20.02.2013, 08:00 Uhr

IBMs Schweiz-Chef über Cloud und Big Data

Die Schweiz ist lukrativ für IBM. Gemäss Computerworld-Schätzung setzt der IT-Konzern jährlich fast zwei Milliarden Franken um. Schweiz-Chef Christian Keller verrät, wie IBM weiter wachsen will.
Christian Keller blickt auf ein Jahr an der Spitze von IBM Schweiz zurück
Seit fast einem Jahr verantwortet Christian Keller die Geschäfte der IBM Schweiz. Der General Manager überblickt ein schier unendlich grosses Portfolio und einen soliden Kundenstamm hierzulande. Wie sich «Big Blue» im abgelaufenen Jahr bewährt hat und welche Trends Keller für die Zukunft sieht, berichtet er im Gespräch mit Computerworld. Computerworld: Wie lautet Ihr Resümee nach fast einem Jahr an der Spitze von IBM Schweiz? Christian Keller: Die Schweiz ist nach wie vor ein sehr technologieaffiner Markt mit branchenführenden Grossunternehmen. Hinzu kommt ein aktiver und agiler Mittelstand, der sich trotz des starken Schweizer Frankens gut behaupten kann. Viele Unternehmen haben sich auf die Herausforderungen durch die Wechselkurse eingestellt und auch schon im Vorfeld Massnahmen getroffen. Wenn Markteilnehmer das Ende des Werkplatzes Schweiz herannahen sehen, muss ich widersprechen. Natürlich sind wir hierzulande mit grossen Herausforderungen konfrontiert. Dabei sehe ich zwei Kategorien von Unternehmen: diejenigen, die gut aufgestellt, und diejenigen, die eher im Rückstand sind. Erstere haben ihre «Hausaufgaben» auf der Kostenseite gemacht und nutzen IT zum Beispiel zur Automation und Effizienzsteigerung. Heute prüfen diese Unternehmen, wie sie sich mithilfe von IT gegenüber dem Wettbewerb absetzen und neue Geschäftsfelder erschliessen können. In die zweite Kategorie fallen Unternehmen, die Nachholbedarf bei der Kostenoptimierung haben. Sie denken über Sourcing nach, überlegen Alternativen zur selbst betriebenen IT und wollen/müssen die Kosten senken. In beiden Bereichen steckt viel Geschäft für die IBM Schweiz und die IT-Branche. Wie viele Unternehmen gehören in die erste, wie viele in die zweite Gruppe? Wir gehen davon aus, dass nach wie vor rund 40 Prozent einen Nachholbedarf haben und mit zu hohen Kosten operieren. Die anderen rund 60 Prozent – insbesondere mittelständische Unternehmen mit starkem Exportgeschäft – arbeiten daran, sich neue Geschäftsfelder zu erschliessen und Innovationen zu treiben. Mit PureSystems greift IBM den Mittelständlern und Grosskonzernen unter die Arme beim Konsolidieren und Industrialisieren. Welche Rückmeldung kommt aus dem Schweizer Markt?
