Enrico Lardelli 10.12.2012, 15:46 Uhr

Tipps vom CIO des Jahres

Enrico Lardelli, IT-Chef der PostFinance, ist Schweizer CIO des Jahres. Was macht CIOs zu Spitzenmanagern? Ein Gespräch über Top-Technologien und die Tücken des Managements.
Enrico Lardelli, IT-Chef der PostFinance: 'Wir' sind die Besten, das ist eine Auszeichnung fürs Team.
Enrico Lardelli ist Swiss CIO des Jahres. Die Auszeichnung vergeben die Unternehmensberater Ernst & Young zusammen mit dem Eventveranstalter Confare. Zu den Bewertungskriterien zählen der CIO als Führungskraft, die interne Positionierung im Unternehmen, die strategische Ausrichtung und die fachliche Kompetenz. Wie wird man der beste CIO der Schweiz?
CW: Herr Lardelli, herzlichen Glückwunsch zum Titel "Bester Schweizer CIO des Jahres". Es ist das erste Mal, dass eine solche Auszeichnung vergeben wird, oder?
Lardelli: Das erste Mal innerhalb der Schweiz. In einem Wettbewerb von CIO.de haben wir 2010 eine Klassierung unter den Top 22 in der Kategorie Grossunternehmen erreicht.
Und heute sind Sie der Beste der Besten...
Lardelli: Wenn man das so sagen kann, zumindest in der Schweiz. Aber eigentlich sind „wir“ die Besten, dies ist auch eine Auszeichnung für mein Team.
Wie muss man führen und denken, um eine solche Auszeichnung zu erringen? Oder allgemeiner gefragt: Wie wird man ein sehr guter CIO?
Lardelli: Es geht nicht nur um Knowhow, sondern auch um die Positionierung des CIO im Unternehmen. Die Geschäftsleitung muss die hohe Wertigkeit der IT im Unternehmen erkennen. Der strategische Impact der Informatik, ganz besonders bei uns Finanzdienstleistern, aber auch in anderen Branchen wie der Automobilindustrie, ist sehr hoch. Die IT ist aus diesen Branchen nicht mehr wegzudenken. Der CIO muss seinen Mitarbeitern und Kollegen aber auch zeigen, dass er das Business und die Bedürnisse der Geschäftsbereiche versteht. Was ist wirklich wichtig etwa im Kartengeld- und Endkundengeschäft von PostFinance? Der CIO muss kein Experte auf allen Gebieten sein, aber er sollte die wichtigen Treiber seines Unternehmens verstehen.
Ist das eine Frage der Ausbildung, oder mehr der Erfahrung?
Lardelli: Beides ist wichtig. Der CIO kommt nicht um Technologie-Kompetenz herum. Das ist klar. Die Technologie muss er schon beherrschen und verstehen. Wichtig ist aber auch, sich in den Business-Themen weiterzuentwickeln und aktiv weiterzubilden. Ich habe mich zum Beispiel in Finanzmathematik weitergebildet sowie Bankmanagement- und Führungsseminare absolviert. Die reine Konzentration auf IT-Infrastruktur reicht bei Weitem nicht mehr aus. Ich bin seit 1994 im Finanzdienstleistungsbereich tätig und profitiere punkto Branchenspezifika natürlich auch von meinem Erfahrungsschatz.
Managementberater behaupten, der CIO der Zukunft werde eine Art "Information Broker" sein, der zum Beispiel mit Cloud-Anbietern Verträge aushandelt und die IT nicht administriert, sondern orchestriert. Technologie tritt dabei in den Hintergrund - darum kümmert sich ja der Cloud-Anbieter -, betriebswirtschaftliches Wissen dagegen gewinnt stark an Bedeutung. Würden Sie das genauso sehen?
