Suva 10.02.2016, 08:00 Uhr

Software erkennt falsche Rechnungen

Was hat die Anti-Baby-Pille mit dem Grünen Star zu tun? Eher nichts, weiss Rolf Schmidiger von der Suva. Solche Spital-Rechnungen filtert eine Software heraus und spart so Millionen.
Die Schweizer Kranken- und Unfallversicherungen verarbeiten jährlich über 25 Millionen Rechnungen. Die Dokumente enthalten medizinische Codes und kryptische Abkürzungen, die zum Beispiel bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt Suva von einer Software automatisch ausgelesen und verarbeitet werden. Die Lösung heisst Sumex II und ist vom IT-Dienstleister Elca gemeinsam mit der Suva entwickelt worden.
Sumex geht laut Felix Musterle von Elca auf das Jahr 2001 zurück. Seither wurde die Software kontinuierlich weiterentwickelt. Das Programm prüft Rechnungen auf strukturelle Fehler, etwa ob eine Praxis eine technische Ausstattung besitzt, die in dem Dokument aufgeführt ist, oder ob ein Mediziner eine abgerechnete Qualifikation vorweisen kann. Die Grundlage für die Prüfungsprozeduren seien beispielsweise die Eidgenössische Analyseliste, Arzneimittel-Listen des BAG, Tarife wie Tarmed und Verträge, sagt Musterle. Die Checks funktionieren grösstenteils automatisiert, ein Sachbearbeiter greift nur in Zweifelsfällen ein.  Mit einem neuen Fraud-Detection-Modul wurde 2015 die strukturelle um eine semantische Rechnungsprüfung erweitert. In diesen Prozeduren schlummert alleine bei der Suva das Potenzial von Millionen-Einsparungen, weiss der verantwortliche Manager Rolf Schmidiger. «Die meisten Rechnungen sind laut Tarif korrekt, aber nicht immer passt zum Beispiel eine Therapie zum gemeldeten Unfall.» Um diese fehlerhaften oder gar betrügerischen Fälle zu identifizieren, war schon in der Konzeptionsphase das Fachwissen von Schmidiger und seinen Kollegen aus dem Business unbedingt erforderlich. Die Suva-Mitarbeiter hatte Elca eng in die Entwicklung von Sumex II eingebunden. Nächste Seite: kuriose Rechnungen Die Spezialisten von der Suva wissen, wie sich verfälschte Rechnungen lesen. Die schiere Masse lässt es aber nicht zu, dass alle Positionen einzeln und manuell geprüft werden. Hier leistet der Sumex-Algorithmus gute Dienste. Die Software detektiert besonders auffällige Rechnungen und filtert sie zur manuellen Beurteilung heraus. Dank der automatischen Verarbeitung müssen die rund 50 Fachexperten heute nur noch eine geringe Anzahl der circa 600'000 Fälle pro Jahr respektive 20 Millionen Positionen kontrollieren.
Die obligatorischen Verträge mit dem Unfallversicherer enthalten weder einen Selbstbehalt noch eine Franchise. Diese Tatsache verführt dazu, dass nicht zwischen Krankheit und Unfall unterschieden wird. Die Suva muss nach den Worten Schmidigers etwa bestimmen, ob ein Parkschein in Kombination mit einem Spitalbesuch vergütet werden kann, eine Prostata-Untersuchung bei einer Knieverletzung angezeigt ist, es einen Zusammenhang zwischen dem Grünen Star und einer verschriebenen Anti-Baby-Pille gibt oder eine Schwangerschaftsuntersuchung nach einem Töff-Unfall erstattungspflichtig ist. «Auf den ersten Blick mögen Unfall und Therapie nichts miteinander zu tun haben», sagt der Suva-Experte. Pauschal und automatisiert (durch eine Software) könnten aber nicht alle Entscheidungen getroffen werden. Für die Suva ist der Aufwand gering: «Das Zurückweisen einer Rechnung kostet wenig. Damit lohnt sich der Prozess auch bei tiefen Beträgen», erklärt Schmidiger. Die Kontrolle und Verarbeitung der Rechnungen werde in Zukunft noch effizienter, glaubt Musterle. Laut dem Divisionsleiter Gesundheitswesen lerne Sumex bei jeder kontrollierten Rechnung dazu: Die Software kann auf immer mehr Daten und Wissen zurückgreifen, auch weil Sachbearbeiter, die vom System als auffällig markierte Rechnungen prüfen, Feedback wieder einspeisen, etwa warum eine Rechnung bezahlt oder zurückgewiesen wurde.  Nächste Seite: Infrastruktur für Big Data Die Sumex-Lösung spart der Suva viel manuelle Prüfarbeit. Die Systemvoraussetzungen dafür sind aber vergleichsweise gering. «Die Software wurde in Java realisiert und läuft somit auf unterschiedlichsten Systemen. Auf einem handelsüblichen Server können 400'000 Rechnungen pro Nacht verarbeitet werden», sagt Elca-Manager Musterle. Die Programmierer hatten bewusst für eine Eigenentwicklung und gegen eine Standard-Software entschieden, um die Lizenzkosten tief zu halten. 
Das gilt auch für die zugrundeliegenden Algorithmen: Anstatt einer R-Implementierung wurden Java-Bibliotheken gewählt, die statistische Verfahren ebenso beherrschen. Wie Musterle erklärt, kommen bei den Kontrollen verschiedene statistische Methoden wie Clustering im n-dimensionalen Raum, Decision-Trees, Outlier Detection, Principal Component Analysis und Wahrscheinlichkeitsverteilungen zum Einsatz. Alle Routinen würden im laufenden Betrieb anhand von anonymisierten Live-Daten regelmässig geeicht. «Die Tests für die Identifikation komplexer Muster liefern lediglich Wahrscheinlichkeiten. Die Sachbearbeiter haben immer das letzte Wort», betont Suva-Manager Schmidiger.

Grenzen von Sumex II

Für die Auswertungen und Kontrollen der Rechnungen werden bis anhin noch nicht alle verfügbaren Informationen genutzt. Laut Schmidiger könnten die Routinen noch verbessert werden, wenn als Vergleichsobjekte auch unstrukturierten Daten wie Arztberichte in die Analysen mit einfliessen würden.  Um die theoretischen Möglichkeiten der fortgeschrittenen statistischen Methoden weiss Elca-Divisionsleiter Musterle. Aktuell absolviert die Software zwar schon komplizierte Prozeduren, die Module können aber einfach erweitert werden. Würden etwa prädiktive Verfahren eingesetzt, liessen sich Vorhersagen über mögliche Verläufe eines Falls treffen und ein entsprechendes Case Management aufgleisen.


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