Mobile Enterprise 13.02.2015, 14:45 Uhr

Liebe CIOs, wo ist eure Strategie?

Unternehmen müssen mobil denken, um nicht unterzugehen. Doch bislang scheinen das nur die Fachabteilungen gemerkt zu haben. Dabei ist der CIO derjenige, der die Zügel in der Hand halten müsste.
Als IT-Journalist hat man die Gele­genheit, an vielen Veranstaltungen mit zahlreichen interessanten Leuten in Kontakt zu kommen. Zwangsläufig schnappt man dabei immer wieder Perlen auf. So durfte ich kurz vor Weihnachten mithören, wie ein CIO dem anderen erzählte, dass sein Unternehmen – mittelständisch, rund 100 Angestellte – endlich eine Mobile-Strategie habe. Auf die Frage, wie diese denn aussehe, ant­wortete er: «Wir haben uns entschieden, auf Bring Your Own Device zu setzen.» Schön für die Mitarbeiter, kann ich da nur sagen, aber das ist noch lange keine Strategie. Beim Thema Mobility sind fortschrittliche Unternehmen längst über die Beschaffung der Geräte hinweg und setzen mobile Anwendungen zum eigenen Vorteil ein. Banken locken ihre Kunden mit E-Banking-Apps, Fluggesellschaften stellen nur noch elektronische Tickets aus, Warenhäuser haben Mobile-Payment-Lösungen im Einsatz. Die BYOD-Anekdote ist dennoch kein Einzelfall. Denn in der Regel sind es Fachabteilungen, die neue Mobility-Trends treiben. «Unsere ak­tuelle Enterprise-Mobility-Studie zeigt, dass jeder zweite Fachbereich 2015 ein eigenes Mobility-Budget vorhalten wird», sagt Mark Schulte von IDC. Der Alleingang der Fachabteilungen ist durchaus verständlich. Denn für IT-Entscheider ist gemäss Schulte nach wie vor die Verbesserung der Sicherheit das Wichtigste – noch vor der Einführung einer Enterprise Mobility Management Software. In der IT domi­nieren klassische IT-Themen, während die Fachbereiche bereits erkannt haben, ins digitale Zeitalter übergehen zu müssen. Auf ihrer Prioritätenliste zuoberst steht entsprechend ein einheitlicher Zugriff auf Anwendungen. Egal, von welchem Gerät aus. Praktisch gleichauf liegt der Wunsch, Arbeitsabläufe und Prozesse an mobile Szenarien anzupassen. Die IT kann entscheiden, ob sie – wie immer wieder versprochen – wirklich Servicepartner für die Fachabteilungen sein will oder weiterhin lieber bekannte Hardware wie Laptops, Desktops oder Smartphones verwaltet. In dem Fall werden die Fachabteilungen aber mit Sicherheit einen Alleingang starten. Dadurch würde aber nicht nur der CIO seine mühsam aufgebauten Kompetenzen im Unter­nehmen recht schnell wieder verlieren, auch das Unternehmen selbst wäre weniger wett­bewerbsfähig. Es würde wie eine Hydra agieren, bei der ein Kopf nicht weiss, was der andere tut. 

