28.06.2013, 14:01 Uhr

Lehrplan21 entscheidet über die IT-Zukunft der Schweiz

Der Lehrplan21 ist erstmals der grossen Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Bis Ende Jahr können Änderungswünsche angebracht werden. Das vorliegende Dokument zeigt, dass besonders die ICT-Branche mit Vehemenz auf eine wichtigere Rolle pochen muss.
Werden die Schweizer Schüler künftig genügend Informatik lernen?
Lange wurde diskutiert, fixiert, korrigiert, adjustiert, wieder alles verworfen und neu gestaltet. Und nun ist er endlich da und trotz aller Vorbereitung ist bereits jetzt klar, dass viele mit ihm unzufrieden sein werden: Der Lehrplan21. Sein Zweck ist es, die Ziele der Volksschule in der Deutschschweiz zu harmonisieren. Nach ihm sollen also unsere Jüngsten ausgebildet werden. Das bietet viele Vorteile, beispielsweise einheitliche Lehrmittel und aussagekräftige Leistungserhebungen. Der Nachteil: was nicht im Lehrplan21 steht, gerät in Vergessenheit. Verschiedene Interessen prallen dadurch aufeinander, es entsteht ein Grundsatzkonflikt. Was ist wichtiger für ein Kind? Deutsch oder Mathematik? Wie viel Geschichtsunterricht muss sein und braucht es wirklich Sport als Schulfach?

Zeit bis Ende Jahr

Die Erziehungsdirektoren der 21 Deutschschweizer Kantone wollen dies nicht alleine entscheiden und haben darum heute ihre Version des Lehrplan21 bis Ende 2013 zur öffentlichen Konsultation freigegeben. Nach der Auswertung wird er noch einmal überarbeitet und im Herbst 2014 zur Einführung freigegeben werden. Es ist zu hoffen, dass dann die ICT einen grösseren Platz im Lehrlplan21 einnimmt als heute. Ein eigenes Fach für die Informatik ist nämlich nicht vorgesehen, stattdessen gibt es das «fächerübergreifende Thema ICT und Medien». Dabei sollen die Schüler beispielsweise Algorithmen (Schlaufe, Verzweigung, Anweisung) in Kochrezepten erkennen können oder erklären, wie Computer mittels 0 und 1 verschiedene Datentypen speichern. Die Kinder sollen verschiedene Speicherarten mit ihren Vor- und Nachteilen aufzählen können, Betriebssysteme und Anwendungssoftware unterscheiden und natürlich für den Umgang mit Social Media sensibilisiert werden. Dafür wird das Erlernen des Zehnfingersystems abgeschafft, Schülerinnen und Schüler sollen nach der Volksschule lediglich in der Lage sein «mittels Tastatur effizient Texte einzugeben, wobei ergonomische Aspekte nicht ausser Acht gelassen werden dürfen.»

Die Zukunft beginnt heute

Man hat sich also durchaus Gedanken über die Informatik gemacht und diese Punkte zu verbindlichen Lernzielen erklärt. Ein grosses Hurra ist aus der Branche aber nicht zu erwarten. Vor allem nicht, da die Lehrer teilweise autonom entscheiden können, wie sie das fächerübergreifende Thema in den Unterricht einbinden. Für die IT-Branche muss das besorgniserregend sein. Denn es gibt genügend Studien die beweisen, dass Kinder mit 14 Jahren, also ungefähr nach Abschluss der Volksschule, ihre Vorlieben kennen. Diesen entsprechend werden sie dann ihre berufliche oder akademische Zukunft planen. Anders gesagt: je dürftiger Schüler im Unterricht mit Informatik in Berührung kommen, desto weniger können sie eine Begeisterung für das Gebiet entfachen, desto seltener werden sie in die IT-Branche wollen. Desto stärker wird der Fachkräftemangel. Lesen Sie auf der nächsten Seite: ein Verantwortlicher warnt

Verbindlichkeit fehlt

Doch nur mit dem Berufsbildungsargument zu hantieren wäre problematisch, findet einer, der es wissen muss. Prof. Dr. Beat Döbeli Honegger von der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz hat am Lehrplan21 mitgearbeitet und war als eine von fünf Personen Mitglied der Arbeitsgruppe «ICT und Medien». Als einziger Informatiker der Gruppe setzte er sich besonders für die IT ein. Den heute präsentierten Ergebnissen steht er ambivalent gegenüber. «Man sieht zwar, dass der Lehrplan21 die Informatik wichtiger nimmt als von vielen befürchtet, allerdings fehlt ihm die Verbindlichkeit.» Denn wer garantiere, fragt Döbeli, ob eine Lehrperson die überfachlichen Kompetenzen wirklich vermittelt? «Ohne Fach und Schulnote fehlt sowohl Zeit als auch Druck.» Ohnehin sei die Weiterbildung der Lehrpersonen die grosse Herausforderung, damit diese die neuen Inhalte überhaupt vermitteln könnten. Aber auch die ICT-Branche ist gefordert. Nur mit dem Fachkräftemangel lässt sich die Diskussion um eine stärkere Gewichtung von IT-Schulstoff nicht gewinnen, glaubt der Professor. «So können alle argumentieren, beispielsweise die Gesundheitsbranche, die ebenfalls Nachwuchs braucht. Und andererseits haben Berufsfelder wie Medizin oder Architektur genügend Nachwuchs, obwohl diese Fächer in der Volksschule nicht vorkommen.» Darum sei es wichtig, die Verantwortlichen zu überzeugen, dass Informatik aus dem heutigen Leben nicht mehr wegzudenken ist. «Computational thinking» sei hier das Stichwort: Auch Leute, die auf den ersten Blick nichts mit IT zu tun haben, brauchen neben Anwendungskenntnissen auch ein Grundverständnis, wie Informatik funktioniere, um ihren Arbeitsalltag bewältigen zu können, sagt Döbeli.

Handeln

Darum gibt es nur eines: Bis Ende Dezember muss die lobbyschwache ICT-Branche ein Mittel gefunden haben, diese Gedanken zu postulieren. Ansonsten hat man eine grossartige Chance verpasst, die Wichtigkeit der IT im Bewusstsein der Schweizer Bevölkerung  zu verankern. Und das Interesse an der Informatik nachhaltig zu steigern.



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