23.02.2017, 14:30 Uhr

«Die Lehre hält mit dem digitalen Wandel mit»

Schweizer Hochschulen vermitteln den Managern von morgen das Know-how für die digitale Transformation. Über Chancen und Herausforderungen spricht Markus Krack von der FHNW.
An Schweizer Universitäten und Hochschulen wird das Personal für die digitale Wirtschaft ausgebildet. Teilweise scheinen Forschung und Lehre dem digitalen Wandel hinterher zu hinken. Dem Eindruck widerspricht Markus Krack von der Fachhochschule Nordwestschweiz vehement. Im Gespräch mit Computerworld berichtet er, wie die Hochschulen den Schweizer Betrieben beim digitalen Wandel helfen. Computerworld: Wie arbeiten Forschung und Lehre mit der Industrie zusammen?
Markus Krack: Die Fachhochschule leistet neben Ausbildung sowie Weiterbildung auch die einen grossen Beitrag zur angewandten Forschung und Entwicklung. Hier arbeiten wir mit der Industrie zusammen in Projekten. Dafür kommen Unternehmen auf die Hochschule zu mit einer konkreten Aufgabenstellung. Die Fragestellungen reichen von Automationsprojekten, der Entwicklung von speziellen Applikationen für ERP-Systeme bis hin zur Entwicklung einer Smartphone-App.  In den Projekten steht allerdings der Forschungs- und Entwicklungsaspekt im Vordergrund. Dabei müssen beide Seiten profitieren. Wenn ein Unternehmen von uns lediglich eine Dienstleistung verlangt – etwa das Programmieren einer App – verrechnen wir die Arbeit genau wie ein IT-Anbieter. Schliesslich wollen wir nicht den Verdacht erwecken, an der Fachhochschule gibt es staatlich subventionierte Services. Neben den grösseren Forschungsprojekten besteht aber für Unternehmen auch die Möglichkeit, Aufgabenstellungen im Rahmen eines Studentenprojekts bearbeiten zu lassen. In den Projekten können die Studenten das theoretisch erlernte Wissen praktisch umsetzen. Sie dokumentieren beispielsweise Prozesse, nehmen die Abläufe mit verschiedenen Notationsmethoden auf und erarbeiten Verbesserungsvorschläge. Welche Rolle spielt die Weiterbildung bei der Fachhochschule? Die Weiterbildung hat in der Schweiz einen sehr hohen Stellenwert. Man kann von einer richtigen Weiterbildungskultur sprechen. In Deutschland zum Vergleich muss der Arbeitgeber seine Angestellten fast zwingen, eine Weiterbildung zu besuchen.
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Nächste Seite: Digitalisierung auf dem Lehrplan Können Forschungsvorhaben und Lehrpläne mit dem digitalen Wandel mithalten?  Ja, selbstverständlich! Es herrscht aktuell ein riesiger Hype um die Digitalisierung. Dabei ist es keine Revolution, sondern eine ganz normale Evolution.  Wenn wir uns erinnern an die Einführung des PC Anfang der 80-er Jahre: Damals herrschte grosse Angst, dass der Computer Millionen von Arbeitsplätzen kostet. Nichts ist geschehen, die Angestellten arbeiten heute wie früher in Büros – nur eben am PC. In der Ausbildung entstanden neue Disziplinen und Fachrichtungen, an der grundsätzlichen Lehre hat sich aber wenig verändert. Eine ähnliche Entwicklung sehe ich auch jetzt. Insbesondere dank der angewandten Forschung können unsere Dozenten am Puls der Zeit bleiben und aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung in der Lehre einbringen. 
