Cloud-Office 23.04.2012, 11:20 Uhr

besser im Team

Das Installieren von Office-Programmen an jedem Arbeitsplatz kommt langsam aus der Mode. Die Alternative: Cloud-Apps fürs Büro. Vor allem für die kollaborative Teamarbeit bieten sie echten Mehrwert.
Vor allem für die kollaborative Teamarbeit bieten Cloud-Apps fürs Büro einen echten Mehrwert.
Eine Bank ohne Excel ist kaum vorstellbar. Trotzdem könnte das für die über 100 000 Angestellten der spanischen Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (BBVA) demnächst zur Realität werden. Denn Anfang Jahr entschied sich das zweitgrösste Bankhaus Spaniens für den Wechsel auf Google Apps. Ziel der Umstellung war erstens, die Mit­arbeiter effizienter arbeiten zu lassen und zweitens, die Geschäftsabläufe insgesamt zu ver­ändern, erklärt BBVA-CIO José Olalla: «Indem wir Google Apps for Business in unsere eigenen Anwendungen integrieren, können wir eine neue Form der Zusammenarbeit einführen.» Mitarbeiter haben dann von überall aus mit einem Mausklick Zugriff auf benötigte Informationen. Als einen besonders bestechenden Vorteil der Cloud-Lösung sieht der CIO die Option, ein Dokument gleichzeitig mit einer Vielzahl von Kollegen zu bearbeiten. Damit erübrige sich der Abgleich zwischen verschiedenen Text­versionen und die Mitarbeiter könnten deutlich produktiver arbeiten.

Einsparungen bis zu 90 Prozent

Das Produktivitätsplus war ein Argument für Google, ein anderes die tieferen Kosten. Das Analystenhaus Forrester rechnet vor, dass eine Abkehr von Microsoft Office zu 25 bis 90 Prozent geringeren Gesamtkosten (TCO) führen kann. Analystin Sheri McLeish hört von Anwender-unternehmen immer häufiger, dass sich Entscheider mit alternativen Office-Produkten befassen. «Unternehmen möchten flexibel bleiben und die Möglichkeit haben, auch Nicht-Microsoft-Systeme einzusetzen», sagt McLeish. In einer Umfrage ermittelte Forrester, dass weltweit 57 Prozent der Unternehmen künftig Lösungen ergänzend zu Microsofts Büro-Suite nutzen wollen. 49 Prozent gehen ausserdem davon aus, dass solche Produkte zumindest für bestimmte Nutzergruppen und spezielle Einsatzszenarien zur Anwendung kommen werden. Lediglich 13 Prozent bleiben Redmond uneingeschränkt treu. Eine Alternative zur lokal installierten Office-Suite hat Microsoft selbst im Portfolio: die Office Web Apps. Die funktional eingeschränkten Versionen der Desktop-Programme Excel, OneNote, PowerPoint und Word sind Bestandteile von SharePoint und Office 365, benötigen aber eigene Zugriffslizenzen. In Geschäftsszenarien, in denen Mitarbeiter Firmendaten auch im privaten Raum bearbeiten können, ist die Plattform Windows Live eine Option. Der kostenfreie Cloud-Service kommt ebenfalls mit den Office Web Apps. Um online und gemeinsam mit Daten arbeiten zu können, müssen Anwender die eventuell sensiblen Files allerdings auf Microsofts Internetfestplatte SkyDrive ablegen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Echtzeit-Zusammenarbeit

Echtzeit-Zusammenarbeit

Solche Szenarien bieten sich bei Gemeinschaftsprojekten an. Beispiele sind Gebrauchsanleitungen oder auch Medikamentenbeipackzettel. Hier arbeiten mehrere Spezialisten an den Texten, ergänzen sowie korrigieren Passagen gegenseitig und geben die fertige Version schliesslich gemeinsam frei. In der Praxis muss der Hauptautor das Dokument in den Office Web Apps für seine Kollegen einmalig freigeben. Beginnen die Mitarbeiter mit dem Editieren, wird jeweils der in Bearbeitung befindliche Abschnitt für andere gesperrt. Das Speichern macht die jeweiligen Änderungen für die anderen Benutzer sichtbar. Für den informellen Austausch im Team während des Bearbeitens stellt Microsoft lediglich den separaten Windows Live Messenger bereit. Im Wettbewerberprodukt Google Docs ist ein Chat direkt in die Weboberfläche eingebaut – ein Vorteil für kurzfristige Abstimmungen. Zudem benötigen Anwender nicht zwingend Administratorrechte auf ihrem Computer, um zum Beispiel den Messenger installieren zu können.

