21.01.2011, 06:00 Uhr

Gefahren erkennen und umschiffen

Risiken zu erkennen und rechtzeitig die richtigen Gegenmassnahmen zu ergreifen, ist für Schweizer Unternehmen überlebenswichtig. Wie gehen Geschäftsführer dabei am besten vor?
Der Autor ist geschäftsführender Gesellschafter der Leo-Impact Consulting GmbH mit den Schwerpunkten Sanierung, Restrukturierung, M&A, Aufbau neuer Märkte sowie Change Management in Umbruchsituationen Der CEO von heute steuert sein Unternehmen durch zunehmend volatile und anspruchsvolle Märkte, die sich laufend auf und ab bewegen: 1999 – Hype, 2004 – Rezession, 2009 – Krise, 2010 – Hoffnung. Aus diesen teils unvorhersehbaren Zyklen folgt, dass jedes Unternehmen permanent optimieren, sich jederzeit neu erfinden muss. Getreu dem Motto: Nach der Krise ist vor der Krise. Mit dieser Schlussfolgerung rückt die Risikofrüherkennung als wichtige Kompetenz der Unternehmensführung in den Fokus. Idealerweise ist sie allerdings nicht Selbstzweck oder Panikmache. Vielmehr entsteht Risikofrüherkennung aus Initiativen der strategischen und operativen Unternehmensführung, durch eine laufende Optimierung des Geschäfts. Eine solche Optimierung wiederum setzt eine tief greifende und unternehmensindividuelle Analyse voraus. Dabei wird jeder Baustein des Geschäfts identifiziert und im positiven Sinne analysiert: Ist der Baustein noch krisenfest und zukunftsfähig oder sollte er verändert werden? Geschäftsmodellanalyse Für die Beantwortung dieser Frage empfiehlt sich eine methodische Geschäftsmodellanalyse (Bild 1). Das hier bezeichnete Geschäftsmodell geht von einer stringenten Kundensicht aus, lenkt sämtliches unternehmerisches Handeln aus Richtung der Kunden und überprüft die Kundenschnittstelle (Kunden-Interface). Die physische Leistungserstellung wird mit externen Partnern und Einflussgebern aller Art komplettiert (Kooperation). Externe und interne Wachstumsbeschleuniger beziehungsweise -bremser zeigen die Grössenpotenziale des Unternehmens auf (Volumen). Das quasi metaphysische Ergebnis findet sich in der Ertrags-logik wieder. Alle diese Teillogiken werden nach innen (Integration) genauso wie nach aussen geführt (Differenzierung). Ein dauerhaft erfolgreiches Unternehmen optimiert sich laufend auf allen genannten Ebenen. Für eine solche Echtzeit-Optimierung auf allen Ebenen bietet unsere Geschäftsmodell-analyse einen umfangreichen Fragenkatalog für den praktischen Einsatz an (siehe Box S. 42). Diese Leitfragen sind nicht als vorgefertigte Handlungsmassnahmen zu verstehen, sondern stellen vielmehr die richtigen und wichtigen Fragen. Bei der Beantwortung geht es natürlich auch um Inhalte, vor allem aber um die Art und Weise der Beantwortung – die Fragen sind aufeinander bezogen sinnvoll zu beantworten. Aus der Beschreibung und Bewertung der Antworten entsteht danach das Geschäftsmodell. Dabei kann durchaus mehr als eine Strategie abgeleitet und mehr als ein Handlungsparameter festgelegt werden. Ziel ist die Entwicklung eines stimmigen, Erfolg versprechenden Geschäftsmodells. Dies dient sowohl der Unternehmensleitung als auch Kapitalgebern zur Identifikation von strategischen und operativen Handlungsfeldern und Risikolagen zugleich. Zusätzlich zur Detailanalyse ergibt sich aus den Antworten eine übersichtsartige Gesamtschau, indem die Antworten qualitativ gewichtet und grafisch zusammengefasst werden: Schritt 1: Je Fragensegment alle Fragen tabellarisch auflisten und die Antworten in «aussichtsreich», «neutral» und «wenig aussichtsreich» qualifizieren. Die aussichtsreichen und neutralen Punkte gewichtet summieren. Schritt 2: Alle zusammenfassenden Beurteilungen der sechs Teilmodelle bzw. -konzepte in einem Bewertungsnetz grafisch zusammenfassen (vgl. Fallbeispiele in Bild 2 und 3). Soweit die Methodik im Überblick. Zwei Beispiele aus der Praxiserfahrung des Autors als Beirat, Aufsichtsrat und Berater erbringen den konkreten Umsetzungsnachweis. Zunächst geht es um einen weltweiten Nischenmarktführer, der auch turbulente Zeiten zu bewältigen hatte, anschliessend um einen inzwischen wieder ausschliesslich deutschlandweit tätigen Nischenanbieter, der seine Internationalisierung und Diversifizierung aufgeben musste, um zu überleben. Fall 1: Vom Start-Up zum Marktführer Die Native Instruments GmbH in Berlin und Los Angeles stellt Produkte für die