Wie zeitgemäss sind heute die Forschung und Lehre noch? Was müsste sich ändern?  Im Bereich der angewandten Forschung und Entwicklung ist die FHNW an der Spitze dabei. In der Lehre hat der Wandel in Richtung digitaler Ausbildung erst begonnen. Dieses betrifft vor allem die Form, wie kann das Wissen vermittelt werden, weniger die Inhalte.  Eine der führenden Hochschulen im Bereich der digitalen Ausbildung ist im Moment die EPFL mit ihren MOOCs (Massive Open Online Courses).  Woran liegt es, dass die Fachhochschule noch zögert? Ist es das System oder sind es die Dozenten? Das System würde sehr viele Optionen bieten – von Online-Kursen bis hin zu elektronischen Prüfungen. Neue Lernformen und Methoden benötigen Zeit, bis sie erstens akzeptiert werden, und auch so entwickelt sind, dass sie die gewünschten Resultate liefern.  Zweitens birgt das e-Learning auch Gefahren: Es erfordert viel Selbstdisziplin. Die Fachhochschulen sind bekannt für den hohen Grad der persönlichen Interaktion zwischen den Studenten und den Dozenten. Gerade deshalb werden sie von vielen den Universitäten vorgezogen.  Wie digital ist das Studium jenseits des Präsenzunterrichts? Sind Sie zum Beispiel immer per E-Mail und Handy erreichbar? Sicher nicht immer. Aber die Studenten treiben uns Dozenten dazu, über die elektronischen Medien erreichbar zu sein. Nach den Vorlesungen werde ich häufig mittels E-Mail, der WhatsApp-Nummer oder Social Media kontaktiert. E-Mail ist heute Standard und wird von allen Studenten und Dozenten als Selbstverständlichkeit betrachtet. WhatsApp oder Social Media haben nicht bei allen Dozenten den gleichen Stellenwert.  Nächste Seite: Digitalisierung als Studentenprojekt  Wie können Forschung und Lehre den Schweizer Betrieben bei der digitalen Transformation helfen? Wichtige Leistungen ist die Aufklärung und die Ausbildung von qualifizierten Fachkräften. Dafür hat die FHNW als erste Hochschule der Schweiz die Kompetenzen gebündelt. Früher wurden Anfragen aus der Industrie von einem Institut beantwortet. Das geht heute nicht mehr, denn die Digitalisierung erfordert interdisziplinäres Know-how. Zum Beispiel benötigt ein Industriebetrieb bei einer Automatisation mit dem Ziel «Losgrösse eins» Fachwissen zu Sensoren für die Erkennung des Produkts, Wissen zu Aktoren für die Bearbeitung, Kenntnisse in Elektronik und Robotersteuerung sowie für die Entwicklung der Software. Für die Schnittstelle zwischen Maschine und Mensch ist auch noch die Psychologie gefragt. Die Disziplinen bringt die FHNW neu in einem Kompetenzzentrum zusammen. Können Sie ein Beispiel für ein interdisziplinäres Projekt geben? Ja, gerne. Ein Schweizer Armaturenhersteller strebte eine Massenproduktion mit Ziel «Losgrösse eins» an. Die Kunden wünschen sich heute vollkommen individualisierte Wasserhähne. Beim Wechsel der Serien fordert der Schleif- und Polierprozess aber Umrüstzeiten von rund sieben Stunden. Der Hersteller wandte sich an die FHNW mit der Bitte, eine Automatisation für einen schnelleren Umrüstvorgang der roboterisierten Zelle zu entwickeln. Heute übermittelt ein Cyber-Physisches-System dem Roboter das Produktdatenmodell des Rohlings. Anschliessend erkennen Sensoren die Konturen und steuern so den Prozess. Anstatt sieben dauert die Einrichtung des Roboters nun noch etwas mehr als eine Stunde. Ein anderes Beispiel ist Christenguss aus Bergdietikon. Früher mussten für die Produktion von Sandformen ein Giessereimodell hergestellt werden. Dieser Prozess dauerte zwischen drei Wochen und drei Monaten. Der Junior-Chef Florian Christen entschied, einen 3D-Sandrucker anzuschaffen. Das Gerät druckt nun die Sandform direkt und in einem Bruchteil der Zeit. Die Anschaffung des Druckers rief die ETH auf den Plan: Die Wissenschaftler bekundeten für die Architektur ihr Interesse, komplexe Modelle aus Sand drucken zu wollen. Die Aufträge der ETH entwickeln sich für Christenguss nun zu einem weiteren Standbein.  