18.03.2013, 10:04 Uhr

Schweiz im Cloud-Fieber

Schweizer Software-Anbieter rüsten in Sachen Cloud mächtig auf. Dort scheint das grosse Geld vergraben. Was taugen die Angebote, was planen die Hersteller?
Welche Cloud-Lösungen bringen wirklich etwas?

Schweizer Anbieter investieren zwei- bis dreistellige Millionenbeträge in die Cloud. Endlich, denn lange wurde unter Schweizer Wirtschaftsgrössen über Patriot Act, Sicherheit und Servicequalität diskutiert, Pro und Kontra hin- und hergeschoben. Völlig zu Recht, denn das Beschaffungsmodell Cloud kommt nach der Mainframe- und der Client­server-Ära einer IT-Revolution gleich. Bei einer Revolution aber gibt es Tote, und verständlicherweise will dabei keiner in vorderster Reihe stehen. Aber jetzt werden die Bedenken vom Tisch gewischt und es scheint endlich loszugehen.

IBM und Swisscom investieren

IBM stellte Anfang Januar auf ihrer Jahrespressekonferenz ein neues Cloud-Rechenzentrum in Winterthur vor. Ab dem dritten Quartal dieses Jahres sollen Kunden die ersten sogenannten «SmartCloud Enterprise+»-Services aus IBMs Schweizer Cloud beziehen können. Das Angebot umfasst Rechen-, Speicher- und Netzwerkkapazitäten (IaaS) unter Betriebssystemen wie Windows, Linux oder AIX-Unix. Hinzu kommen flankierende Dienste wie Payment/Billing, Sicherheit und Availability/Performance. Punkto Platform as a Service (PaaS) steht «Smartcloud for SAP Applications» im Angebotskatalog von Big Blue. In Sachen Software as a Service (SaaS) können Schweizer Kunden, so IBMs Versprechen, künftig aus einem wachsenden Angebot branchen­spezifischer Lösungen wählen. Fünf Wochen später, Mitte Februar, zog der Telko-Riese Swisscom nach und brachte sich mit seiner «Cloud für die Schweiz» in Stellung. Bereits heute bietet Swisscom IT Services (SITS) unter dem Marketinglabel «Dynamic Com­puting» virtuelle, auf Zeit mietbare Server- und Speicherressourcen aus der Cloud. SITS betont, dass es sich nicht um ein «einfaches Infra­strukturangebot», sondern um einen Komplettservice handelt. Der Business-Arm des Telko-Riesen hat Grosses im Sinn und greift kräftig in die Vollen. Swisscom IT Services baue derzeit «die» Cloud für die Schweiz, sagt CEO Andreas König auf einem Presse-Event. Was Schweizer Kunden konkret erwarten dürfen, will König Anfang April auf dem Swiss-IT-Sourcing-Forum verraten. Der Start der neuen Schweizer
Swisscom-Cloud erfolgt im Herbst dieses Jahres. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Abacus: 50 Prozent Umsatz

Abacus: 50 Prozent Umsatz

Goldgräberstimmung herrscht in der Schweizer Cloud, und der Trend geht zum Komplettangebot. Kann da überhaupt noch etwas schief­gehen, wenn die grossen Elefanten einsteigen? Computerworld sprach mit Abacus-CEO Claudio Hintermann und Joachim Vetter, der 2005 von Microsoft Schweiz zum Software-Hersteller in St. Gallen wechselte. Vor knapp fünf Jahren brachte Abacus sein Cloud-ERP Abacus vi (version internet) auf den Schweizer Markt und lässt sein SaaS-Angebot AbaWeb Treuhand von ausgewählten Partnern hosten. In den letzten beiden Jahren habe sich der Umsatz mit Cloud-Lösungen jeweils verdoppelt. Aktuell mache Abacus 10 Prozent mit der Cloud, sagt Vetter. In vier Jahren, da ist er sich sicher, werde man etwa die Hälfte des Geschäfts mit Produkten aus der Cloud bestreiten. Der Konkurrenz- und Marktmacht der ganz Grossen wie IBM, Swisscom oder SAP sieht man in St. Gallen gelassenen Auges entgegen. Denn entscheidend ist nicht nur die Technologie. «Die Ks der Schweizer KMU suchen einen ERP-Seelsorger, der ihnen bei alltäglichen Problemen hilft», betont Abacus-Chefstratege Hintermann. Die grossen Provider können und wollen das gar nicht leisten. SAP etwa versucht seit Jahren, mit klein­kalibrigen Produkten wie seiner ERP-Suite «Business One» im Schweizer K-Markt Fuss zu fassen – bislang ohne grossen Erfolg. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Schweizer Cloud-Provider