Lardelli: Diese radikale Konsequenz teile ich nicht. Selbstverständlich wird Technologie etwas in den Hintergrund geschoben, man redet ja auch von Blackbox Approaches. Oracle kam mit seinen Appliances Exadata und Exalytics auf den Markt. Aber nach wie vor spielt es eine Rolle, dass man die Technologie versteht, die darin versteckt ist. Was bedeutet die Technologie für die eigene Organisation? Kann man die neue Technik über die Jahre hinweg kostengünstig betreiben? Passt sie zur eigenen IT-Strategie? Solche Fragen muss man beantworten können.
Technologieaffinität dominiert nicht mehr so stark wie früher. Aber um IT-Optionen richtig beurteilen zu können, reicht es nicht, Geschäftszahlen zu addieren und gut verhandeln zu können. Wer die Technologie nicht versteht, der kann auch keine adäquat gute, eigene IT-Strategie aufstellen. Dann könnte man die Verantwortung für die IT beispielsweise dem CFO übergeben, was, denke ich, ein grundlegender Fehler wäre. Der IT-Chef muss imstande sein, die schnellen Innovationszyklen der Technologiebranche zu verstehen und mitzugehen.
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Sie haben Oracles Exa-Appliances, die sogenannten "engineered systems", erwähnt. Oracle betont, in den Appliances seien Hard- und Software qua Entwurf optimal aufeinander abgestimmt. Haben Sie bei PostFinance über eine Investition in Appliances von Oracle nachgedacht?
Lardelli: Wir haben uns das im Detail angeschaut und uns gefragt, welchen Zusatznutzen uns Oracle Appliances, aber auch Cisco Appliances, generieren würden. Man profitiert vom grossen Knowhow des Anbieters und erwirbt eine Appliance, die sehr genau auf die Bedürfnisse - hier vor allem des Daten-Managements - abgestimmt ist. Aber man holt sich auch eine Blackbox ins Boot. PostFinance hat heute für die Technologie-Stacks Linux, Solaris und Windows breites Knowhow im Haus, und zwar durchgängig bis auf die Betriebssystemebene herunter. Blackbox-Appliances würden uns daher keinen nennenswerten Mehrwert bieten.
Ein wesentlicher Aspekt wird ausserdem von den Herstellern immer wieder unter den Teppich gekehrt. Es gibt ein Lock-in-Verhältnis zwischen Kunde und Anbieter. Wenn ich einmal zu einem Anbieter ja sage und dessen Produktpalette in verschiedenen Infrastrukturen, bspw. Betriebssystem, Datenbank und Middleware exklusiv einsetze, dann komme ich von diesem Anbieter kaum mehr in nützlicher Zeit weg. Das ist sicher keine optimale Situation. Verschiedene Anbieter haben uns vor einigen Jahren selbst ein derartiges Zeichen gesetzt, als die Lizenzverhandlungen plötzlich unglaublich zäh verliefen.
Aber PostFinance setzt trotzdem beispielsweise Oracle-Produkte ein, oder?
Lardelli: PostFinance setzt nach wie vor Produkte von Oracle ein und hat sich jetzt auch entschlossen, die Middleware-Lösungen zu implementieren. Punkto Enterprise Application Integration (EAI) und auch als Unternehmensdatenbank setzen wir voll auf Oracle. Sie sind ja da nicht zufälligerweise Marktführer. Wenn immer möglich und sinnvoll versuchen wir aber Alternativen in der Hinterhand zu haben, um möglichst beweglich zu bleiben. Wir bekennen uns zu strategischen Partnern, aber nur, solange uns die Partnerschaft auch Nutzen bringt. Aus diesem Grund würde ich das Lock-in-Risiko, das mit den Appliances verbunden ist, zumindest aus heutiger Sicht nicht so ohne Weiteres eingehen. Viele CIOs machen sich die gleichen Gedanken, und daher läuft das Appliances-Geschäft bei verschiedenen Herstellern nicht so gut wie erwartet.