Ohne Strategie bleibts beim Versuch

Was den Unternehmen fehlt, ist eine Mobile-Enterprise-Strategie. Und es gibt nur eine Person im Unternehmen, die eine solche erfolgreich entwickeln kann: der CIO. Er wäre in der Position, die Anforderungen von Unternehmensleitung und Fachabteilungen zu koordinieren und die technische Machbarkeit abzusegnen. Der Konjunktiv zeigt es schon: Bisher füllt der CIO diese Rolle nicht oder nur ungenügend aus. Eine Einschätzung, die Dr. Henning Dransfeld, Programm Manager Mobile Enterprise von Experton, teilt. Und er stellt dem IT-Chef ein Ultimatum: «Wenn der CIO dieses Jahr Mobile Enterprise nicht treibt, wird die Entwicklung ohne ihn stattfinden.» Denn schon jetzt würden die Fachabteilungen selbst Apps einkaufen oder Services installieren, weil sie keine Lust hätten, auf die IT zu warten. Einerseits sind die eingekauften Produkte dann aber oft nicht ins Backend integrierbar, andererseits führt das zu bösem Blut zwischen den Abteilungen. Ein Wildwuchs ist die Konsequenz, in dessen Folge das Unternehmen im dichten Mobile-Dschungel verloren geht. Darum muss der CIO endlich seine Rolle wahrnehmen, die Unternehmensführung von der Wichtigkeit einer Mobile-Strategie überzeugen und diese auch einführen. Das bedeutet in erster Linie, sich von operativen Fragen zu distanzieren und stattdessen strukturelle Probleme zu lösen. Beispielsweise: Braucht unser Unternehmen einen App-Shop? Wenn ja, entwickeln wir selbst Applikationen oder kaufen wir ein? Bevor diese Fragen nicht beantwortet sind, muss man keine Enterprise-Apps einsetzen wollen. Und bevor man sich überlegt, ob man die Mitarbeiter mit Apple- oder Samsung-Geräten ausstattet, sollte das Lifecycle Management geklärt sein: Wer erhält alles Geräte und wie werden diese wieder eingesammelt? Erst, wenn solche Grundsatz­fragen geklärt sind, kann über die technische Um­setzung diskutiert werden. Dazu muss die IT aber lernen, Aufgaben zu delegieren und auszulagern. «Macht es wirklich Sinn, für die durch Betriebssystem-Updates nötige Neukonfiguration der Geräte drei Leute zu beschäftigen?», fragt Henning Dransfeld rhetorisch. Eine solche Aufgabe könne problemlos der Provider übernehmen. Währenddessen hat die IT Zeit, dem Unternehmen einen mobilen Anstrich zu verpassen. Lesen Sie auf der nächsten seite: Ein Strategie-Vorschlag

Vorschlag: Rollen definieren

Die für Experton-Experte Dransfeld am besten geeignete Mobile-Enterprise-Strategie führt über Rollendefinitionen. «Man sollte die Mitarbeiter nach sieben, acht Rollen ausdefinieren und ihre Arbeitsplätze so ausstatten, wie das für die je­weilige Arbeit benötigt wird.» In einem ersten Schritt würden sämtliche Prozesse überprüft und dahingehend beurteilt, welche mobilefähig sind und für welche – beispielsweise Callcenter-Anrufe – das eher nicht zutrifft. Danach gehe es darum, diese Prozesse Schritt für Schritt mobil zu machen und den damit in Kontakt kommenden Mitarbeitern entsprechendes Equipment zur Verfügung zu stellen. Für Dransfeld ist die Prioritätensetzung dabei klar: «Je mehr die Mitarbeiter Aussenkontakt haben, desto wichtiger ist ihre mobile Anbindung.» Bei dieser Transformation liegt zwar die Hauptlast der Organisation auf der IT, doch die Fachabteilungen sind nicht frei von Verantwortung. Wenn sich beispielweise die IT überlegt, ob man native Apps entwickeln oder den Desktop weiter virtualisieren will, müssen die Aussendienstmitarbeiter zwingend erzählen, ob sie beim Kunden mehrheitlich Breitbandverbindungen haben oder nicht. Falls nein, nützt die Virtualisierung herzlich wenig.

Best Practices

Es gibt Unternehmen, die verstanden haben, wie ein Mobile Enterprise sinnvoll umgesetzt werden kann. Dransfeld erzählt die Geschichte von Johnson & Johnson, einem grossen Konsum­güter- und Pharmaziehersteller. Eines der Produkte, das im härtesten Wettbewerb steht, sind deren Windeln. Die Marketingabteilung erkannte die Chance, sich durch eine mobile Applikation von der Konkurrenz zu unterscheiden und so Mehrwert zu schaffen. Zuerst wurde definiert, wer Windeln kauft und an einer entsprechenden App interessiert sein könnte: die Mütter. Apps speziell für Mütter gab es kaum, was also würde diese dazu animieren, sich eine solche herunterzuladen? Das Hauptbedürfnis dieser Ziegruppe sei der fehlende Schlaf, urteilte Johnson & Johnson – und liess eine App ent­wickeln, die Schlafmelodien für Babys abspielt, damit sich auch die Mütter erholen können. Die Download-Zahlen der App waren hervorragend. Zwar liess sich der Mehrwert nicht direkt in den Verkaufszahlen der Windeln ablesen, er kann aber als Image-Gewinn verbucht werden.

