26.08.2011, 08:01 Uhr

Die Tops & Flops der Schweizer ICT-Branche

Die Schweizer ICT-Branche hat im letzten Jahr die Finanzkrise hinter sich gelassen und sich mit leichtem Aufwind nach oben bewegt. Das könnte so weitergehen, wenn da nicht die Schwäche von Euro und Dollar wären.
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Die Standortbestimmung der Schweizer ICT-Branche: Die Computerworld-Sonderausgabe «Top 500» ist ab sofort erhältlich
Die Weltwirtschaft lässt der ICT-Branche keine Ruhe. Kaum haben sich die Wolken der Finanzkrise verzogen, verdunkelt sich der Himmel erneut. Die Eurokrise zieht auf. Das «Zwischenhoch» haben die Schweizer Anbieter von Informations- und Kommunikationstechnik (ICT) jedoch nach Kräften genutzt, um zu wachsen und für die Krisenzeit wieder Boden gutzumachen. So stieg der Gesamtumsatz aller in Computerworlds Top-500-Liste vertretenen Firmen im Jahr 2010 um beachtliche 7 Prozent auf die Rekordsumme von 53,2 Milliarden Franken Umsatz. Damit wurde zum ersten Mal in der nun 15-jährigen Geschichte der Top-500-Erhebung die 50-Milliarden-Franken-Marke durchbrochen. Auch die mittlere Zuwachsrate der Schweizer Top-500-Unternehmen kann sich sehen lassen. Diese betrug zwischen 2009 und 2010 ganze 5,2 Prozent.  Diese Wachstumszahlen beweisen, was viele schon im letzten Jahr vermutet hatten: Die Mehrheit der Schweizer Unternehmen hat die Finanzkrise gut überstanden und investiert wieder – auch in ICT. In der letztjährigen Top 500 musste sich die Branche noch mit einem mageren Durchschnittsplus von 1,3 Prozent begnügen. Diese Tendenz lesen auch die grossen Hersteller aus ihren Auftragsbüchern heraus­: «Nachdem 2009 Kostenoptimierungsmassnahmen im Vordergrund standen, wurde 2010 wieder vermehrt investiert», meint etwa Isabelle Welton, CEO der IBM Schweiz, gegenüber Computerworld. Allerdings wurden diese Investitionen nur dann getätigt, wenn damit die Ausgaben spürbar gesenkt werden konnten. «Bei den grossen IT-Infrastrukturprojekten ging es immer vor allem um die Reduktion der Infrastrukturkosten», ist Adrian Schlund, Country Leader von Oracle Schweiz, überzeugt.
Computerworld-Sonderausgabe «Top 500»
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Ob Schweizer Unternehmen tatsächlich schon wieder in die Spendierhosen geschlüpft sind, darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander. So spricht Also-Schweiz-CEO Marc Schnyder in Bezug auf das Jahr 2010 von einer «immer noch verhaltenen Investitionstätigkeit der Corporates», im Gegensatz zum ausgenommen starken Retail­geschäft. «2011 hat sich die Situation aber schon wieder deutlich verändert», analysiert Schnyder. Heuer würden die Firmen tiefer in die Taschen greifen, während das Consumer-Business eine Flaute durchmache. Nächste Seite: optimistisch in die Zukunft

Optimistisch in die Zukunft

Die Schweizer Top-500-Firmen haben noch im Frühjahr dieses Jahres so optimistisch in die Zukunft gesehen wie schon lange nicht mehr. 77,2 Prozent rechnen zum Befragungszeitpunkt im März dieses Jahres für die kommenden 12 Monate mit einen leichten Aufschwung der ICT-Konjunktur, 10,3 Prozent erwarten gar einen kräftigen Ausschlag nach oben. Zusammengenommen gingen also 87,5 Prozent der befragten Unternehmen davon aus, dass die Schweizer ICT-Branche 2011 wieder wächst.
Vor einem Jahr lag diese Zahl noch bei 77,7 Prozent und es war deutlich mehr Skepsis spürbar. Damals glaubten noch 18,8 Prozent der Befragten, dass die ICT-Branche stagnieren werde, davon sind in diesem Jahr nur 11,1 Prozent überzeugt. Für 2011 befürchteten gerade einmal 1,4 Prozent, dass es abwärtsgeht. Dieser Anteil lag im Jahr davor noch bei 3,5 Prozent.Für das Krisenjahr 2009 hatte die Branche noch schwärzer gesehen: Damals erwartete ein Drittel einen Abschwung und eine Mehrheit von fast 55 Prozent sah eine Stagnation kommen – eine Einschätzung, die sich ja auch mehrheitlich bewahrheitet hat. Nächste Seite: Eurokrise: Wird jetzt alles anders?