Das leuchtet mir schon ein. Aber gerade Oracle argumentiert mit den riesigen Performance-Vorteilen, die man nur erreichen kann, indem man vorab Hardware und Software optimal aufeinander abstimmt. Sehen Sie bei SAPs Hochgeschwindigkeits-Appliance HANA ein ähnliches Lock-in-Risiko?
Lardelli: Ich glaube, das ist etwa die gleiche Geschichte. Es ist ja so: Solange wir nicht den ultimativen Druck spüren, Geschwindigkeitssteigerungen realisieren zu müssen, die wir mit konventionellen Ansätzen nicht mehr hinbekommen, solange würde ich mich nicht auf eine solche Lösung einlassen. Die Zugriffe auf Speichersysteme sind so dramatisch schneller geworden, dass wir heute mit herkömmlichen Konzepten schon sehr weit kommen. Es gibt zwar durchaus Einsatzgebiete, in denen Hochgeschwindigkeits-Appliances sinnvoll wären. Aber generell, auch bei PostFinance, gibt es im Data-Warehouse und Analytics-Bereich nicht diesen starken Performance-Druck, der ihren Einsatz notwendig machen würde.
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Eine Frage, die ein wenig von der Technologie weg und hin zum Management führt. Sie sind bei PostFinance Mitglied der Geschäftsleitung, was natürlich das Standing der IT im Unternehmen stärkt. Haben Sie die Mitgliedschaft in der Geschäftsleitung langfristig angestrebt, und wenn ja, wie haben Sie dieses Ziel erreicht?
Lardelli: Ich habe ein sehr gutes Umfeld angetroffen. Unser Ex-CEO Jürg Bucher war PostFinance-Leiter und gleichzeitig faktisch oberster CIO der Postgruppe durch seinen Vorsitz des CIO-Gremiums des Postkonzerns. Dadurch hat er eine Grundaffinität zum Thema Informatik mitgebracht. Dass der CIO in die Geschäftsleitung gehört, war also schon vor meiner Zeit beschlossene Sache und umgesetzt.
Wichtig ist aber auch, dass man in den Strategiesitzungen als CIO den Mehrwert bringt, der mit einem Sitz in der Geschäftsleitung verbunden ist. Ich muss im Geschäftsleitungsausschuss Informatik auch mit der Geschäftsleitung auf dem notwendigen Level diskutieren können: zum Beispiel über die Ausrichtung der Architektur bei der Einführung unserer neuen Zahlungsverkehrsplattform. In welche Richtung wollen wir uns entwickeln: mehr Eigenentwicklung oder mehr Standard?
Die neue Zahlungsverkehrsplattform ist das grösste, je von PostFinance gestemmte IT-Projekt. Die Projektlaufzeit beträgt etwa fünf Jahre. Wir reden von einer Transaktionsmaschine mit über 900 Millionen Transaktionen pro Jahr, und einem ausserordentlichen Automatisierungsgrad, das heisst Transaktionen, die diese Maschine automatisch end-to-end abwickelt. Diese Konzepte und ihr Impact auf die künftige Ausrichtung unserer Informatik werden im Geschäftsleitungsausschuss diskutiert. Aber auch ihr Einfluss aufs Business, auf die Time-to-Market oder das personell notwendige Knowhow.
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Sie sind als bester Schweizer CIO des Jahres ausgezeichnet worden, und dazu gehören nicht nur breite Business-Skills, tiefes Technik-Knowhow und kommunikative Fähigkeiten. Sie müssen ihre Mitarbeiter ja auch motivieren, führen und fördern. Was gehört zu einer guten Führungskraft?
Lardelli: Wenn man sich nicht ganz bewusst mit Führungsqualitäten auseinandersetzt, dann ist man - meines Erachtens - keine gute Führungskraft. Wie muss eine Teamkonstellation aussehen, die dem Unternehmen nützt, das Potenzial des Mitarbeiters fördert und mir als Führungskraft liegt? Fragen, die man sich stellen muss.
