LTE 03.11.2010, 06:00 Uhr

mehr Bandbreite für Mobilfunknetze

Nichts ist in der mobilen Datenkommunikation so beständig wie der laufend zunehmende Bandbreitenhunger. Neue Netztechnologien, kombiniert mit der alten, aber optimierten Technik, können den Hunger stillen.
Product Marketing Manager, Swisscom Corporate Business Die technische Entwicklung legt auf dem Gebiet der mobilen Kommunikation ein ungeheures Tempo vor und macht so auch neue, hochflexible Arbeitsformen möglich. Persönliche Bedürfnisse lassen sich optimal auf die geschäftlichen Bedürfnisse abstimmen und umgekehrt. Das Arbeiten, wann und wo immer man will, auf neudeutsch die «Business Mobility», setzt allerdings eine uneingeschränkte Konnektivität voraus, verbunden mit einer hohen Sicherheit bei der Datenübertragung. Zudem werden im Privatbereich beliebte Anwendungen wie Facebook oder YouTube auch unterwegs zeit- und bandbreitenintensiv genutzt. Ihre Popularität verdankt die mobile Datenkommunikation, neben der grossen Auswahl an Endgeräten und populären Diensten, auch den zunehmend attraktiven Preisangeboten, zum Beispiel Flatrates. So fiel der Durchschnittspreis pro Megabyte in der Schweiz bei Swisscom in den vergangenen drei Jahren um rund 95 Prozent. Als Folge der grossen Nachfrage verdoppelt sich das übertragene Volumen allein auf dem Mobilfunk-netz von Swisscom etwa alle sieben Monate. Weltweit verdreifacht sich nach Angaben von Ericsson der mobile Datenverkehr jährlich und wächst mittlerweile zehnmal schneller als der mobile Sprachverkehr. Weil ein Ende dieses Trends nicht in Sicht ist, stehen alle Betreiber vor einer grossen Herausforderung: Sie müssen die Netzabdeckung und -kapazität sowie die Übertragungsgeschwindigkeiten erhöhen. Das Mittel der Wahl ist dabei die weitere Verbesserung der bestehenden Mobilfunknetze der dritten Generation (3G/HSPA+), ergänzt durch vollständig neue 4G-Netze.

Evolution von 3G nach 4G

Prinzipiell stehen für 4G zwei Technologien zur Verfügung: WiMAX (Worldwide Interoperability for Microwave Access) und LTE (Long Term Evolution). Die Funklizenzen für WiMAX wurden in der Schweiz zwar versteigert, jedoch an das Bakom zurückgegeben, weil niemand tatsächlich ein kommerzielles Netz aufgebaut hat. Die 4G-Technologie ist mit bestehenden Mobilfunknetzen inkompatibel, was einen kostenintensiven Netzaufbau bedingt hätte. In Deutschland entstanden ab 2007 zwar einzelne WiMAX-Netze, jedoch nur in einigen wenigen Städten und Regionen. Die erzielten Bandbreiten liegen ausserdem weit unter 1 Mbit/s und taugen kaum als DSL-Ersatz, wie anfangs noch behauptet. Für die europäischen Frequenzbereiche sind darüber hinaus kaum Endgeräte verfügbar. Auch bei den Ausrüstern schwindet mittlerweile das Interesse an WiMAX. Der weltweit grösste Datennetzwerklieferant Cisco gab im März 2010 bekannt, keine WiMAX-Basisstationen mehr zu entwickeln. Stattdessen werden in der Schweiz der UMTS-Ausbau (HSPA und HSPA+) und neue Funk-technologien wie LTE gezielt vorangetrieben. Beide Technologien teilen die zur Verfügung stehende Bandbreite unter den Benutzern einer Funkzelle sehr effizient auf. Die vorhandene UMTS-Infrastruktur wurde schon bisher über Hardware- und Software-Erweiterungen ständig weiterentwickelt und dadurch immer leistungsfähiger, etwa bei der Einführung von HSPA (High Speed Packet Access) in UMTS-Netzen. Bei HSPA+ mit 21 Mbit/s reicht im ersten Schritt ein Software-Upgrade. Bei der nächsten Evolutionsstufe mit 28 Mbit/s ist dagegen neben neuer Software auch neue Hardware erforderlich. Weitere Steigerungen bei den Bitraten werden folgen. Dabei kommt jeweils MIMO (Multiple Input, Multiple Output) zum Einsatz, eine hoch entwickelte Mehrantennentechnik, die sich bereits in WLANs bewährt hat. Sie verbessert die Empfangsqualität, erhöht den Datendurchsatz und verringert gleichzeitig die Latenz. MIMO wird auch bei LTE eingesetzt.

