01.12.2011, 09:00 Uhr

Kein Geschäft mehr ohne Social Media

Unternehmen können bei Facebook & Co. nur verlieren – wenn sie nicht aktiv werden. Wie Banken und Betriebe vom sozialen Business profitieren, weiss IBM-Expertin Sandy Carter.
Sandy Carter von IBM schlägt eine «Agenda» für das soziale Business vor
Oben auf der Agenda von Marketingfachleuten, Werbetreibenden und Dienstleistern steht Social Media. Facebook & Co. halten allerorts Einzug in das traditionelle Geschäftsleben. Wie sich Unternehmen heute aufstellen können, um Profite aus Social Media zu schlagen, erklärt IBM-Evangelistin Sandy Carter im Gespräch mit Computerworld. Computerworld: Wie verwandle ich ein Business in ein Social Business? Sandy Carter: Wir schlagen eine «Social Business Agenda» vor, wobei «Agenda» ein Akronym ist. Das A steht für den Abgleich von Unternehmenszielen und der Firmenkultur. Die Unternehmenskultur ist entscheidend, denn wenn die Kultur nicht stimmt, führt man mit keiner Strategie der Welt Social-Media-Tools ein. Der Chemiekonzern BASF ist ein Beispiel: Die Unternehmensziele sind erstens, den Kunden bestmöglich zu unterstützen, und zweitens, die besten Mitarbeiter zu haben. Beim Erreichen des zweiten Ziels war die Unternehmenskultur ein Hindernis, denn der Konzern war sehr hierarchisch organisiert. Informationen wurden vertikal weitergegeben und nur selten horizontal. BASF entschied sich, eine Collaboration-Lösung einzuführen, mit der Informationen in alle Richtungen fliessen können. Damit veränderte BASF – vielmehr seine Mitarbeiter selbst – quasi nebenbei die Unternehmenskultur.