Schweizer Cloud-Provider

Kritische Töne schlägt auch Eike Bieber, Senior Consultant Financial Services und Schweiz-Spezialistin bei PAC in München, an. «Grosse Anbieter wie IBM, HP, Swisscom oder T-Systems pushen natürlich das Thema Cloud», sagt Bieber. Aber auch der Schweizer Software-Markt für kleine und mittlere Unternehmen sei in Bewegung. Bieber hebt die Schweizer Software-Schmiede Solvaxis hervor, die ihr ERP Amanda als Cloud-Service offeriert. Amanda arbeitet mit Standardprogrammen wie Excel, Google Docs oder branchenspezifischen Lösungen zusammen. Der kompetitive Einstiegspreis für kleine KMU liegt bei 25 Franken pro Monat (www.solvaxis.com). Ein sehr vielversprechender Schweizer Cloud-Anbieter ist laut Bieber der High-Performance-Spezialist CloudBroker aus Zürich. CloudBroker bringt rechenintensive Batch-Applikationen etwa für die Branchen Chemie, Biologie, Gesundheit und Engineering in die Wolke (www.cloudbroker.com). Auf der einen Seite positionieren sich also die kleineren Anbieter, die durch individuelle Betreuung und «Seelsorge» besonders die Schweizer KMU überzeugen. Auf der anderen Seite stehen die grossen Provider, die durch Komplettangebote bei Grossunternehmen  möglichst viel Budget abschöpfen wollen. «Fast alle grossen Anbieter haben sich ein breites Portfolio angelegt», hat Forrester-Analyst und Cloud-Experte Stefan Ried beobachtet. Ried nennt als augenfälligstes Beispiel die Amazon Web Services (AWS), die mit der Computing-Cloud EC2 und der Speicher-Cloud S3 sehr erfolgreich im IaaS-Markt unterwegs seien. Zusätzlich nimmt Amazon aber auch den PaaS- und SaaS-Markt ins Visier: etwa mit der NoSQL-Datenbank DynamoDB, dem Petabyte-Data-Warehouse Redshift und dem Analytics-Service Data Pipeline. Den gleichen Drang zum Layer-übergreifenden Cloud-Komplettangebot attestiert Ried auch Anbietern wie IBM und HP. Der Forrester-Analyst spricht vom «Portfolio-Play», den besonders die grossen Cloud-Provider immer virtuoser spielen.
Die alte Unterscheidung zwischen Infrastructure as a Service (Speicher, Storage, Netzwerk), Platform as a Service (Entwicklung) und Software as a Service, aus den Anfangszeiten der Cloud vertraut, verschwimmt zusehend. Ried sieht die drei traditionellen Layer mehr als Kontinuum, auf dem man die einzelnen Produkte positionieren könne. Die Layer-übergreifenden, integrierten «Portfolio-Plays» der Grossen sind dabei aber auch so etwas wie eine Wette auf die Zukunft. Denn das grosse Geld verdienen lässt sich damit anscheinend heute noch nicht. Das US-amerikanische Analystenhaus Technology Business Research hat die globalen Jahresumsätze 2012 der Top-Public-Cloud-Anbieter geschätzt. Berücksichtigt wurde die gesamte Bandbreite des Angebots, von IaaS über PaaS bis zu SaaS. Das Ergebnis der Marktforscher: Lediglich der Cloud-Pionier Salesforce, die Amazon Web Services und Microsoft hätten die Jahresumsatzmarke von 1 Milliarde US-Dollar überschritten. Anbieter wie IBM, HP oder Citrix dagegen hätten noch einen langen Weg zu gehen (vgl. Brandon Butler, Who's making money in the cloud?). Lesen Sie auf der nächsten Seite: Cloud-Königin Amazon