Fliessender Übergang ab 2011

Das weltweite Interesse an LTE als 4G-Technologie steigt, entsprechende Frequenzen stehen in nächster Zeit zur Versteigerung an. Der Übergang von 3G zu 4G wird fliessend vollzogen und bringt weitere Verbesserungen bei der mobilen Internetnutzung. LTE nutzt OFDMA als Access-Technologie (Orthogonal Frequency Division Multiplex Access) mit neuer Netzarchitektur, neuen Basisstationen und neuem Kernnetz (Core Network). Um die Praxistauglichkeit von LTE zu prüfen, führt Swisscom seit April 2010 nach intensiven Labortests auch einen Feldversuch durch, der bis zum Herbst 2010 andauern wird. Nach heutiger Planung wird LTE das Mobilfunknetz frühestens ab Ende 2011 ergänzen. Wo immer möglich, sollen LTE-Netze auf Basis bestehender Senderstandorte aufgebaut werden. Nach der Frequenzversteigerung im Laufe der ersten Hälfte 2011 wird die Einführung - wie schon bei UMTS - schrittweise erfolgen, zunächst insbesondere an stark frequentierten Orten mit hohem Datenvolumen. Theoretisch (d.h. unter Labor-bedingungen) sind bis zu 300 Mbit/s im Download und 75 Mbit/s im Upload möglich. In der ersten Ausbauphase rechnet man unter idealen Bedingungen etwa mit bis zu 100 Mbit/s im Download. In den ersten kommerziell betriebenen LTE-Netzen in Stockholm und Oslo wird dieser Wert derzeit erreicht. LTE schafft die Grundlage für bandbreitenintensivere Internetanwendungen auf dem Mobilfunknetz wie etwa Live-Fernsehen in hoher Auflösung. Wie bei 3G teilen sich auch bei LTE mehrere Teilnehmer die verfügbare Bandbreite.

Erste Erfahrungen mit LTE

Bislang existieren weltweit nur wenige Erfahrungen mit der LTE-Technologie. Im nördlichen Nachbarland Deutschland wurden die LTE-Frequenzen im Frühjahr 2010 versteigert. Die Markteinführung wird für Ende 2010 oder Anfang 2011 erwartet. Insbesondere bisher nicht versorgte Regionen sollen von LTE profitieren. Im Gegensatz zu den Vorgängertechnologien GSM und UMTS wird LTE übrigens keine Sprachkanäle bereitstellen. Ausnahmen bilden VoIP-Anwendungen wie Skype, für die LTE zwar durchaus geeignet sein wird, die aber nicht im Vordergrund stehen. Auch aus diesem Grund werden die ersten 4G-Handys als Hybrid-Modelle gefertigt, die für Telefonate zusätzlich einen UMTS- und/oder einen GSM-Chip besitzen. LTE-fähige Endgeräte sind zurzeit nicht kommerziell verfügbar. Sie werden in geringer Stückzahl frühestens für Ende 2010 erwartet. Mit LTE-Handys ist allerdings vor 2011 kaum zu rechnen. Der Schwerpunkt liegt daher klar auf USB-Sticks (Surf-Sticks), die den Net- und Notebooks schnelle Datenverbindungen ermöglichen. Vor allem Anwendungen wie Videostreaming in HD-Qualität, Videokonferenzen und Netzwerkspiele profitieren so vom höheren Durchsatz und von geringeren Latenzzeiten.
Das Ende der Daten-Flatrate?

Der exponentiell ansteigende Datenverkehr stellt praktisch alle Mobilfunknetzbetreiber vor grosse betriebliche und finanzielle Herausforderungen. Beobachtungen zeigen, dass zwar nur wenige Kunden permanent hohe Bandbreiten beanspruchen. Diese wenigen zwingen aber die Anbieter dazu, die Kapazitäten ihrer Mobilfunknetze aufwendig zu managen.

In den Leistungsbeschreibungen von Swisscom verpflichtet sich der Kunde daher zur Einhaltung einer «Fair Use Policy». Dazu sagt z.B. die Leistungsbeschreibung des Mobile VPN Access Services Folgendes (Auszug): «Damit der Service allen Nutzern gleichermassen und in hoher Qualität zur Verfügung steht, darf er nicht für die permanente oder lange andauernde Datenübertragung über das Mobilfunknetz eingesetzt werden. Unzulässig sind insbesondere Anwendungen mittels Datenstreaming (z.B. bei Radio- und TV-Programmen), grössere Software-Up- und -Downloads, grössere Daten-Backups, generell der Transport grosser Datenmengen, welche eine hohe Netzbelastung zur Folge haben.

Zulässig ist die übliche Nutzung des Services für typische Remote-Arbeiten (E-Mail, Zugriff auf Datenserver und Share-Ablagen, Nutzung von Firmenapplikationen etc.)». Weil die Daten-Flatrate zu einer extensiven Nutzung einlädt, wird bereits über deren Ende spekuliert. Vor dieser Überlegung stehen vor allem Netzbetreiber, die mit aggressiven Preisen am Markt aufgetreten sind und teilweise sogar Festnetzangebote unterboten haben. Angesichts des grossen Wettbewerbsdrucks ist jedoch kaum eine Preiskorrektur nach oben zu erwarten. Es bleibt also offen, welchen Weg die Telekombranche zur Beantwortung der Kapazitätsfrage einschlagen wird.
Rüdiger Sellin


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