rechnerbasierte Musikproduktion, insbesondere für elektronische Musik, her. Die Kunden des Unternehmens sind Profis der internationalen, digitalen Musikszene, also Producer, Musiker, DJs und andere. Gegründet Ende der 1990er-Jahre, wächst das Unternehmen sehr dynamisch und ist Weltmarktführer in mehreren Produktkategorien. Kunden-Interface: Das Unternehmen verkauft Downloads auf der eigenen Website mit überproportionalem Erfolg. Internationale Dist-ributoren und grosse Musikinstrumente-Retailketten, vor allem in den USA, zählen zu den hochzufriedenen Kunden. Denn dem Endkunden – fast ausschliesslich Berufsmusiker und sehr fortgeschrittene Musikamateure mit Affinität zu digitaler Musik – wird stets ein Produktset angeboten, das auf Profis zugeschnitten ist und von teilweise weltbekannten Künstlern getestet worden ist. Alle Produkte laufen auf nativen Prozessoren und sind vielfältig einsetzbar. Kooperationslogik: Ideengeber sind Top-Künstler, Testkunden, Referenzkunden und Werbepartner als Teile einer eigenen, sehr lebhaft genutzten Produkt-Community auf der eigenen Website. Sorgfältig ausgewählte und eng geführte Partnerunternehmen für die Hardware-Herstellung und die weltweite Logistik machen das Unternehmen zum Teamplayer mit Kernkompetenzen in Entwicklung und Design, mit eigener Software und Hardware. Ertragslogik: Grundlagentechnologie (die Echtzeit-Klangerzeugung auf Standard-Computerprozessoren) bildet die Basis für eine optimale Klangsynthese. Mit modernsten Entwickler-Tools und Entwicklungsstrategien entstanden mehrere Plattformen für Produktfamilien, in denen die einzelnen Produkte nicht immer von Grund auf neu entwickelt werden mussten. Die Integration von Hardware als kompromisslos und optimal abgestimmte Bedieneinheiten integriert Software und Hardware in ein Gesamtkonzept. Volumenlogik: Durch den Einsatz moderner Sicherheits-Tools sowie die Integration von Soft- und Hardware fallen Crack-Raten akzeptabel aus. Systematisch vermarktbare Produktfamilien und Produkt-Bundles machen gezielte Marketingkampagnen und Mehrwertaktionen möglich. In einem zwar zyklischen, im Grunde aber nachhaltig und deutlich wachsenden Weltmarkt führt dies zu einer insgesamt starken Marktstellung und zu einer guten Verhandlungsposition beim Handel. Differenzierungskonzept: Ziel ist, technologisch das Beste und in der Handhabung das Einfachste zu bieten und damit kompromisslos höchste Kundenansprüche in einem schnell wechselnden Marktumfeld zu bedienen – trotz immer wieder neuer Ideen und Konzepte von Wettbewerbern, Start-ups, herkömmlichen Hardware-Anbietern und Consumer-Software-Anbietern wie Apple. Das Unternehmen fokussiert sich klar auf den Profi und fortgeschrittenen Amateur. Mehrfach unterjährig und umfassend alle Jahre werden Teilstrategien überdacht, überprüft, weiterentwickelt und Geschäftsansätze getestet.  Integrationskonzept: Der Schlüssel zum Erfolg liegt im professionellen Management, einer auf Wachstum getrimmten Organisation  und einer Mannschaft, die von sich aus «die Welt erobern» will. Fazit: In etwas mehr als zehn Jahren hat das Unternehmen den steilen Weg vom Start-up zum Weltmarktführer geschafft – mit einem umfassend runden Geschäftsmodell (vgl. Bild 2). Fall 2: Turnaround in der Krise Kunden des Krisenunternehmens aus Deutschland sind Grossunternehmen der Nahrungsmittelindustrie. Vor einigen Jahren akquirierte das Unternehmen einen Venture-Kapitalgeber und brach in Richtung internationaler Märkte wie Russland auf. Produkt- und Service-Diversifikation sollte damals gänzlich neue Anwendungs­gebiete erschliessen. Kunden-Interface: Auf Grundlage einer relevanten Marktdurchdringung in der deutschen Nahrungsmittelindustrie und einer bald erreichten Nischenmarktführerschaft mit einer selbst entwickelten ERP-Anwendung lag es nahe, das Geschäft auf ähnlich grosse Kunden im Ausland auszuweiten. Zuerst wurden die Märkte Osteuropas angepeilt. Dort gibt es zwar grosse, potenzielle Kunden. Unterschätzt wurde dabei allerdings, dass sich deren Geschäftsgebaren erheblich von dem deutscher Kunden unterscheidet. Es entstanden – pointiert gesagt – ausser Spesen und Installationen nur wenig mehr als offene, nicht eintreibbare Forderungen. Auch die Markteinführung einer zwar bei den Kunden erfolgreichen, allerdings gecrackten osteuropäischen Software kann nicht gerade