Cloud-König Amazon

Eine globale Studie von Forrester Research kam zu einem nahezu identischen Ergebnis. Im Fokus standen dieses Mal die Cloud-Software-Entwickler. Der sogenannte Goldstandard der Cloud, das heisst, der beliebteste Service, ist Amazons Elastic Compute Cloud EC2. 71 Prozent der von Forrester Befragten sprachen sich dafür aus. Den zweiten Platz eroberte sich mit 25 Prozent Microsoft Azure. Auf dem bronzenen Treppchen landete mit 23 Prozent knapp dahinter Salesforce mit seiner Entwicklungsplattform Force.com. Bemerkenswert, so resümieren die Forrester-Analysten, sei der bislang sehr zögerliche Zuspruch auf die Angebote der etablierten Unternehmen wie IBM, HP, SAP oder Oracle. «Die traditionellen Tech-Player sind gegenüber den Big Three alle auf einer rasanten Aufholjagd», bringt James Staten von Forrester die Sache auf den Punkt. Die einzige Ausnahme ist Microsoft mit Azure. Ein weiteres interessantes Detail der von den Analysten durchgeführten Marktstudie: Über 40 Prozent der Teilnehmer wollen im laufenden Jahr die Cloud dazu nutzen, um Applikationen für mobile Devices zu entwickeln (vgl. Brian Glick, Amazon takes clear lead in cloud-based software development). Cloud-Anbieter wie IBM, HP, SAP oder Oracle gewinnen bislang nur Trostpreise, Amazon und Salesforce sahnen ab. Aber der Vergleich ist nicht ganz fair. Salesforce, angeführt vom vi­sionären Marc Benioff, ist bereits seit 14 Jahren im Cloud-Geschäft tätig. Schon frühzeitig erkannte der von Oracle kommende Benioff das Potenzial der Cloud und handelte entsprechend. Oracle dagegen brachte seine noch jungen «Cloud Fusion Apps» vor eineinhalb Jahren auf den Markt. SAPs Cloud-ERP Business ByDesign gibt es nur unwesentlich länger. Erschwerend kommt hinzu: Der Cloud-König und Umfragegewinner Amazon operiert mit seinen umsatzträchtigen Cloud-Diensten EC2 und S3 im sogenannten Low-Margin/High-Volume-Markt. Auch der Suchmaschinen- und Werbekrösus Google ist mit seinen Google Apps dort unterwegs. Das anderen Ende des Spektrums, das High-Margin/Low-Volume-Geschäft mit der Cloud, auf das es Unternehmen wie HP und ERP-Service-Provider abgesehen haben, ist jedoch mit kantigeren Stolpersteinen gepflastert. Diese Anbieter brauchen zwar einen langen Atem, könnten langfristig aber gewinnen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: HPs Cloud-Strategie

HPs Cloud-Strategie

Computerworld sprach mit Liliane Scheck und Yvonne Thoma von HP Schweiz darüber, wie sie sich das zukünftige Geschäft mit der Cloud vorstellen. HP setzt auf den Swissness-Faktor und betreibt zwei Cloud-Rechenzentren in der Schweiz, anfangs mit Fokus auf Infrastrukturdienste und PaaS, zunehmend aber auch mit dem Schwerpunkt Software as a Service. Punkto Software führt Scheck, Country Leader Enterprise Services bei HP Schweiz, SAP-Dienste, Microsoft Messaging & Collaboration (Exchange und SharePoint), die Lync-Services und das Microsoft-ERP Dynamics als Cloud-Trümpfe an. Das Finma-konforme Cloud-Service-Center in Bern betreibt die Zahlungsverkehrslösung Ibis 3G, die mehrere Schweizer Banken einsetzen. Dahinter steckt technologisch eine modular aufgebaute Bankenlösung, die auf einer serviceorientierten Architektur (SOA) aufsetzt. Stolz sind beide HP-Frauen auf die Radiologie-Cloud, die der Konzern Anfang Januar dieses Jahres vorstellte und die ab März in der Schweiz verfügbar sein soll. Die Radiologie-Cloud richtet sich an Spitäler, bildverarbeitende Firmen und Fotografen. Sie enthält bildanalytische Algorithmen der aufgekauften Software-Schmiede Autonomy, mit der zum Beispiel die Suche nach Ähnlichkeiten im Krankheitsbild über Röntgenaufnahmen möglich sein soll.
Fazit: Auch die grosse HP betreibt nicht nur Basis-Layer-IaaS, sondern forciert zunehmend auch branchenspezifische Lösungen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Innovation im Abo