Eurokrise: Wird jetzt alles anders?

Ob die Branche mit ihrer optimistischen, von der Eurokrise noch unbeeindruckten Einschätzung für das laufende Jahr richtig liegt, bleibt abzuwarten. Knapp fünf Monate später sieht die Lage schon wieder anders aus. Die instabilen Dollar- und Euro-Währungen werden heute durchaus als kritisch und auch geschäftsschädigend beurteilt. «Der schwache Euro – oder korrekter der starke Franken – belastet viele unserer export-orientierten Kunden», gibt beispielsweise Hauke Stars, HP-Schweiz-Chefin, zu bedenken. «Und das spüren indirekt auch wir», ergänzt sie.  Trotzdem werden die knappen Kassen die Firmen nicht daran hindern, in längerfristige Projekte wie etwa die Konsolidierung der IT-Infrastruktur und die Inanspruchnahme von Cloud-Diensten zu investieren. Dabei agieren Schweizer Firmen vorbildlich: «Unsere Kunden halten an ihren wohlbedachten Geschäftsstrategien fest und lassen sich nicht durch zeitlich begrenzte Krisen beirren», lobt Stars. Ein «aus­serordentliches» Verhalten, das den Unternehmen auch helfe, nachhaltig erfolgreich zu sein, ergänzt die HP-Schweiz-Chefin. Der heimischen ICT-Branche hilft das natürlich auch. Auch Swisscom-IT-Services-CEO Eros Fregonas bereitet der im Moment sehr hoch bewertete Schweizer Franken Sorge. Denn die Kunden seines Unternehmens sind international tätig und damit direkt von den Währungsdifferenzen betroffen. Doch auch er sieht die IT-Budgets dadurch nicht in Gefahr. «Insgesamt glaube ich, dass die ICT-Investitionen kaum betroffen sind. Solche Planungen folgen der Geschäftsstrategie und sind entsprechend langfristig angelegt», führt er aus. Bleibt zu hoffen, dass die Währungskrise schnell genug überwunden werden kann, damit die Schweizer Unternehmenskunden nicht doch noch jenseits der Grenze auf Einkaufstour gehen – wie es grenznahe Privatkunden derzeit schon tun. Dass die Kurse von Dollar und Euro einen Einfluss auf die Schweizer Wirtschaft haben, bestätigt auch Eric Waltert, Director Strategic Accounts und zuvor Länderchef bei Cisco Schweiz. Immerhin würden die eigenen Produkte, weil aus den USA importiert, durch das Kursverhältnis günstiger. «Indirekt sind wir aber von der Exportfähigkeit der Schweizer Unternehmen abhängig», ergänzt Waltert. Nächste Seite: Senkrechtstarter Apple

