17.02.2017, 14:51 Uhr

Was Microsoft von Start-ups lernen kann

Via Microsoft Ventures beteiligt sich der weltgrösste Software-Konzern an Start-ups. Computerworld sprach mit Global Head Nagraj Kashyap über attraktive Investitionen.
Microsoft hat seit circa einem Jahr eine eigene Beteiligungsfirma für Investitionen in Start-ups. Den Chef von Microsoft Ventures traf Computerworld am Rande der «TechDays» in Baden zum Interview. Computerworld: Herr Kashyap, Sie sind vor einem Jahr bei Microsoft eingetreten. Welchen Eindruck haben Sie von dem Unternehmen? Nagraj Kashyap: Es ist bemerkenswert, wie sich die Firmenkultur und die Organisation gewandelt hat und immer noch wandelt. Microsoft ist heute offen für Partnerschaften auf allen Ebenen. Eine Kooperation mit einem Anbieter wie Red Hat wäre noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen. Heute ist sie Realität.  Mit grossen Unternehmen wie Dell und HPE partnert Microsoft teils schon Jahrzehnte. Aber mit kleinen Firmen und Start-ups zu arbeiten, ist eine andere Sache. Dafür bin ich engagiert worden. Der Grundgedanke von CEO Satya Nadella dabei ist: Wir werden immer in einem Bereich im Wettbewerb stehen. Aber wir sollten kooperieren so viel wir können.  Die Gründerszene begrüsst die neue Offenheit Microsofts. Für mein erstes Jahr als Leiter von Microsoft Ventures hatte ich mir zum Ziel gesetzt, 10 Investments zu tätigen. Tatsächlich wurden es 19. Die Nachfrage nach der Zusammenarbeit mit dem grössten Software-Hersteller der Welt ist riesig. Früher fehlte den Start-ups aber ein Vehikel für die Kooperation. Microsoft Ventures ist neu dieses Vehikel.
Was kann ein Start-up von Microsoft lernen? Und: Was kann Microsoft von einem Start-up lernen? Eine Herausforderung für Start-ups ist, dass sie zwar mit einer Idee starten, die Idee aber manchmal nicht das Produkt ist, mit dem sie schliesslich in den Markt eintreten. Nehmen wir Facebook, dass sich von einer Rating-Seite zu einem weltweiten Personennetzwerk entwickelt hat. Die einzige Konstante dabei war der Gründer Mark Zuckerberg. Entscheidend ist, dass das Gründerteam die Entwicklung mitträgt und vorantreibt.  Die Firmengründer lernen am Beispiel Microsoft, wie sich auch ein Grosskonzern wandeln kann. Das Unternehmen hat in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht. Aufgrund der Cloud musste Microsoft sich ein vollkommen neues Geschäftsmodell schaffen. Diese Transformation können sich die Jungunternehmer zum Vorbild nehmen. Wenn Microsoft den Wandel schafft, dann schafft ihn ein Start-up ebenfalls. Auf der anderen Seite kann Microsoft von den Start-ups lernen, welche Bedürfnisse die Kunden haben. Trotz Milliardeninvestitionen in Forschung und Entwicklung sowie tausender kluger Köpfe in der Belegschaft, muss auch Microsoft eingestehen, nicht für jedes Problem auf der Welt eine Lösung parat zu haben. Hier kommen die Gründer ins Spiel. Dabei sind für Microsoft neu alle Optionen möglich: ein Investment, eine Partnerschaft und eine Akquisition.  Nächste Seite: Türöffner für Start-ups Welche Unterschiede gibt es zwischen Ihrer früheren Rolle bei Qualcomm und der heutigen bei Microsoft? Ein Hauptunterschied ist: Im Gegensatz zu Qualcomm besitzt Microsoft eine riesige Verkaufsmannschaft für das Firmenkundengeschäft. Die Kollegen bringen quasi täglich Hightech-Produkte bei Anwenderunternehmen an den Mann. Sie sind auch ein guter Türöffner für Start-ups. Denn die Vermarktung ihrer Lösungen ist die grösste Herausforderung für Start-ups. Um eine Firma zu gründen, benötigt heute niemand mehr grosses Kapital. Rechenleistung, Speicher und die Datenübertragung kostet quasi nichts mehr. Wenn das Produkt einmal entwickelt ist, beginnt aber die Vermarktung. Sie ist noch immer teuer. Hier können die Verkäufer von Microsoft eine wertvolle Unterstützung sein.  