Innovation im Abo

Der Business-Service-Hoster T-Systems steckt in der Schweiz in der Rolle des Herausforderers gegen die mächtige Swisscom. Computerworld sprach mit Jürgen Urbanski, VP Cloud und Cheftechnologe bei T-Systems, über das Schweiz-Geschäft. Global mache, so Urbanski, T-Systems mit seinem Cloud-Angebot etwa eine halbe Milliarde Euro Umsatz. In der Schweiz würden IaaS-Angebote besonders zu Test- und Entwicklungszwecken stark genutzt. Auch die WebSphere-Services fänden unter Schweizer Kunden grossen Anklang. Den riesigen Benefit der Cloud sieht Urbanski in der sogenannten «Innovation im Abo» (etwa durch automatische Upgrades). Denn im Business ginge es nicht nur darum, die Kosten zu senken, sondern Neues schnell und einfach möglich zu machen.
Die Nachfrage nach Oracles «Cloud Fusion Apps» in der Schweiz beschreibt Urbanski als eher verhalten. Viele Kunden, so hat der T-Systems-Cheftechnologe beobachtet, seien auf Oracle nicht sonderlich gut zu sprechen, weil das Unternehmen sehr aggressiv auftrete. Auch der Konkurrent SAP sei mit seinem Cloud-ERP Business ByDesign bislang nicht besonders erfolgreich am Markt unterwegs. Ein grosses zukünftiges Marktpotenzial sieht Urbanski jedoch für SAPs Hochgeschwindigkeits-Appliance Hana und generell für die Marktsegmente traditionelle und High-Performance-Business-Intelligence. Der Wermutstropfen: SAPs Hana, Oracles Exalogics und das Teradata Enterprise Data Warehouse, um einige bekannte Anbieter herauszugreifen, seien nicht ganz billig. Die Projektkosten gehen in die Millionen. 20 Te­rabyte mit Hana zu beziehen, sei ein ungeheures Investment. «Viele unserer Kunden sehen sich deshalb mit grösstem Interesse Apache Hadoop an», betont Urbanski und stellt für die nahe Zukunft ein Hadoop-Cloud-Angebot von T-Systems in Aussicht. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Oracles Dilemma

Oracles Dilemma

Der Weg in die profitable Business-Cloud ist für viele Lösungsanbieter hart und steinig. Das bekam Mitte Februar der Business-Software-
Anbieter Oracle zu spüren. Forrester Research hatte behauptet, die meisten Kunden seien an Oracles Fusion Applications, die das Unternehmen on-premise und in der Cloud anbietet, gar nicht interessiert. Das Analystenhaus sieht Oracle in einem strategischen Dilemma: Weil der Datenbankkrösus seine älteren Produktlinien so erfolgreich vermarktet habe, sähen die meisten Kunden keinen Grund, auf die Fusion Apps zu migrieren. Oracle beurteilt das naturgemäss anders und wirft den Forrester-Analysten gar Falschdarstellung vor: Die Fusion Apps sollen alte, bewährte Lösungen nicht ablösen, sondern ergänzen. Tatsache ist, nach eineinhalb Jahren nutzen etwa 400 Unternehmen weltweit das Fusion-Apps-Angebot, in das Oracle-Chef Larry Ellison viele Milliarden investiert hat. Nicht gerade überwältigend viel. Immerhin gehören aber auch die Schweizer Grossbank UBS und die Kosmetikkette Elisabeth Arden zum Kundenstamm. Die Cloud steckt im Goldfieber, der Kampf um die profitablen High-Margin-Claims ist besonders unter den Grossen der Branche voll entbrannt. Wie im Goldrausch träumen alle vom grossen Geld. Warten wir ab, wer am Ende die  grössten Nuggets in Händen hält.


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