus machen, liegt nicht in ihrer Kompetenz.
Der Bund hat es über Jahre versäumt, nationale Vorschriften zu Antennen als Fernmeldeanlagen zu erlassen, obwohl er gemäss Verfassung durchaus die Kompetenzen dazu hätte. Als Beispiel kann Artikel 67 des Radio- und Fernsehgesetzes herangezogen werden, der den Erlass von kommunalen Antennenverboten für Empfangsantennen einschränkt. Die Kantone haben diesen Artikel in ihren Raumplanungsgesetzen ohne Opposition umgesetzt und er hat nicht zu einer Flut von Antennen geführt. Damals ging es darum, dass viele Gemeinde Antennenverbote erliessen, um die Bewohner zum Anschluss an die in den 70-er Jahren neu gebauten Kabelfernsehanlagen zu zwingen. Einen ähnlichen Artikel könnte man deshalb im Rahmen der derzeit laufenden Revision des Fernmeldegesetzes problemlos einfügen, ohne gross in die Kompetenzen von Kantonen und Gemeinden einzugreifen.  Der sonst bei unseren Bundesbehörden beliebte Blick ins europäische Ausland zeigt, dass beispielsweise in gewissen deutschen Bundesländern Antennen bis 10 Meter Höhe baurechtlich genehmigungsfrei sind. Auch in Spanien und Italien können gewisse Kategorien von Funkkonzessionären Antennen bewilligungsfrei erstellen. Hier besteht also durchaus positives Nachahmungspotential im Hinblick auf europäische Kompatibilität.
Das Bakom stellt sich auf den Standpunkt, dass der Antennenbau dem Raumplanungsgesetz unterliegt und in der Fernmeldegesetzrevision keinen Platz hat.
Das ist juristisch gesehen einfach nicht richtig. Antennen treten zwar als Bauten und Anlagen in Erscheinung, sind aber vor allem unentbehrliche Bestandteile einer drahtlosen Fernmeldeanlage. Es kann doch nicht sein, dass Gemeinden und Kantone derart starken Einfluss auf die Netzplanung nehmen können und gewissen Kategorien von Funkkonzessionären praktisch die Ausübung ihrer Rechte verunmöglichen. Ein funktionierendes Fernmeldewesen ist Sache des Bundes. Es gibt diverse Beispiele, die beweisen, dass der Bund die kantonalen und kommunalen Gesetzgebungs- und Bewilligungsmöglichkeiten problemlos einschränken kann, wenn eine gesamtschweizerische Koordination Sinn macht und der politische Wille dazu vorhanden ist. Beispielsweise hat er das im Militärgesetz, Elektrizitätsgesetz, Eisenbahngesetz und im Rohrleitungsgesetz gemacht. Auch für Solaranlagen konnte in Artikel 18a des Raumplanungsgesetzes problemlos eine Privilegierung und Befreiung vom kantonalen Recht geschaffen werden. Im Zusammenhang mit Antennen scheint aber dieser politische Wille beim UVEK zu fehlen, sei es aus Unwissenheit oder aus anderen, nicht nachvollziehbaren Motiven.
Vielleicht hat es einfach keine Lust, sich dauernd vor Parlamentariern und Bürgern rechtfertigen zu müssen, warum in einer bestimmten Gemeinde wesentlich mehr Antennen stehen als anderswo.
Die in der Vernehmlassung zur Revision des Fernmeldegesetzes vorgeschlagene Regelung schliesst auch künftig eine Anwendung raumplanungsrechtlicher Grundsätze auf Antennen nicht aus. So haben die Gemeinden nach wie vor die Möglichkeit, die Projekte hinsichtlich Einhaltung der NISV und genügender Einordnung ins Ortsbild zu prüfen und gegebenenfalls die Bewilligung zu verweigern. Sie könnten nur nicht mehr willkürlich flächendeckende Antennenverbote für ganze Zonen erlassen. Die Rebellion gegen Antennen entspringt leider zu einem grossen Teil auch mangelhaftem Wissen der Bevölkerung über die physikalischen Fakten. Das hat  etwas damit zu tun, dass in den letzten Jahren die naturwissenschaftliche Ausbildung in unseren öffentlichen Schulen stark vernachlässigt wurde. Da haben allerhand esoterische Theorien über die angebliche Schädlichkeit von Antennen natürlich leichtes Spiel.
Zur Person Markus Schleutermann
Jahrgang 1956, Ausbildung zum Dr. iur. an der Uni Zürich, Dissertationsthema «baurechtliche Antennenverbote und Informationsfreiheit», anschliessend Gerichtstätigkeit am Ober- und Verwaltungsgericht des Kantons Schaffhausen, dort auch verantwortlich für die Informatik. Abschluss mit Anwaltsprüfung. Tätigkeit im Rechtsdienst einer grossen Schweizer Versicherung, zuletzt als Leiter Rechtsdienst Schweiz, anschliessend Teilprojektleiter Rechtskleidwechsel im Bereich Informatik/Logistik/Finanztransaktionen. Mitentwicklung des ersten revisionsfesten Funkabstimmungs-Systems für Aktionärs-Generalversammlungen. Heute selbständig tätig im Immobilienbereich. 1982 humanitärer Einsatz als Funker/Allrounder für das EDA/DEZA. Amateurfunklizenz seit 1972, Mitglied der Taskforce "Recht" der Union Schweizerischer Kurzwellenamateure (USKA), militärische Tätigkeiten in diversen Bereichen der Übermittlung, Vortragsreihe «Recht und Unrecht für Funkamateure» an der ETH Zürich. 



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