20.02.2014, 10:07 Uhr

Streit um Fachkräftemangel in der Schweiz

Wie gross ist der Fachkräftemangel in der Schweiz? IT-Headhunter Hans Riesenmann und Jörg Aebischer, Geschäftsführer von ICT-Berufsbildung Schweiz, haben dazu unterschiedliche Ansichten. Computerworld bat die beiden zum Streitgespräch.
Jörg Aebischer und Hans Riesenmann streiten darüber, wie viele Informatiker der Schweiz fehlen
«Der Schweiz fehlen nur 500 Informatiker» titelte Computerworld vor Kurzem. Diese Meinung des IT-Headhunters Hans Riesenmann sorgte für einigen Wirbel in der Branche. Denn er widerspricht damit einer Studie von ICTswitzerland, die seit einigen Jahren benutzt wird, um die IT-Branche vor Fachkräftemangel zu warnen. Gemss der Studie fehlen bis 2020 25 000 Informatiker. Bei Computerworld gingen in der Folge zahlreiche Wortmeldungen ein, welche den Artikel lobten oder verurteilten. Die verwendete Sprache war dabei oft nur knapp über der Gürtellinie, das Thema scheint zu bewegen. Grund genug, mit Hans Riesenmann und Joerg Aebischer, Geschäftsführer von ICT-Berufsbildung Schweiz, das Gespräch zu suchen.
Guten Tag Herr Aebischer. IT Headhunter Hans Riesenmann zweifelt Ihre Studie an und sagt, der Schweiz fehlen nur wenige Spezialisten. Er argumentiert damit, dass er diverse geeignete Kandidaten hat, die keine Stelle finden. Was sagen Sie dazu?
Joerg Aebischer: Im Personalvermittlungsgeschäft ist es logisch, dass er Dossiers von Kandidaten hat, die sich nicht selber am Markt bewegen können oder wollen. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass er Dossiers von Personen hat, die vielleicht nicht die gesuchtesten Skills mitbringen und via Personalvermittler ihr Glück versuchen. Dass Herr Riesenmann dann von dem ihm vorliegenden Dossiers auf den ICT-Fachkräftebedarf insgesamt schliesst, ist nicht seriös.
Hans Riesenmann: Bereits 1999 geisterte die Zahl von angeblich 25 000 fehlenden Informatikern in der Presse herum. Ich sagte bereits damals, dass dies absolute Utopien sind und bekam in den Jahren 2002 und 2003 auch recht. Es gingen «nur» ein paar tausend Stellen verloren. Wie es nun in drei bis fünf Jahren aussehen wird, kann ich nicht mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, aber eines ist ganz klar: der ICT- Markt Schweiz wird sich in dieser Zeit gewaltig verändern.
Computerworld.ch: Spezifizieren Sie dies bitte.
Riesenmann: Viele Berufsbilder im Bereich ICT- Infrastrukturen werden verschwinden, es werden aber auch neue Berufsbilder geschaffen werden. Hoffen wir nun einfach, dass man die Zahl der arbeitslosen Informatiker auch zukünftig bei ungefähr 4000 Leute stabilisieren kann. Leider sieht es zur Zeit nicht danach aus: Swisscom hat Personalabbau angekündigt, HP will auch Personal abbauen und leider werden weitere folgen. Dies hat vor allem mit den Strukturverlagerung in der gesamten ICT- Branche zu tun!
Herr Aebischer, Sie werfen Herr Riesenmann vor, mit diesen Aussagen Self-Marketing zu betreiben, indem er schlecht über seine Branche spricht. Aber für ihn wäre es doch besser, es würden so viele Informatiker wie möglich fehlen?
Aebischer: Das Vermitteln von Personal ist nicht mit Headhunting gleichzusetzen. Dass in einem Berufsfeld, in welchem Fachkräftemangel herrscht, die besten Leute ihr Dossier nicht einem Personalberater übergeben, versteht sich von selbst. Es ist logisch, dass der Vermittler von seinen Kandidaten behauptet, dass diese geeignet seien, sonst könnte er sie ja erst recht nicht platzieren. Herr Riesenmann sendet also die Botschaft ab: Ich habe ICT-Fachkräfte, kommt zu mir und kauft ein. Die notwendige Aufmerksamkeit haben Sie ihm ja geschenkt.