Das Interesse ist sehr rege. Laut aktuellen Zahlen haben wir in mehr als 40 Ländern insgesamt über 1000 PureFlex-Systeme ausgeliefert. Damit widerlegen wir unsere Kritiker, die von altem Wein in neuen Schläuchen sprachen. Ich sehe zwei Gründe, die für unser Konzept sprechen: Im Server-Geschäft hilft es erstens heute nur bedingt, wenn neue Systeme schlicht eine mehr Leistung bieten. Vielmehr sind Lösungen gefragt, um die Workloads optimal ausbalancieren zu können. Im Verkehr kommt man mit einem schnelleren Auto allenfalls rascher ans Ziel, aber über alternative Routen sowie mit einem adäquaten Vehikel jedoch womöglich noch schneller und effizienter. Zweitens besteht hoher Bedarf an Automatisierung. Dabei geht es nicht allein um das System-Management, sondern auch um Netzwerk, Storage und Virtualisierung. Nächste Seite: Schweiz in der Cloud Die Schweizer Anwenderfirmen gelten als zurückhaltend beim Cloud Computing, IBM forciert das Thema. Wie sind die Erfolge? Ich erlebe keine Zurückhaltung mehr, Cloud Computing ist mittlerweile in aller Munde. Allerdings ist das Konzept auch nicht neu: Schon Mitte der 90-er gab es das «Network Computing». Nun hat es 15 Jahre gedauert, bis die Netzwerke entsprechende Bandbreiten besitzen, die Telekommunikationsfirmen den Zugang zu realistischen Kosten anbieten und Software für das nutzungsabhängige Abrechnen angepasst ist. Die Unternehmen stehen heute vor der Entscheidung, ob sie eine Private, eine Hybrid oder eine Public Cloud nutzen sollen. Firmen stellen sich heute – anders als vor zehn oder auch fünf Jahren – unweigerlich die Frage, ob sie alle Systeme selbst betreiben müssen. Nahezu alle Unternehmensverantwortlichen, mit denen ich spreche, sind dabei, die IT-Infrastruktur für die Cloud auszurichten. Der Anstoss kommt oftmals aus der Geschäftsleitung, die von den CIOs entsprechende Lösungen fordert. Warum lagern die CIOs nicht einfach die Systeme und Anwendungen in die Cloud aus?
Bei Cloud-Szenarien wird häufig der Idealfall kolportiert: Eine Firma startet auf der «grünen Wiese». Dieser Ansatz greift zu kurz, denn in den meisten Unternehmen existiert eine bestehende Infrastruktur, in die viel investiert wurde. In einem solchen Szenario von Skaleneffekten der Cloud zu reden, trifft nur sehr beschränkt zu. Allerdings gibt es überall Opportunitäten, bei denen IBM als Produkt-, Lösungs- und Dienstleistungspartner ins Spiel kommt. Bei Cloud-Diskussionen wird häufig die Forderung gestellt, die Geschäftsdaten müssten zwingend in der Schweiz bleiben. Dann führen die Wettbewerber teilweise das Argument an, IBM sei kein Schweizer Unternehmen, es unterliegt dem US-amerikanischen Patriot Act. Hier kann ich unsere Kunden beruhigen: IBM Schweiz ist genau so ein schweizerisches Unternehmen wie ein Anbieter mit Wurzeln in der Schweiz. Die hiesige IBM-Gesellschaft untersteht dem Schweizer Gesetz und bei IBM Schweiz gespeicherte Daten unterliegen damit der gleichen rechtlichen Behandlung wie die bei anderen Providern vorhandenen Daten. Welche Argument können Sie einem Geschäftsführer liefern, damit er IBM Schweiz seine Daten anvertraut? Er kann zum Beispiel eine SmartCloud-Lösung nutzen, die aus mehreren, auf der ganzen Welt lokalisierten Rechenzentren besteht. Beim Aktivieren der Ressourcen lässt sich angeben, welches Rechenzentrum genutzt werden soll. Die Daten bleiben dann bis zum Ende der Nutzung am gewählten Ort, so zu Beispiel an unserem Standort Winterthur. Wenn wir den Kunden zusätzlich die hiesigen Infrastrukturen demonstrieren können, ist häufig das Vertrauen gewonnen. Wird also ein Schweizer Standort gewählt, bleibt es auch dabei. Bleiben wir noch bei den Infrastrukturthemen. In einem Gespräch mit IBM darf die Frage nach den Mainframes nicht fehlen. Wie läuft das Geschäft mit in der Schweiz? Während die Analysten und die Medien den Mainframe immer wieder tot schreiben, kann ich versichern, dass das Geschäft nach wie vor sehr lebendig ist. Der Bedarf am «Enterprise Computing» ist vorhanden und