Ich habe von guter Führung ganz klare Vorstellungen. Als Erstes habe ich in der Informatik von PostFinance das Führungsverständnis geklärt. Unser Motto, das wir uns gemeinsam erarbeitet haben, heisst: gemeinsam erfolgreich. Wichtig ist, die Konzepte nicht nur auf Papier festzuhalten, sondern auch operationell in die Teams zu tragen und mit Workshops zu festigen. Ich bin davon überzeugt, dass die patriarchalischen One-Man-Shows, wie sie früher noch Gang und gäbe waren, vorbei sind. Insbesondere die Informatik ist derart komplex geworden, dass diese Herausforderungen heute nur im Kollektiv erfolgreich gestemmt werden können.
Ich lese hier in Ihrem Führungskonzept: Kommuniziere offen und ehrlich. Alles darf eine Führungskraft doch auch gar nicht kommunizieren, weil dadurch Entwürfe und Ideen im Frühstadium an die Öffentlichkeit gelangen könnten. Hat man Ihnen schon einmal vorgeworfen, Sie seien unehrlich und verschlossen?
Lardelli: Der Vorwurf, Informationen nicht schnell genug weitergegeben zu haben, wurde schon vorgebracht. Mir fällt die Evaluationsphase für das neue Zahlungssystem ein, an deren Ende Bewertungen und Empfehlungen standen. Diese Überlegungen kann man natürlich nicht schon vorzeitig verbreiten. Und da kam schon der Vorwurf: Du scheinst deinem Führungskonzept, deinen Grundsätzen nicht zu folgen.
Führungskräfte müssen auch bereit sein, ein offenes und ehrliches Feedback, das nicht immer nur positiv ausfällt, zurück zu bekommen und zu akzeptieren. Die PostFinance Informatik ist bis zu einem gewissen Grad in Silos organisiert, was durch eine normale Arbeitsteilung auch kaum zu verhindern ist. Dabei denken dann aber Viele in ihren isolierten Bereichen und argumentieren für ihre eigenen Interessen, ohne das Gesamtbild zu berücksichtigen, was der Sache nicht immer förderlich war. Das wollten wir ändern und haben entschieden: Alles muss auf den Tisch, alles muss zusammen diskutiert werden. Wichtig ist auch, diesen offenen Führungsstil regelmässig zu reflektieren. Was hat in der Praxis funktioniert, was nicht? Für mich ist dieser offene Ansatz eine wesentliche Komponente, die mir dabei hilft, den Teamgeist hoch zu halten und zu guten Entscheidungen zu kommen.
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Können Sie jüngeren CIO-Kollegen, die vielleicht ein weniger förderliches Umfeld antreffen, Ratschläge im Umgang und in der Kommunikation mit Management-Kollegen wie dem CFO oder dem CEO geben?
Lardelli: Rezepte gibt es kaum, weil die Rollenverständnisse in jeder Firma anders ausgeprägt sind. Ich bin in einer recht komfortablen Situation und führe etwa mit dem CFO nicht nur Gespräche über das IT-Budget, sondern auch über seine Bedürfnisse wie "Single Source of Truth", über Data Mining oder Buchhaltungssysteme. Wichtig ist, die Diskussion mit den Sprachelementen zu führen, mit denen der Diskussionspartner vertraut ist. Das Branchenwissen muss da sein, sonst wird es schwierig.
Es muss aber auch aufseiten der Management-Kollegen die Bereitschaft vorhanden sein, sich mit informatiknahen Themen auseinander zu setzen. Wenn ich höre, über welche Themen wir heute im Geschäftsleitungsausschuss diskutieren, dann bin ich sehr angetan vom technischen Verständnis mancher Kollegin und manches Kollegen. Die Kommunikation wird dadurch viel einfacher, die Diskussionen bereichernder. Es ist immer ein gegenseitiges aufeinander Einlassen.


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