Riesenmann: Ein Prophet bin ich nicht. Ich denke aber, dass die Zahl der zurzeit wirklich fehlenden Informatikern bei ungefähr 500 Leuten liegt. Aber eben 500 ICT- Spezialisten die man kaum findet! Wenn nun Hr. Aebischer meint es melden sich «viele» Informatiker bei mir auf Grund dieses Artikels in der Fachpresse, dann irrt er. Die Zeit der Dossierhändler ist vorbei.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: warum gibt es immer mehr arbeitslose Informatiker?
Wie erklären Sie sich Herr Aebischer, dass trotz Ihrer Prognosen immer mehr Informatiker arbeitslos werden?
Aebischer: Insgesamt sind rund 3,5 Prozent Personen arbeitslos in unserem Land. In der Informatik sind es gerade mal 2,2 Prozent, also zwei Drittel weniger als über alle Berufsgruppen. Die 2,2 Prozent sind so niedrig, dass sich die Quote de facto nur in eine Richtung bewegen kann, nämlich nach oben. Trotzdem müssen wir hier von einer Sockelarbeitslosigkeit sprechen, die nicht weg zu bringen ist. Umso wichtiger wird die kontinuierliche Weiterbildung.
Riesenmann: Meiner Meinung nach sieht das Problem etwas anders aus. Ich gehe in den nächsten 3 bis 5 Jahren davon aus, dass die Zahl der arbeitslosen Informatiker in etwa stabil bleiben wird. Betroffen sind hier vor allen Informatiker die sich seit Jahren nicht weitergebildet haben und ältere Informatiker. Aber auch sicher ältere Informatiker die den «Anschluss» verpasst haben. Hier kann ich den Arbeitgebern raten, sich doch auch ältere Kandidaten anzuschauen. Ein 55- jähriger Informatiker hat noch 10 Jahre vor sich bis zur Rente, er wird einem Unternehmen also noch 10 Jahre erhalten bleiben. Dies im Gegensatz zu jungen Leuten die häufiger die Jobs wechseln. Und teilweise sind Unternehmen auch froh, wenn einer die «neue» und «alte» Informatikwelt kennt. Beispiel: Eine Applikationsmigration von COBOL zu .NET.
Aebischer: Da sind wir uns einig.
Die Studie von ICTswitzerland sagt, dass die Schweiz, um den Informatikerbedarf decken zu können, auf Informatiker aus dem Ausland angewiesen ist. Zudem arbeiten in der ICT bereits mehr Zuwanderer als in anderen Branchen. Ist die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative darum doppelt schlimm für die ICT?
Aebischer: Wir machen es nicht den anderen Branchen nach und stellen bereits heute ins Blaue hinaus Forderungen nach Kontingenten auf. Das ist unseriös, denn in den nächsten drei Jahren besteht die Personenfreizügigkeit unverändert. Und wir sind nicht in der Lage heute eine Bestellung für in vier Jahren abzugeben. Im Weiteren vertrauen wir den Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung, dass diese die notwendigen Kontingente dort zuteilen werden, wo ein Bedarf ausgewiesen und die gesamtwirtschaftliche Bedeutung gross ist. Das ist im Bereich der ICT nachgewiesenermassen so. Mit genaueren Prognosen gehen wir an die Öffentlichkeit, wenn wir die aktuelle Lage seriös analysiert und fundiertes Zahlenmaterial aufbereitet haben.
Riesenmann: Warten wir doch ab, wie sich der ICT- Markt entwickeln wird. Eines ist klar: am Markt kommt niemand vorbei!
Befürchten Sie, dass nun viele Firmen Ihre IT auslagern werden?
Aebischer: Es besteht die Gefahr, dass wenn sich die Fachkräftesituation verschärft, der Auslagerungstrend beschleunigt wird. Und das geht natürlich insbesondere in der ICT besonders schnell, da man in vielen Fällen nicht auf physische IT vor Ort angewiesen ist. Das ist ja gerade das Gefährliche am Fachkräftemangel in der ICT: Aufgrund unserer Analysen wissen wir, dass die Wirtschaft in der Schweiz massiv mehr Bedarf an ICT-Fachkräften hätte als diese zur Verfügung stehen. Nun bleiben die Stühle dieser gesuchten Leute aber nicht einfach leer, sondern die Arbeiten werden ins Ausland verlegt. Das ist ja gerade der grosse Unterschied der ICT-Welt im Vergleich zum Beispiel zum Gesundheitswesen: Medizinische Leistungen lassen sich nur schwer virtuell und offshore erbringen.