Kompatibilitätsprobleme

Browserapps haben den grossen Vorteil, unabhängig von einer bestimmten Plattform, aber auch von einem Ort zu sein. So unterstützt selbst Microsoft bei den Office Web Apps heute nicht mehr nur den hauseigenen Internet Explorer. Die Büroanwendungen von SharePoint und Office 365 arbeiten genauso gut in Mozillas Firefox und Apples Safari – lediglich bei Chrome von Google gibt es Probleme, weiss Axel Oppermann vom Analystenhaus Experton. Der Suchmaschinenmarktführer und IBMs Alternativ­lösung Docs unterstützen dagegen alle vier gängigen Browser – sowohl in der Desktop- als auch der Mobilversion. Abseits der Browserunterstützung ist das verwendete Dateiformat eine kritische Frage. Angesichts der weiten Verbreitung «neuer» Microsoft-Office-Versionen ist Office Open XML (wie docx für Word) mittlerweile durchaus gängig. Der kleinste gemeinsame Nenner sind trotzdem meist die «alten», binären Dateitypen aus Office 2003 (doc, xls etc.). Microsoft kann selbstredend mit beiden Formaten umgehen. Dagegen berichten laut Forrester-Analystin McLeish Anwenderunternehmen von Schwierigkeiten, wenn sie zum Beispiel Google Apps in Kombination mit Microsoft-Programmen nutzen wollen. Ein Grund dürften die sehr umfangreichen Spezifikationen von Office Open XML sein. Der ISO-Standard umfasst circa 6000 Seiten. Für die Programmierer von Google und zum Beispiel IBM ist der Implementierungsaufwand für die Docx-Unterstützung viel höher als beim konkurrierenden OpenDocument-Format (ODF), das auf «nur» 700 Seiten spezifiziert ist. Um Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, empfiehlt McLeish, das ältere Microsoft-Format als Standard im Unternehmen fest­zulegen und zumindest für die finale Ablage PDF zu verwenden. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Unterschiedliche Stärken

Unterschiedliche Stärken

Microsoft glänzt bei der Kompatibilität, Google beim Onlineaustausch. IBM positioniert sein künftiges Collaboration-Werkzeug als «sozialen» Dokumenten-Editor. So stellt IBM Docs nicht den Text, sondern seine Autoren in den Mittelpunkt. Der Ansatz lautet: Die Anwender werden in ihrer Tätigkeit von den Dokumenten unterstützt und nicht umgekehrt. In der Praxis werden einem Co-Autor vom System automatisch so viele Rechte zugewiesen, wie er für das Bearbeiten eines Dokuments benötigt. Zum Beispiel bekommt der Firmenjurist Zugriff auf Ausschlussklauseln in einem Vertragsangebot, während der Betriebswirt die finanziellen Aspekte der Offerte prüfen kann. «Das Limitieren von Nutzungs- und Zugriffsrechten über Sicherheitsstufen kann als Alleinstellungsmerkmal überzeugend wirken», adelt Experton-Analyst Oppermann den IBM-Ansatz. Google und Microsoft lassen dagegen die Anwender sprechen: Der Suchmaschinenriese zitiert den zufriedenen CIO der zweitgrössten spanischen Bank. Microsoft will 41 der 100 weltweit grössten Markeninhaber für Office 365 gewonnen haben. Das Analystenhaus Techconsult stellt heraus, dass der grosse Zuspruch für Microsoft auch daher rühre, dass der Marktführer keine reine Cloud-Lösung anbiete. Mittlere und grosse Kunden ordern bei Microsoft neben den Onlinefunktionen auch eine Desktop-Version von Office 2010 mit – zur Miete für knapp 23 Franken pro Monat. Von seinem Computer aus kann der Benutzer dann entscheiden, ob er ein Dokument auf dem althergebrachten Weg via E-Mail an seine Kollegen verteilt oder per Mausklick in die Cloud lädt.

Fazit: Microsoft holt auf

Im Wettstreit um den Markt für Collaboration-Lösungen im Browser sah Google lange Jahre wie der Sieger aus. Google Docs war als erste Lösung am Markt, besass vom Start im Jahr 2006 weg einen beachtlichen Funktionsumfang und wurde seitdem kontinuierlich ausgebaut. Heute glänzt der Suchmaschinengigant durch prominente Kunden: BBVA, Ringier und Roche sind Beispiele. Microsoft schaltete die Office Web Apps vier Jahre später auf und bildete im Browser auch nicht den grossen Funktionsumfang von Google ab. Der Marktführer auf dem Desktop hat seitdem allerdings sowohl bei den Features als auch dem Benutzerzuspruch aufgeholt. Natürlich profitiert Microsoft allerdings auch davon, dass der Anwender mehrheitlich an das hauseigene Office gewöhnt ist. Docs von IBM hat bislang noch keine Chance gehabt, einen Kunden zu überzeugen, denn die Software ist noch im Testbetrieb. Mit dem Verkaufsstart wird im zweiten Halbjahr gerechnet. Big Blue will seine Produktivitätslösung aber nur als Bestandteil der Social-Media-Anwendung Connections vertreiben – einem Programm, mit dem sich Unternehmen ein internes Facebook nachbauen können. Für diese Lösungskombination ist Microsofts SharePoint der Hauptkonkurrent, sagt Gartner. Hier ist Google dem Markt hinterher.


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