Ist künstliche Intelligenz (KI) ein Kriterium für Investments von Microsoft Ventures? Nein, überhaupt nicht. Ehrlich gesagt nutzen die wenigsten von uns unterstützten Start-ups KI. Ein Beispiel ist CrowdFlower, eine von Menschen unterstützte KI. Auf der Plattform helfen Benutzer dabei, zum Beispiel die Bewertungen von Uber-Fahrern zu kategorisieren. Wenn sich ein Fahrgast beschwert, er sei beschimpft worden, ist das etwas anderes als eine Klage über einen Wagenlenker, der seinen Fahrgast entführen wollte. Die User von CrowdFlower stufen ein, wie schlimm das Fehlverhalten des Fahrers nun wirklich war. Anhand der Abstufungen lernt das Bewertungssystem von Uber, den Schweregrad selbst zu bestimmen. Element AI ist ein anderes Beispiel. Das Start-up aus Montréal kombiniert ebenfalls künstliche und menschliche Intelligenz. Das Angebot wendet sich an Grosskonzerne wie zum Beispiel Telekommunikationsfirmen oder Versicherungen: Für sie kann Element AI riesige Datenmengen auswerten. Dabei profitieren beide: Das Start-up kann seine KI mit Firmendaten trainieren, auf die es sonst nie Zugriff bekäme. Die Unternehmen bekommen Expertise, die sie sonst nicht bekämen, und ihr Problem mit der Datenauswertung wird gelöst. Nächste Seite: Wie «intelligent» ist Software? Wie viel der Lösungen mit künstlicher Intelligenz ist Hype, wie viel schon Realität? Der Begriff künstliche Intelligenz wird aktuell gern benutzt, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Anbieter und auch Anwenderfirmen nutzen den Terminus selbst dann noch, wenn sie keine Fragestellung oder keine Notwendigkeit für KI haben. Für das Auswerten eines kleinen Datensatzes mit zum Beispiel Filmbewertungen benötige ich keine KI. Hier genügen auch einfache statistische Methoden wie Mittelwertvergleiche oder Korrelationen, um eine Empfehlung für eine Person geben zu können. Anders bei grossen Mengen an Information: Wenn die Daten die Kapazität der menschlichen Informationsverarbeitung weit überschreiten und die Fragestellungen komplex sind, ist KI und Machine Learing notwendig.  Viele Start-ups kommen auf mich und Microsoft Ventures zu mit dem Versprechen, sie seien ein KI-Unternehmen, geboren in der Cloud, vertreiben eine SaaS-Lösung für IoT. Mit diesen Buzzwords überzeugen die Gründer aber nur dann, wenn ihr Produkt wirklich alle vier Versprechen einlöst. Alles andere ist Effekthascherei.
Welchen Eindruck haben Sie von den anderen KI-Anbietern auf dem Markt, beispielsweise IBM Watson oder Salesforce Einstein? Die grossen Technologiefirmen investieren schon seit einigen Jahren massive Summen in die KI. Die meisten versuchen, das Grundproblem der Demokratisierung von KI zu lösen, damit die Technologie von mehr als nur den Datenanalytikern verwendet werden kann. Microsoft begrüsst das, denn Wettbewerb belebt bekanntlich das Geschäft.  Gab es schon Investitionen in ein Schweizer Start-up? Nein, bis anhin gab es kein Investment in der Schweiz. Allerdings würde Microsoft gerne das ein oder andere Gründerteam von der EPFL unterstützen, denn dort wird hervorragende Arbeit geleistet. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt.
! KASTEN !
Nagraj Kashyap amtet seit rund einem Jahr als Corporate Vice President und Global Head von Microsoft Ventures. In einer ähnlichen Rolle verwaltete er zuvor das globale Investment-Portfolio von Qualcomm. Der Technologiekonzern hatte eine Milliarde US-Dollar in über 140 Start-ups investiert. Kashyap besitzt mehr als 20 Jahre Berufserfahrung in den Bereichen Mobile und Software. Er hält einen Master of Business Administration von der Kellogg Graduate School of Management in Evanston, Illinois.



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