Nächste Seite: Digitalisierung misslungen Wie läuft so ein Beratungsprozess für ein Unternehmen ab? Der Fall von Christenguss war interessant. Florian Christen hat an der FHNW eine Fortbildung in Giessereitechnik besucht. Im Pausengespräch kam er mit der Bitte auf mich zu, eine Automatisierungslösung für die Gussputzerei zu finden. Ich schlug ihm ein Studentenprojekt vor. Daraufhin dokumentierten zunächst drei Studenten die Prozesse in der Giesserei. Das Ergebnis war für Christen eine grosse Überraschung: Jedes Gussteil wird mehrfach durch den kompletten Betrieb bewegt. Für die chaotischen Materialflüsse lieferten die Studenten Verbesserungsvorschläge, die Christen dankbar aufnahm. Was sind typische Fragestellungen von Unternehmen zur digitalen Transformation? Viele Unternehmen kommen auf die Hochschule zu mit dem Wunsch, gross in Industrie 4.0 einzusteigen. Wir müssen sie dann bremsen, denn der Ausgangspunkt ist nicht die Technologie. Zuerst müssen sich die Betriebe über das Geschäftsmodell klarwerden: Welchen Nutzen hat die neue Technologie intern, welche Nutzen hat sie für die Kunden? Wenn diese Fragen beantwortet sind, können die Prozesse intern sowie extern entsprechend angepasst werden. Dafür müssen auch Standards implementiert werden. Erst dann kann die Installation der Technologie starten. Ein klassisches Negativbeispiel für eine vorläufig misslungene Digitalisierung ist der SwissPass: Bei dem Projekt haben die SBB Fehler begangen, die man unbedingt vermeiden sollte. Sie sind von der Technologie ausgegangen und haben anschliessend Anwendungen gesucht. So habe ich früher bei einer Billettekontrolle nur mein Portemonnaie aufgeklappt, so dass der Zugbegleiter die Gültigkeit des GAs prüfen konnte. Heute muss ich den SwissPass aus dem Portemonnaie nehmen, dem Zugbegleiter überreichen, damit er es durch Auflegen auf das Smartphone prüfen kann. Für den Kunden ist der Prozess lästig, für den Kontrolleur ein massiver Mehraufwand.  Den Mehraufwand hatten die SBB in Kauf genommen, da der SwissPass den Zugang zu Kundendaten versprach. Die Sammlung war aber zuvor nicht mit dem Datenschützer abgestimmt worden. Prompt kam das Sammelverbot, die SBB mussten alle Kundendaten wieder löschen. Der Vorteil war dahin, der Mehraufwand bliebt. Ein absoluter Kardinalsfehler sind aber die fehlenden Standards: Ein GA ist gleichzeitig auch eine BahnCard in Deutschland, was früher mühelos zu verifizieren war. Heute können die Kontrolleure im angrenzenden Ausland den SwissPass nicht lesen. Der Schweizer Reisende benötigt also zusätzlich einen speziellen Nachweis – die internationale Rabattkarte – und zwar in Papierform. Nächste Seite: Wikipedia-Wahrheiten Wo hapert es bei der Forschung und Lehre in der Schweiz? Es hapert an wenig. Vielmehr ist die Schweiz sehr gut aufgestellt. Die politischen Rahmenbedingungen sind nach der wieder Vollassoziierung der Schweiz zu «Horizon 2020» wieder gut. Es wäre wünschenswert, dass dies so bleibt. Absolutes Gift ist zum Beispiel die Masseneinwanderungsinitiative, die für viel Verunsicherung gesorgt hat. Die ETHs, die Universitäten und auch die Fachhochschulen sind auf ausländische Forscher angewiesen.  Was benötigen Auszubildende und Studierende für neue Kompetenzen?  Neben den klassischen Basiskompetenzen wie Mathematik, Mechanik, Physik und Wirtschaft müssen die Studenten vermehrt Informationskompetenz erlernen. Der Zugang zu Information war noch nie so einfach wie heute. Aber die Studenten müssen lernen, welche Information für sie relevant sind und welchen Quellen sie trauen können. Sind die Inhalte der Wikipedia richtig, wird ein Thema im YouTube-Video korrekt wiedergegeben? Wie reagieren Sie, wenn ein Student Sie mit einer vermeintlichen Wikipedia-Wahrheit konfrontiert? Ich halte die Studenten an, sich kritisch mit den Quellen auseinanderzusetzen. Ein Beispiel: Jüngst legte mir ein Student eine Marktstudie zu 3D-Printing vor. Sie basierte rein auf Studien und Umfragen aus Online-Quellen. Da wurden Deloitte, Gartner, IDC und Wohler zitiert, die dem weltweiten Markt ein starkes Wachstum prognostizierten. Auf meine Frage nach dem Schweizer Markt beschied mir der Student, dass er im Web keine lokalen Informationen gefunden habe. Daraufhin beauftragte ich ihn, an eine Messe zu gehen, auf der die Anbieter ausstellten, und den Metallindustrie-Verband Swissmem zu kontaktieren. Aus beiden Quellen bekam er schliesslich aussagekräftige Daten für den Schweizer Markt, der übrigens ebenfalls wächst.  Was kommt in den nächsten drei Jahren neu auf die Forschung, die Lehre und die Studierenden zu? Die Forschung wird immer interdisziplinärer werden. Dabei ist wie gesagt die FHNW mit den Querschnittsfunktionen schon fortgeschritten, aber noch nicht am Ziel angekommen. Zu erwarten sind auch hochschulübergreifende Teams, die dank zum Beispiel Skype nicht einmal an einem Ort sitzen müssen. Erste Erfahrungen sind schon vorhanden.  Die Lehre ist gerade den Schritt vom maschinengeschriebenen Skript zum PowerPoint gegangen. Heute liegen die Präsentationen nach der Vorlesung im öffentlichen Ordner zum Abruf bereit. Das Verkaufen und Kopieren der Texte ist Vergangenheit. Demnächst wird noch die Präsenzlehre durch MOOCs ergänzt oder je nach Stand weiter ausgebaut.



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