2030 15.11.2013, 08:56 Uhr

Nano-Roboter, Quantencomputer, Replikatoren

Schweizer Forscher bauen das menschliche Gehirn nach und schicken bald auch Nanoroboter durch die Blutbahnen von Krebspatienten. Bis 2100 sollen selbst Hochhäuser wie der Zürcher Prime Tower in Sekunden «programmierbar» sein.
Das menschliche Gehirn – die CPU unterm Haarscheitel – ist den Forschern seit Jahrhunderten Rätsel und Ansporn zugleich
Das menschliche Gehirn – die CPU unterm Haarscheitel – ist den Forschern seit Jahrhunderten Rätsel und Ansporn zugleich. Im mechanistischen Maschinenzeitalter der Industrialisierung stellte man sich das Gehirn als kausal-mechanisches Räderwerk vor, das ähnlich funktioniert wie eine präzise Schweizer Uhr. Heute dominiert die Metapher vom Gehirn als biologischem Computer. So hat jedes Zeitalter seine Götter und Ideale. Fest steht jedoch: Das menschliche Gehirn ist immer noch 10000 Mal dichter gepackt und verbraucht 10000 Mal weniger Energie als die schnellsten, kompaktesten und besten der heutigen Computersysteme. Das Mooresche Gesetz von 1965, nach dem sich die Packungsdichte von Computerchips alle 18 Monate verdoppelt, hat zwar die Chips immer weiter ans Limit gepresst. 2005 waren die Kanallängen einzelner Chiptransistoren   zwischen 90 und 130 Nanometer gross und hatten damit die Grösse eines Grippevirus’ – heute baut Intel in 14-Nanometer-Techno­logie. Bei 5 Nanometern aber soll endgültig die Grenze der Miniaturisierung erreicht sein. Kleiner geht nicht, jedenfalls nicht mit klassischer Siliziumtechnologie.

Vom menschlichen Gehirn lernen

Vom «Human Brain Project» der ETH Lausanne versprechen sich die Forscher ein besseres Verständnis des menschliches Denkorgans. Auf der anderen Seite können die Forschungsergebnisse helfen, kompaktere, schnellere und leistungs­fähigere Computer zu bauen. Alessandro Curioni, Chef der Abteilung Mathematical & Compu­ta­tional Sciences am IBM Forschungslabor in Rüschlikon, spricht vom neuromorphischen Computer. «Im SyNAPSE-Projekt sind wir dabei, Hardware zu bauen, welche die Eigenschaften neuronaler Netzwerke imitiert», sagte Curioni im Gespräch mit Computerworld. Synapsengesteuerte, neuronale Netze bilden – stark vereinfacht gesagt – die Infrastruktur des menschlichen Gehirns. Neuronale Netze sind selbstlernende Systeme, die Zwischenstufen unterscheiden können. Computerchips dagegen kannten lange Zeit nur zwei binäre Zustände: 1 oder 0, wahr oder falsch, schwarz oder weiss. Eine Hürde auf dem Weg zum Computer der Zukunft besteht darin, den Chips Fehlertoleranz zu lehren und Graustufen zu unterscheiden. Curioni verspricht sich vom Computer der Zukunft vor allem zwei Vorteile: eine energieeffizientere Analyse von grossen (auch unstrukturierten) Datenmengen und eine leichtere, benutzerfreundlichere Interaktion mit den Maschinen. Nicht der Mensch lernt mühsam, die Maschine zu bedienen. Der Rechner passt sich dem Benutzer an. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Krebspatienten heilen

Watson heilt Krebspatienten

Cognitive Computing, also ein gehirnähnlicher «menschlicher» Neurorechner, ist nicht mehr pure Zukunftsmusik. Vor zweieinhalb Jahren schlug IBMs Intelligenzmaschine Watson in der amerikanischen Quizsendung Jeopardy die zwei weltbesten Spieler, die in der Show zuvor Rekordsummen gewonnen hatten. Watson gewann gegen seine beiden menschlichen Gegner mit einem Endstand von 77147 zu 24000 und 21600 US-Dollar. Das Preisgeld von 1 Million Dollar spendete IBM zugunsten gemeinnütziger Zwecke. Heute hilft ein weiterentwickelter Watson in einem Pilotprojekt den Ärzten am MD Anderson Cancer Center der Universität Texas bei der Heilung krebskranker Patienten. Das lernende, sich selbst optimierende System analysiert die Krankengeschichten von Tausenden Patienten mit ähnlichen Symptomen (Big Data Analytics) und berechnet die Erfolgschancen von Therapievorschlägen. An der fortschreitenden Miniaturisierung energieeffizienter Rechner arbeitet das Swiss Nanoscience Institute in Basel. Die klassische, auf Silizium basierende Chipfertigung stösst an ihre Grenzen, die viele Forscher bei 5 Nanometern verorten. Wie geht es weiter? Die Schweizer Nanoforscher experimentieren mit sehr kleinen organischen Verbindungen. Das Einzelmolekül wird zum Schalter, der ähnlich einem Transistor mehrere distinkte Zustände einnehmen kann. «Wir stehen noch ganz am Anfang», sagte Tibor Gyalog vom Nanoscience Institute zu Computerworld. «Wir können heute schon einzelne sogenannte Nanotubes mit einem Durchmesser von 1 Nanometer als Transistor benutzen.» Erste Moleküle lassen sich steuern und die Basler bekommen langsam auch das Kontaktieren einzelner Moleküle, also die Verschaltung der Transistoren, in den Griff. «Es gibt ja keine so kleinen Krokodilklemmen», scherzt Gyalog.