Schritt zur Digitalisierung

Natürlich sind erhöhte Wettbewerbsfähigkeit, gesteigerte Produktivität, verbesserte Zufriedenheit der Mitarbeiter und eine schnelle, effiziente Kundenanbindung die Hauptfaktoren, die bei der Entwicklung einer Mobile-Strategie berücksichtigt werden müssen. Doch eigentlich geht es um mehr: Sich auf Konkurrenz ein­zustellen, die man noch gar nicht kennt. Eine Mobile-Enterprise-Strategie ist darum nichts anderes als einer der wichtigsten Schritte auf dem Weg zum digitalen Unternehmen. Denn die Wettbewerber von Morgen werden nur noch über digitale Kanäle agieren, wie das Beispiel Zalando in Deutschland zeigt. Das ausschliesslich im Internet operierende Warenhaus begann 2008 mit dem Verkauf von Schuhen im Internet, inzwischen werden rund 1500 Marken und diverse Güter gehandelt. Zalando macht zwar Verluste, allerdings werden diese immer geringer, dieses Jahr dürfte man erstmals schwarze Zahlen schreiben. Das ist für das Unternehmen aber nicht entscheidend, ihm geht es um Marktmacht. Und die Taktik geht auf. Weil Zalando bereits einen Umsatz von über 2 Milliarden Euro im Jahr erwirtschaftet, über­legen sich etablierte Firmen, ob sie noch eigene digitale Kanäle in Deutschland eröffnen oder direkt über Zalando verkaufen sollen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: es läuft über die Fachabteilung

Anbieter gehen über Fachabteilungen

Urs Schollenberger ist Leiter des Mobile-Business-Teams von IBM DACH. Er ist dafür ver­antwortlich, dass die verschiedenen Unternehmensbereiche einen gemeinsamen Go-to-Market-Ansatz für ihre Mobilpalette verfolgen. Dieser sieht vor, dass als Erstes Business-Prozesse seitens der Fachabteilung ins Auge gefasst und auf ihre Mobile-Kompatibilität geprüft werden. «Das passt ins Schema, wie die IT mit dem Business zusammenwächst, um eine mobile Strategie erfolgreich umzusetzen», sagt Schollenberger. «Vor 10 bis 15 Jahren hatte die IT viel Budget, um selbst Feldforschung zu betreiben. Durch den heutigen Kostendruck geschieht dies viel viraler.» Die Anbieter gehen  daher verstärkt direkt auf die Fachabteilungen zu statt über den «Umweg» IT-Abteilung. Solange aber eine Abteilung oder gar ein einzelner Mitarbeiter macht, was sie oder er will, zeigen die Firmen nur, dass sie nichts dazugelernt haben. «Zu Beginn der Internet-Ära wollten viele Firmen einfach einen Prospekt ins Netz stellen. Das brachte aber keinen Mehrwert. Ebensowenig bringt es einen Mehrwert, nur auf BYOD zu setzen», sagt Schollenberger. Stattdessen müssten sich die Unternehmen fragen, wie sie die Endkunden erreichen und entlang der Entwicklung mobiler Technologien ihr Unternehmen aufbauen können. «Einem Hype nachzurennen, bringt nichts», ist Schollen­berger überzeugt. Das ist grundsätzlich sicher richtig, doch um selbst Hypes aufzubauen, fehlt den Schweizer Unternehmen der Mut. In den Worten Schollenbergers sind die Kunden hierzulande «sehr sicherheitsbewusst». In den USA würde man viel weniger risikoscheu sein und einfach mal eine Innovation ausprobieren.

Die Banken machen es vor

Innovationsblockaden treffen aber nicht auf alle Firmen zu; vor allem die Schweizer Banken nutzen Mobile, um gezielt auf Kundenfang zu gehen. So würden heutzutage junge Menschen ihre Bank nicht mehr nur nach Sicherheit, sondern nach der Qualität ihrer App aussuchen, sagt Schollenberger. Allerdings: Die beiden Grossbanken sind die grössten IT-Arbeitgeber der Schweiz und können sich Experimente leisten. Wer weniger Ressourcen hat, muss konservativer vorgehen. Wer noch Argumente für eine Mobile-Enterprise-Strategie braucht, dem sei gesagt, dass laut Gartner im Jahr 2017 jedes vierte US-Unternehmen einen App-Store besitzen wird. Mit den dortigen Anwendungen könnten 600 Millionen Arbeitsstunden pro Jahr gespart werden, sagen die Analysten. Durch die Nutzung von Smartphones und Tablets würden zusätzlich rund 2 Milliarden Arbeitsstunden im Jahr gespart. Gemäss Accenture schätzen Experten den Produktivitätsgewinn eines funktionierenden Mobile Enterprise auf 15 bis 30 Prozent. Besonders profitieren würden administrative Aufgaben, Wissensarbeiter und Aussendienstler. Dass Firmen, die nicht mobil sind, gegen solche Vorteile nicht ankommen können, ist einfache Mathematik.


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