als Erfolgsfaktor gewertet werden. Der 2001 gefällte Diversifikationsentscheid zu B2C-Kunden mobiler Anwendungen führte zu Produkten, die sich überwiegend zu Ladenhütern entwickelten. Grund: Das Kundenverständnis fehlte und die damalige mobile Geräte- und Netztechnologie war noch zu wenig performant. Die Sanierungsentscheidung hiess: Refokussierung auf grös­sere und mittlere Kunden plus ausschliesslicher Konzentration auf ERP-Software. Das Geschäftsziel: Wachstum ermög­lichen sowie eine SAP-Business-One-Servicepartnerschaft und ein relevantes Servicegeschäft aufbauen. Kooperationslogik: Kunden haben im angestammten Hauptgeschäft sowie im Sanierungs­geschäftsfeld ERP-Software in Serviceprojekten gemeinsam mit dem Hersteller agiert. Ertragslogik: Das in der kleinen Nische marktführende Produkt konnte durch regelmässige Updates und Optimierungsprojekte rentabel geführt werden. Das Servicegeschäft mit SAP Business One ist als Beratungsgeschäft bei entsprechender Auslastung per se rentabel. Volumenlogik: Ein Nischenmarkt mit gutem Wachstumspotenzial plus der ERP-Software SAP Business One, ergänzt durch das dazugehörige Servicegeschäft. Differenzierungskonzept: In der Nische profundes Spezialwissen, verbunden mit erheb­lichen Wechselkosten und entsprechender Wechselunwilligkeit aufseiten der Kunden. Im Bereich SAP Business One nimmt das Unternehmen effektiv Grosshandels- und Dienstleistungsfunktion wahr. Integrationskonzept: Inhabergeführtes Unternehmen. Fazit: In rund 15 Jahren mit teils sehr turbulenten Zeiten gelang es der Geschäftsführung – auch mit Beraterhilfe –, das Unternehmen zu erhalten und neu zu positionieren (vgl. Bild 3). Indem negative Ausschläge des Geschäftsmodells wegrestrukturiert wurden, ist ein noch überlebensfähiges Unternehmen entstanden, ohne existenzgefährdende Schwächen, aber auch ohne allzu grosse positive Fantasie.Fazit: Regelmässig überprüfenDie Beispiele aus der Praxis machen drei Faktoren deutlich, die für eine erfolgreiche und nachhaltige Unternehmensführung wichtig sind. 1. Geschäftsmodelle können sich über die Zeit verändern und müssen deshalb geführt bzw. gestaltet werden. 2. Erfolgreiche Geschäftsmodelle tragen dazu bei, dass ein Unternehmen eine Branche erschafft und beherrscht. 3. Schwache Geschäftsmodelle können im Extremfall die Existenz eines Unternehmens aufs Spiel setzen. Entsprechende Bedeutung kommt daher einer regelmässigen Evaluation und Überarbeitung des eigenen Geschäftsmodells zu – verstanden als praktische Risikofrüherkennung und Neupositionierung auf allen Ebenen. Leitfragen Hinter den Logik- und Konzeptbausteinen (Bild 1) stehen insgesamt 30 allgemeine Leitfragen, die durch knapp 600 Spezialfragen detailliert werden. Die Leitfragen:Kunden-Interfacelogik Welche Zielgruppe?Wie und welches Kommunikations- und Kontakterlebnis?Wie und welches Kauferlebnis?Wie und welches Nutzenerlebnis?Wie und welche Vertragsformen?Wie und welche Wechselkosten? Kooperationslogik Wie und welche Arbeitsteilung in der Wertschöpfung?Wie, wo, wann und von wem?Welche Qualitäten?Zu welchen Kosten/Zahlungsbedingungen?Welche Wechselpotenziale?Wie und welche Vertragsformen für interne und externe Kooperationen?Welche Ertragslogik?Gewinn- und Verlustrechnungsstruktur?Welche Bilanzstruktur?Wie und welche Preiskalkulation?Wie und welche Kostenverhandlung?Wie und welche Investitionsplanung?Wie und welche Finanzierungsinstr.? Volumenlogik Wie und welches qualit. Wachstum?Wie und welches quantitative Volumen bzw. Wachstum?Welche externen Volumentreiber?Welche Wachstumsgrenzen?Welche Wachstumskorrelationen?Welche Risikopolitik?Welches Differenzierungskonzept?Wie und welcher Kundennutzen für welche Zielgruppe?Welche Technologien und welcher Technologieschutz?Wie und welche Differenzierung gegenüber Wettbewerbern bei der Erfüllung des Kundennutzens in allen Geschäftsmodelllogiken und -konzepten? Integrationskonzept Welche Persönlichkeiten entscheiden in welchem Entscheidungsprozess?Wie und welche Verantwortlichkeiten? Wie und welche Motivationen? Literatur: Leoprechting, Gunter Frhr. v. (Hrsg.), Unternehmens­sanierung, NWB Verlag (Herne/Deutschland), 2010. Mit Checkliste zur Geschäftsmodellanalyse aus knapp 60 Detailfragen. www2.nwb.de/portal/content/ir/produkte/nwb_web_produkt_747456.aspx



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