Basler Quantencomputer

Auf dem vielversprechenden Forschungsfeld der Quantencomputer sehen sich die Basler Nanowissenschaftler im Vorteil. «Unser Ansatz geht auf eine Idee des Basler Physikprofessors Daniel Loss zurück; dabei soll Halbleitertechnologie weiter eingesetzt werden», erzählt Gyalog. «Wir sehen darin einen Riesenvorteil, weil wir auf riesiges Know-how in diesem Bereich zurückgreifen können.» Quantencomputer punkten vor allem durch Hochleistungs-Performance. Sie können bestimmte Rechenprobleme in einem Bruchteil der Zeit erledigen, die ein herkömm­licher Computer bräuchte. Das eröffnet zum Beispiel in der Klimaforschung neue Perspek­tiven. Den ersten Quantencomputer aus Basel wird es aber so bald nicht auf dem Markt geben. «Warten Sie mal noch 25 Jahre», schätzt Gyalog. Klimaprognosen und ökonomische Vorhersagen sind laut IBM-Forscher Curioni eine knifflige Angelegenheit. Das Verhalten eines Systems – wie das Wetter oder die Wirtschaft – wird durch Gleichungen und Modelle beschrieben. Von den Gleichungen gibt es im Prinzip zwei Typen. Beim ersten Typ ziehen kleine Veränderungen auch nur kleinkalibrige Konsequenzen nach sich. Viel gefährlicher, weil unberechen­barer, ist jedoch Typ zwei: Dort haben kleine Änderungen grosse Auswirkungen. Der berühmte Schmetterlingsflügelschlag, der auf der anderen Seite des Planeten einen Orkan aus­lösen kann. «Diese Systeme vom Typ 2 nennen wir chaotisch», sagt Curioni. Und die Wirtschaft ist ein chaotisch-dynamisches System. Deshalb sind dort treffsichere Zukunftsprognosen nur sehr schwer durchführbar. Aber Curioni macht auch Hoffnung, denn selbst in chaotischen Systemen gilt die Regel: Je mehr Daten (Big Data) man zur Verfügung hat, desto besser werden auch die Modelle und Vorhersagen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: japanische Nanoroboter

Japanische Nanoroboter

Einen gewagteren Blick in die Zukunft wirft der japanische Futurologe Michio Kaku (vgl. «Physics of the Future»). Der promovierte Physiker betont, dass alle seine Vorhersagen im Einklang mit den Gesetzen der Physik stünden. Obwohl sie sich oft wie blühende Science-Fiction anhören. Bis 2030 sieht Kaku die Ankunft einer Art Nanomedizin. Winzige Reparaturroboter zirkulieren in unserer Blutbahn, reinigen dort unsere Ge­fässe, entfernen Verkalkungen und beugen Herzerkrankungen vor. Nanoroboter wären auch in der Lage, zum Beispiel Krebszellen durch gezielte chemische Injektionen aus ihrem «Tank» abzutöten, somit Krebs zu heilen, meint Kaku.

Universalmaschine: Der Replikator

Bis etwa 2050 hält der Forscher eine Art durch Software programmierbare Materie für möglich. Heutige 3D-Drucker geben bereits einen Vor­geschmack auf das, was wir möglicherweise in Zukunft erwarten dürfen. Software, geschrieben für die sogenannten neuromorphologischen Rechenmaschinen, greift in die Molekülstruktur ein, verändert sie und ermöglicht dadurch ein «Shape Shifting» – eine programmierbare Gestalt. Der Heilige Gral, Kaku nennt das «Replikator», rücke dann etwa zur nächsten Jahr­hundertwende in realistische Reichweite. Der Replikator ist eine Universalmaschine, mit der der Mensch alles programmieren und die Materie vollständig seinem Willen unterwerfen könne. Stellen wir uns ein Hochhaus wie den Zürcher Prime Tower vor, in dessen Keller­geschoss ein Replikator steht. Wollen Sie die Zimmeraufteilung Ihres Apartements verändern, fahren Sie einfach mit dem Lift in den Keller, geben Ihr Administratorpasswort ein und rekonfigurieren die Software. Eine Sache von Minuten.


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