Senkrechtstarter Apple

Krise hin oder her: In der Schweizer ICT-Szene war 2010 einiges los. So hat Apple seinen kometenhaften Aufstieg fortgesetzt und erstmals in der Geschichte der helvetischen Niederlassung die Milliarden-Franken-Marke geknackt. Damit zieht Apple Schweiz erstmals in die Top 10 ein – und zwar mit Schwung: Dem Aufsteiger gelingt es, dank einer enormen Wachstumsrate von fast 54 Prozent, gleich fünf Plätze gutzumachen. Mit seinem inländischen Umsatz von über 1,2 Milliarden Franken rückt das Unternehmen aus dem kalifornischen Cupertino sogar den Grosskonzernen IBM und HP langsam auf die Pelle, die mit ihren rund 1,8 Milliarden respektive fast 2 Milliarden Franken Umsatz die Ränge vier und drei belegen. Noch bleiben die Positionen der Platzhirsche auf Rang eins bis fünf unverändert. In den restlichen Top 20 des Computerworld-Rankings hat sich dagegen erwartungsgemäss wenig getan. Einzig Google konnte Boden gutmachen und sich dank seines starken Wachstums von rund 26 Prozent erstmals einen Platz unter den 20 umsatzstärksten Schweizer ICT-Firmen sichern.
Damit sind auch heuer hauptsächlich Apple und Google dafür verantwortlich, dass das Top-20-Gefüge des Schweizer ICT-Markts durchei-nander geschüttelt wird. Vor allem der Langzeitblick offenbart die Veränderung: In den letzten sechs Jahren hat Apple seinen Umsatz hierzulande in etwa versechsfacht. Auch Google konnte sein Umsatzvolumen innert drei Jahren nahezu verdoppeln. Generell ist zu beobachten, dass reine Software-Firmen wie Microsoft (2010: plus 14,3 Prozent) schneller wachsen als die «Gemischtwarenhersteller» HP (plus 7,0 Prozent) und IBM (plus 5,1 Prozent). Selbst SAP hat letztlich den Turnaround geschafft: Nach dem über 10-prozentigen Umsatzeinbruch im Jahr 2009 konnte das Unternehmen in der Schweiz wieder um 4,2 Prozent zulegen. Nächste Seite: Tops und Flops

Tops und Flops

Apple kann sich mit seiner Schweiz-Bilanz auch die Poleposition bei den absoluten Umsatzsteigerungen sichern. Mit einem Plus von 440 Millionen Franken ledert die Firma die Konkurrenten quasi ab. Nur halb so viel konnte im gleichen Zeitraum die SIX Group wachsen, nämlich um 220 Millionen Franken. Und Apple ist auch bei den prozentualen Umsatzsteigerungen vorne mit dabei. Mit einem Plus von 53,7 Prozent katapultiert sich das Unternehmen von Rang 11 auf Platz 5. Der iPhone-und iPad-Boom hat auch hierzulande die Firma in schwindelnde Höhen getrieben. Damit hängt auch das starke Wachstum von Kingston Technology zusammen. Deren Plus von 57,1 Prozent ist darauf zurückzuführen, dass die mobilen Geräte alle mit Speicherchips ausgestattet werden müssen. Mit organischem Wachstum alleine sind die Zugewinne der ersten drei helvetischen Firmen jedoch nicht zu erklären. Die Beinahe-Verdoppelung des Umsatzes der Exsigno Deloitte AG ist beispielsweise auf den Zusammenschluss der beiden etwa gleich starken Firmen Exsigno Stäfa Gruppe und Deloitte Consulting zurückzuführen. Auch Elconex verdankt ihr Umsatzwachstum von 75 Prozent der Übernahme der Firma Stretec. Aber eben nicht nur, wie CEO Reto Dürler gegenüber Computerworld ausführt. Der Markt für Accessoires, das Haupt-Business der Firma, laufe gut. «Zudem haben wir weitere Marken wie die Tablets der Firma Archos ins Programm genommen, die sich einer grossen Nachfrage erfreuen», erklärt der Chef der Seewiler Firma. Acommit verdankt ihr 66,7-prozentiges Wachstum ebenfalls teilweise einem Zukauf, wie Geschäftsführer Robert Zanzerl gegenüber Computerworld erklärt. So gehört die MAG Consulting aus Lyss als Acommit MGA inzwischen zur Acommit-Gruppe.
Doch wo so viel Wachstum herrscht, muss es auch Unternehmen geben, die schrumpfen. Bei den absoluten Zahlen ist das beispielsweise die Myriad Group, die 2010 gut 40 Mil­lionen Franken weniger umgesetzt hat als 2009. Der Dübendorfer Hersteller von Handy-Software hat unter anderem im vergangenen September 2010 den gewichtigen Grosskunden Sagem verloren. Schon damals meinte Myriad-CEO Simon Wilkinson in einer Pressemitteilung, dass das Ereignis «unglücklicherweise einen grossen Einfluss auf die geplanten Finanzergebnisse 2010» habe.
Computerworld-Sonderausgabe «Top 500»
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Harald Schodl



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