wird es auch bleiben. Anwender kommen insbesondere aus den transaktionsintensiven Industrien wie Banken und Versicherungen. Diese Kunden halten auch nach Neuerungen Ausschau, schliesslich haben sich die Mainframes in den letzten Jahren ebenfalls weiterentwickelt. IBM hat jüngst den zEnterprise EC12 lanciert, der sehr gut nachgefragt wird. Den Informatiker-Nachwuchs will die Swiss Enterprise Computing Association für die Mainframe-Welt gewinnen. Dieser gemeinsame Verein der Hochschule Luzern sowie IBM wurde vor knapp einem Jahr gegründet, um Studierende an die Technologie heranzuführen. An dem Projekt sind auch Anwenderunternehmen beteiligt, die sich natürlich versprechen, in der Schweiz künftig neue Mitarbeiter mit Mainframe-Know-how zu gewinnen. Nächste Seite: «Mainframes sind keine Weggli» Sie sprechen von einer «regen Nachfrage» nach Mainframes. Geht es dabei um Ablösung von Altsystemen oder auch Neuanschaffungen? Es wäre vermessen zu sagen: «Mainframes gehen weg wie frische Weggli.» Natürlich installieren wir auch neue Systeme. Das Hauptgeschäft ist allerdings die Ablösung und Modernisierung bestehender Systeme, wobei die neuen Mainframes oftmals als Konsolidierungsplattform oder als Backbone für Cloud-Infrastrukturen eingesetzt werden. Allenfalls auch auf Mainframes, Ihrer Vorstellung nach vermutlich eher auf PureData-Systemen, lassen sich Data-Analytics-Anwendungen abbilden. Welche Lösungen präferieren Schweizer Kunden für Big Data?
Nehmen wir ein Beispiel: Die Versicherungen haben oftmals schon ein sehr gutes Wissen im Bereich Analytics. Fragestellungen sind hier, wie Abfragen automatisiert und wie unstrukturierte Daten in die Kalkulationen einbezogen werden können. Projekte wie diese starten typischerweise klein mit einem Beratungsmandat, werden dann erweitert um Software, für die schliesslich die optimierte Hardware geliefert wird. PureData ist dann nur eine Lösung – es kann durchaus auch ein Mainframe mit Netezza sein. Viel mehr gefragt ist das Consulting. Die Kunden definieren zunächst das Geschäftsmodell für Big Data, bevor es in die Umsetzung mit konkreten Produkten geht. Bei allen Schritten kann IBM helfen, wobei wir hierzulande mit IBM Research in Rüschlikon noch zusätzliche Expertise besitzen. Die Watson-Technologie wird beispielweise aktuell in einem Pilot in der Schweizer Versicherungsbranche für das Analysieren von unstrukturierten Daten genutzt. Big Data ist eng mit Social Media verbunden. Wie sozial sind die Schweizer Unternehmen? Wenn Sie fragen, wie viele Unternehmen Social-Business-Konzepte wirklich umgesetzt haben, ist dies erst eine kleine Minderheit. Viele Entscheider wissen noch nicht genau, wie sie mit den neuen Möglichkeiten der Mitarbeiterpartizipation und virtuellen Zusammenarbeit umgehen sollen. Der Fortschritt der Überlegungen ist stark von der Branche und der Belegschaft abhängig. Jüngere Angestellte sind oftmals offener für neue Formen der Collaboration als ältere Mitarbeiter, doch das muss nicht zwingend sein. Ein wichtiges Element ist dabei die Unternehmenskultur. Generell findet das Social Business heute viel mehr Gehör als noch vor zwölf Monaten. Dabei hilft sicher, dass Social Media mittlerweile nicht mehr vollkommen verteufelt und gesperrt wird. Absolut. Seit einem Jahr häufen sich bei uns die Nachfragen nach Unterstützung im Bereich Social Media. Unsere Beratungs-Geschäftseinheit Global Business Services hat dafür eigens ein Programm initiiert, das Kunden Best Practises für Facebook, Twitter & Co. vermittelt. Bei IBM haben wir uns entschieden, die «sozialen» Kanäle für sämtliche Mitarbeiter zu öffnen. Dabei durchläuft jeder Angestellte – vom Top-Management bis hin zum Lehrling – eine Ausbildung, wie damit umzugehen ist, um Missbrauch zu verhindern. Allerdings ist der Umgang mit Social Media und auch die neuen Arten der Zusammenarbeit ein Lernprozess, der für jedes Unternehmen und für jeden Mitarbeiter sehr individuell geschieht.



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