15.02.2016, 13:51 Uhr

«Die Wahlfreiheit der Kunden ist wichtiger als kurzfristige Gratisangebote»

Sunrise hat beschlossen, bei Freedom-Abos den WhatsApp-Datenverbrauch nicht mehr zu berechnen. Dieses Abkommen muss im Sinne der Netzneutralität rückgängig gemacht werden, fordert Anwalt Simon Schlauri.
Sunrise hat beschlossen, bei Freedom-Abos den WhatsApp-Datenverbrauch nicht mehr zu berechnen. Dieses Abkommen muss rückgängig gemacht werden, fordert Simon Schlauri. Im Interview erklärt der Anwalt, warum Netzneutralität höher gewichtet werden muss als kurzfristiger Kundennutzen.
Computerworld: Warum verletzt Sunrise mit dem WhatsApp-Deal die Netzneutralität?
Simon Schlauri: Bei der Netzneutralität geht es darum, dass der Marktzugang für alle Anbieter von Internetdienstleistungen derselbe ist. Provider dürfen weder künstlich Verbindungen verschlechtern noch kommerziell Dienste benachteiligen. Nur so ist Innovation im Netz weiter sichergestellt. Mit dem Angebot ist es für einen Sunrise-Kunden attraktiver, zu WhatsApp wie beispielsweise zu Threema zu gehen. Damit ist die Netzneutralität nicht mehr gewährleistet, und der aus Datenschutzssicht eigentlich bessere Dienst Threema hat schlechtere Marktchancen.
Aber der Sunrise-Kunde profitiert doch davon?
Nur kurzfristig. Langfristig bleiben die Innovationen aus und niemand steht besser da. Aktuell ist die gleiche Debatte mit Facebook in Indien zu verfolgen. Die Social-Media-Plattform wollte gratis Internet anbieten, allerdings nur für bestimmte Seiten. Glücklicherweise hat die indische Regulierungsbehörde die Pläne Facebooks vereitelt.
Wird Sunrise in der Schweiz auch Probleme mit den Regulatoren erhalten?
Wohl kaum. Zur Netzneutralität gibt es in der Schweiz kein Gesetz. Es gäbe möglicherweise den kartellrechtlichen Ansatz. Der funktioniert aber nur in ganz engem Rahmen und ist zu aufwendig für die Unternehmen.
! KASTEN !
Die Telkos haben sich letztes Jahr zusammengetan, um einem Gesetz vorzugreifen und einen eigenen Code of Conduct unterzeichnet. Ist damit die Netzneutralität nicht gewahrt?
Nein. Das ist eine Nebelpetarde, mehr nicht. Die vier grossen Telkos (Anm. der Red: Cablecom, Salt, Sunrise, Swisscom) haben gesagt, was für sie Netzneutralität bedeutet. Es gibt aber bereits  eine klare Definition für Netzneutralität und die lautet, Gleichberechtigung für alle Marktteilnehmer. Es ist deshalb egal, was die Telkos in ihren Code schreiben. Man sieht ja jetzt beim WhatsApp-Deal, dass der nichts bringt. Leider ist es den Telkos gelungen, mit diesem Code einige Politiker zu übertölpeln.
Wie meinen Sie das?
Grünen-Nationalrat Balthasar Glättli reichte vor einiger Zeit einen Vorstoss zum Thema Netzneutralität ein. Im Nationalrat wurde dieser angenommen, vom Ständerat allerdings abgelehnt. Die kleine Kammer befand, dass in der Schweiz keine Netzneutralitätsverletzungen stattfinden.
Hatten die Ständeräte, abgesehen vom Sunrise-Fall, den sie noch nicht kennen konnten, unrecht?
Ja. Salt rechnet Daten von Zattoo nicht zum inbegriffenen Datenvolumen hinzu. Swisscom ist noch dreister und bevorteilt ein eigenes Produkt: Wer TV Air nutzt, dem wird ebenfalls der Datenverbrauch nicht angerechnet, sofern er Swisscom TV 2.0 und 1.0 Kunde mit Swisscom-Mobile-Abo ist. Dieses sogenannte Zero Rating ist verbreitete Praxis und muss aufhören.
Weil am Ende niemand besser dasteht, haben Sie gesagt. Können Sie das erläutern?
Ich nehme das Beispiel Zattoo bei Salt. Die Konkurrentin von Zattoo, Wilmaa, hat seit diesem Zattoo-Salt-Deal grosse Mühe, noch Kunden von Salt für ihr TV-Angebot zu gewinnen. Wer möchte schon einen Dienst nutzen, bei dem die Datenübertragung im Gegensatz zum anderen nicht gratis ist?
Wilmaa oder Threema könnten doch einfach den gleichen Deal aushandeln.
Jeder, der ein solches Produkt auf dem Markt hat, müsste beim entsprechenden Telko anklopfen für den gleichen Vertrag. Wie auch bei den weiteren Schweizer Unternehmen. Wer weltweit anbieten möchte, gleich noch bei hunderten weiteren Telkos. Als Start-up oder kleineres Unternehmen ist dies ein Ding der Unmöglichkeit. Kommt dazu, dass solche Deals meistens nur mit den Marktführern gemacht werden, um die grösste Reichweite zu erhalten. Also eben mit Whatsapp und nicht mit Threema. Diese Anbieter können ihre Dienste so noch günstiger als ohnehin schon anbieten, was die Konkurrenz in eine schwierige Lage bringt.
Was uns wieder auf die politische Ebene bringt: Gibt es Bemühungen, Netzneutralität rechtlich zu verankern?
Aktuell wird die Revision des Fernmeldegesetzes vorbereitet. Der Bundesrat hat darin Vorstösse für die Netzneutralität platziert. Diese sind aber nicht wirklich effektiv. Beispielsweise verlangt der Bundesrat, dass ein Provider Behörden und andere Institutionen benachrichtigen muss, wenn er die Netzneutralität verletzt. Diese Art der Selbstkontrolle wird auf europäischer Ebene seit Jahren praktiziert, bringt allerdings wenig.
Den Befürwortern der Netzneutralität bleibt in dem Fall wohl nur, an die Vernunft der Telkos zu appellieren. Was raten Sie, um zum aktuellen Fall zurückzukehren, Sunrise?
Dass der Vertrag mit WhatsApp wieder rückgängig gemacht wird. Auf längere Sicht ist die Wahlfreiheit der Kunden wichtiger als kurzfristige Gratisangebote.
 

Statement von Sunrise

Von uns auf die Vorwürfe von Schlauri angesprochen, antwortete Sunrise:



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