Genügt das Installieren einer Collaboration-Software? Nein, es muss mehr passieren. So sollten Firmen diejenigen Stimmen identifizieren, die über die eigenen Marken und Produkte sprechen. Drei Gruppen von Meinungsmachern werden unterschieden: Die aktiven Meinungsführer, die aber nur 5 Prozent der Benutzer ausmachen. Die viel grössere Gruppe – 75 Prozent – beteiligt sich nur selten an Diskussionen. Die übrigen 20 Prozent sind reine Zuhörer, die nie eine Meinung äussern. Als «Freunde» sollen Unternehmen zunächst die Meinungsführer gewinnen – gewinnen ist das G in Agenda. Aber auch die grosse Gruppe der wenig Aktiven ist interessant: Sie können womöglich zu mehr Engagement animiert werden, wenn man sie gezielt mit Informationen beliefert. Auch hier ein Beispiel: Der «Arabischen Frühling» in Ägypten lässt sich auf drei Twitter-Benutzer zurückführen. Allerdings waren nicht die Twitter-Konten mit den meisten Abonnenten, sondern diejenigen mit den einflussreichsten Tweets ausschlaggebend. Denn das Konto mit den meisten Followern gehört Justin Bieber. Der Sänger «zwitscherte» über die Ereignisse in Ägypten und über 15 Millionen Follower hörten zu. Die drei einflussreichsten Twitter-Konten des «Arabischen Frühlings» in Ägypten besitzen nicht annähernd diese Abonnentenzahl. Entsprechend sagt die simple Zahl der Follower nicht unbedingt etwas über Meinungsführerschaft aus. Firmen hätten gern, dass die Rechnung so einfach ist, sie stimmt aber nicht (immer). Nächste Seite: interaktive Organigramme Es ist vergleichsweise einfach, mit Monitoring-Software die externen Meinungsmacher zu identifizieren. Aber wie finde ich die internen Sprachführer? Auch hierfür gibt es Tools, zum Beispiel nutzt BASF die Software IBM Connections. Das Programm produziert ein Schaubild mit den Mitgliedern der Community und ihren Vernetzungen. Anhand dieser Grafik lassen sich die Personen bestimmen, die am besten vernetzt sind. Allerdings sind natürlich die Meinungsmacher nicht bei jedem Thema bestimmend. Ein Mitarbeiter mag einflussreich sein, wenn die Moral der Kollegen am Boden ist, bei der Produktentwicklung hat er aber nichts zu sagen. Das lässt sich auch in den Netzwerk-Grafen zeigen. Für was steht das E in Agenda?
Es steht für Engagement und meint, wie ein passives Mitglied der Community oder ein schweigsamer Mitarbeiter bewegt werden kann, sich einzubringen. Unternehmen stehen dabei diverse Mittel zur Auswahl, eines ist das Handy. 68 Prozent der Nutzer von Social Networks sind auch mobil aktiv. Wer daraus Profit schlagen will, braucht eine Mobilstrategie. Das Smartphone fordert per se Engagement. Die Nutzer sind am Handy aktiv, sie melden sich an Orten an, sie fotografieren und lokalisieren das Bild. Für einen Verkäufer ist es hilfreich, zum Beispiel eine automatisch generierte Agenda zu haben, die sich an den Ort anpasst, an dem er sich gerade aufhält. Die Agenda informiert über bevorstehende Termine und führt auf, welche lokalen Fachkollegen verfügbar sind. Wenn der Kunden Spezialfragen stellt, lassen sich die Experten einfach hinzuziehen. IBM errechnete für die hauseigene mobile Anwendung eine Produktivitätssteigerung von elf Stunden pro Kundengespräch. Natürlich hat nicht nur IBM den Nutzen erkannt. Eine Bank in Singapur lancierte zum Beispiel ein Mobil-Game, mit dem Kinder das Sparen lernen. In dem Game ist überall das Logo der Bank zu sehen, was in einer höheren Anzahl Kontoeröffnungen für Acht- bis Zwölfjährigen resultiert. Diese Kinder bleiben auch als junge Erwachsene Kunden der Bank. Um die Heranwachsenden zu binden, muss die Bank natürlich mit anderen Mitteln arbeiten. So wurden in den Filialen zum Beispiel Kaffeelounges mit WLAN installiert, in denen die jungen Kunden nach dem Abschluss ihrer Bankgeschäfte auch noch ihre E-Mail abrufen können. Damit lockt die Bank mehr Kunden in ihre Niederlassungen. Nicht alle Geschäfte lassen sich auf dem Handy abbilden. Wie lassen sich Anwender noch bewegen, sich zu engagieren?
Das zweite starke Lockmittel ist das Spielen – dies wird einer der nächsten grossen Social-Media-Trends sein. Gaming ist an sich schon sozial, da man immer mit anderen Spielern wetteifert. Gleichzeitig hat der Gamer Spass am Spielen, lernt auch noch etwas dabei – und sei es nur, wie er das Spiel gewinnen kann. Das machen sich Unternehmen schon heute zunutze: Etwa nutzt BlackBerry-Hersteller Reseach in Motion ein Spiel für die Fortbildung seiner Mitarbeiter in Social Media. Das Game lehrt die Angestellten, wie sie in virtuellen Gemeinschaften wie Facebook agieren oder Support via Twitter leisten. Nächste Seite: Nutzen von Facebook-Sperren Die Mitarbeiter lernen spielerisch und sind dabei gleichzeitig sozial. Jedoch betrifft das nur einen Teil der täglichen Arbeit – die Schulung. Wie lassen sich soziale Elemente in den gesamten Arbeitsprozess einbauen?
Dafür nützt es nichts, wenn der Geschäftsführer eines Tages ein Facebook-Konto eröffnet. Vielmehr fängt Social Business dort an, wo das Unternehmen in direkten Kontakt mit den Kunden ist. So sind heute Firmen am meist engagiert in den Bereichen Marketing, Kundendienst, Produkt- und Personalentwicklung. In allen diesen Sparten ist das Hinzufügen sozialer Komponenten naheliegend – sei es für die Werbung via Facebook, Support via Twitter, Wissens-Management in einem Wiki oder der Mitarbeitersuche auf LinkedIn. Einer McKinsey-Studie zufolge steigt die Kundenzufriedenheit um 18 Prozent, wenn von den Service-Angestellten soziale Tools genutzt werden. Die Produktentwicklung geschieht 20 Prozent schneller, die Kosten in der HR-Abteilung sinken um 15 Prozent.
Bei solchen Aussichten ist es merkwürdig, dass Schweizer Unternehmen und Behörden sich Facebook & Co. verweigern und die sozialen Plattformen im Büro sogar blockieren.
Ein Grund für die Blockadehaltung ist oftmals die fehlende Berücksichtigen von Social Media in der Unternehmensstrategie und den Sicherheitsvorschriften. Social-Media-Engagements müssen für das Reputations- und Risikomanagement designt werden – das D in «Agenda». Selbst wenn die Geschäftsleitung beschliesst, dass sich das Unternehmen auf Facebook oder Twitter nicht präsentiert, werden sich Verbraucher trotzdem über die Produkte äussern. Hier haben Firmen die Wahl, die Kunden ungezügelt kommunizieren zu lassen oder selbst aktiv zu werden. Indes: Eine Diskussion wird es auch dann geben, wenn sich Konzerne für eine Blockade entscheiden. Das Heraushalten aus Social Media ist schlicht unmöglich. Also müssen die Engagements mit den Sicherheitsrichtlinien und dem Risikomanagement abgeglichen werden. Dafür fehlt es Führungskräften aber häufig an Einsicht – und an Einblick.

Wie bekommen Geschäftsführer Einblick in das, was im sozialen Netz über ihr Unternehmen gesagt wird? Wie bringt man sie zur Einsicht, dass passives Zuhören keine Option ist? Indem den Managern aufgezeigt wird, wie sich das Geschäft durch die sozialen Plattformen verändert. Dazu analysiert man die die Online-Kommunikation – das zweite A in «Agenda». Hier geht es nicht nur um den Blick auf die eigenen Markennamen oder das Unternehmen  selbst, sondern um das Panorama, das Wettbewerbsumfeld und die allgemeinen Tendenzen in der sozialen Interaktion.

Um die «Agenda» wirklich umzusetzen und zu leben, müssen alle Mitarbeiter einer Firma mitmachen. Es gibt aber immer wieder Angestellte, die sich sperren. Was empfehlen Sie in diesen Fällen? Um diese Personen für das soziale Business zu gewinnen, muss man sie nicht vor einen Computer setzen. Ein Mitarbeiter kann sich auch am Handy einbringen, Wissen teilen und an der sozialen Gemeinschaft teilhaben. Generell benötigen Unternehmen immer eine mehrgleisige Strategie, um ihr Geschäft mit sozialen Komponenten anzureichern. Einige Verweigerer wird es immer geben und kein technisches Gerät ersetzt die direkte Interaktion zwischen Menschen. Sie bereichert das Geschäft, genau wie Social Media.



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