Riesenmann: Hier kann ich nur wiederholen was ich schon gesagt habe: es fehlen zurzeit «nur» rund 500 Spezialisten in der Informatik. Viele meiner Kunden haben aufgehört, in Billiglohnländern produzieren zu lassen. Dort ist es zwar billig - ein Indischer Entwickler kostet heute etwa 1,5 Mal weniger als ein Entwickler in der Schweiz ? aber die Qualität stimmt nicht. Immer mehr Kunden von mir leben nach dem Motto «Swissness» und sind auch bereit, hier zu investieren!
Aebischer: da stimme ich Ihnen auch zu. Aber die Zahl 500 wird nicht richtiger, je mehr sie wiederholt wird.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: weniger ausländische Fachkräfte?
Was sagt Herr Aebischer zur gerade gemachten Aussage, dass Schweizer Unternehmen ihre «Swissness» nicht verlieren möchten und darum weniger Ausländer wollen?
Aebischer: Das kann ich nicht beurteilen. Auch da ist jedes Unternehmen wieder frei im Entscheid. Ich gehe davon aus, dass wenn die Qualifikationen stimmen, es einem  Unternehmen egal ist, woher die Kompetenzen kommen.
Riesenmann: Es ist wieder vermehrt «Swissness» gefragt und dies gibt mir das Gefühl, dass gerade Schweizer Informatiker in der Schweiz eine gute Zukunft haben werden. Meine Kunden haben zum grossen Teil nicht gerade gute Erfahrungen mit ausländischen Informatikern gemacht, die noch nie in der Schweiz gearbeitet haben. Dies hat mit der Schweizer Mentalität zu tun
Erklären Sie das bitte.
Riesenmann: Etwa die Hälfte aller ausländischen Informatiker fühlt sich bei uns nicht wohl und kann sich nur schlecht integrieren. In den vergangenen 5 Jahren haben wir nur 2 ausländische Informatiker in die Schweiz vermittelt (erster Job in der Schweiz). Einer ist bereits wieder «nach Hause» gegangen. Wir selber vermitteln keine ausländischen Informatiker die keine Erfahrung in der Schweiz haben mehr, unseren Kunden zu liebe und notabene auch unseren Kandidaten zu liebe.
Herr Riesenmann ist Chefexperte Informatikerprüfungen in Basel. Er wird also nur das Gute für die Jungen wollen. Wenn er darum sagt, diese werden in die Arbeitslosigkeit getrieben mit Ihren Aussagen, ist das nachvollziehbar?
Aebischer: Nein, das ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Mich überrascht es, dass Herr Riesenmann dann noch die Motivation findet, die Aufgabe als Chefexperte bei den Lehrabschlussprüfungen wahrzunehmen. Mich würde es deprimieren lauter junge Arbeitslose mit einem eidgenössischen Fähigkeitszeugnis in die Arbeitswelt zu entlassen. Aber natürlich ist das absoluter Blödsinn. Wir wissen aus unseren jährlichen Erhebungen bei den Lehrabgängern, dass alle Informatiker - das Selbe gilt übrigens auch für die Mediamatiker - nach der Lehre eine Anschlusslösung haben, das heisst eine Stelle, eine Weiterbildung oder einen bewussten Unterbruch um zu Reisen oder Sprachen zu lernen.
Riesenmann: Nur um das klarzustellen: ich bin auch überzeugt, dass sich die Informatikerlehre nach wie vor lohnt. Man darf nur unter keinen Umständen die Weiterbildung vergessen.
Über die Personen
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Hans Riesenmann ist IT-Headhunter und seit 1999 Partner in der Europartner-Gruppe. Zuvor war er unter anderem Marketing- und Verkaufsleiter Schweiz bei der Ascom und Geschäftsführer bei Teleinform. Zudem amtet Hans Riesenmann als Chefexperte Informatikerprüfungen in Basel und ist in der Vereinigung des Informatikervorstands der Nordwestschweiz.



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