23.10.2013, 16:21 Uhr

Krieg der Patente

Jeder gegen jeden, heisst das Motto. Ziel ist schon längst nicht mehr, Erfindungen gegen Plagiate zu schützen. In der IT-Industrie werden Patente zu strategischen Waffen, um die Konkurrenz anzugreifen.
In der IT-Industrie werden Patente zu strategischen Waffen, um die Konkurrenz anzugreifen
Microsoft gegen Google, Apple gegen Nokia, Samsung und HTC, Motorola gegen Apple, Oracle gegen Google: Patentklagen sind in der IT-Industrie in den letzten Jahren in Mode gekommen und drohen inzwischen auch, auf soziale Netzwerke überzugreifen, wie eine Klage von Yahoo gegen Facebook zeigt. Eigentlich sind Patente dazu gedacht, Erfindungen gegen Plagiate zu schützen. Doch in der IT-Branche mutieren sie immer häufiger zu strategischen Waffen und werden statt zur Verteidigung zum Angriff gegen die Konkurrenz genutzt. Lange herrschte in der Branche eine stille Übereinkunft darüber, sich nicht gegenseitig zu verklagen. Denn bei jeder Klage droht die Gefahr einer Gegenklage, in deren Rahmen schlimmstenfalls ganze Produktionen zum Erliegen kommen. Während man sich früher also meist gütlich und aussergerichtlich einigte, wird der Kampf um die Herrschaft über irgendwelche Patente heute vorzugsweise vor Gericht aus­getragen. Nicht selten vor einem halben Dutzend Gerichte in verschiedenen Ländern, weshalb auch die Justiz zunehmend genervt auf die Patentkriege in der IT-Industrie reagiert. Die Streitereien kosten die Unternehmen zudem Unsummen. Der Verlust wird am Ende über die Konsumenten kompensiert.

Schauplatz Handy-Markt

Besonders zugenommen haben die Patent­fehden im Smartphone-Geschäft. Hier geht es zum Beispiel um Patente zur Bedienung von Touchscreens oder um Lizenzen für Betriebssysteme wie Android. Nach etwa drei Jahren Smartphone-Patentkrieg ist ein Ende noch nicht in Sicht, Tendenzen gibt es aber sehr wohl: «Die höchste Erfolgsquote vor Gericht hat bislang klar Microsoft vorzuweisen», sagt Unternehmensberater Florian Müller gegenüber Computerworld. Der Patentrechtspezialist legt korrekterweise offen, dass Microsoft zu seinen Auftraggebern zählt. Doch die Zahlen sprechen für sich: Mit rund 50 Prozent gewonnenen Patentklagen allein in Deutschland habe Microsoft mittlerweile 20 Handy-Hersteller, die Android einsetzen, davon überzeugt, Lizenz­gebühren zu bezahlen – darunter Schwer­gewichte wie Samsung, LG, HTC und ZTE. Zur Erinnerung: Microsoft legte für die Handy­Sparte von Nokia (der Technikpionier hält rund 10000 Patente) 3,8 Milliarden Euro auf den Tisch. Weitere 1,65 Milliarden Euro zahlen die Redmonder, um die Patente von Nokia zehn Jahre lang nutzen zu können. Microsoft hat die Nokia-Patente also nicht gekauft, sondern zahlt lediglich Gebühren dafür. Nokia behält weiterhin seinen Android-Patentschatz, Microsoft darf die Erfindung aber verwenden. Ein strategischer Schachzug von Microsoft. Experten gehen davon aus, dass die Amerikaner auch im Streit gegen Google bald Schützenhilfe von den Finnen erhalten. Nämlich dann, wenn die in die Eigenständigkeit entlassene Nokia-Patenttochter selbst Geld für die Verwendung ihres geistigen Eigentums bei Handy-Herstellern eintreiben will. Auch dieser Schritt würde vornehmlich Android treffen, da die Software unterdessen auf vier von fünf Smartphones installiert ist. Ein hochrangiger Manager aus der Patentbranche äusserte gegenüber der Presse, dass es ihn nicht überraschen würde, wenn Nokia in den nächsten Monaten klagt. Hätte Microsoft die Nutzungsrechte von Nokia direkt gekauft, wäre der Doppelangriff auf Android zu auffällig gewesen, heisst es. Auch die Erfolgsquote von Apple, der klagefreudigste Konzern von allen, liegt im Aufwärtstrend – vor allem in den USA, aber nicht nur dort, wie Müller weiss. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Patente zur Verteidigung

Patente zur Verteidigung

Der Handel mit wichtigen Smartphone-Patenten blüht mehr denn je: Google beispielsweise kaufte den Handy-Pionier Motorola Mobility für 12,5 Milliarden US-Dollar hauptsächlich, um an dessen Patente zu gelangen. Denn oft dient die Aufrüstung mit Patenten nur der Verteidigung gegen Klagen von Mitbewerbern. Google allerdings wird auch nach dem Kauf von Motorola Mobility nicht in der Lage sein, Android patentrechtlich zu schützen, ist Müller sicher. «Der Kauf von Motorola hat Google bislang kein wirkliches Gegengewicht verliehen», sagt er. Aktuell kann Motorola nur ein einziges Patenturteil gegen Apple vollstrecken – auch dieses wird in Kürze kippen – und kein einziges gegen Microsoft, trotz zahlreicher Klagen in den USA und Deutschland. «Für 12,5 Milliarden US-Dollar ist das nicht nur eine schwache Ausbeute, sondern eine Katastrophe», meint Müller, «aber das Suchmaschinenmonopol fängt diese Fehlinvestition locker auf.»

Wer die meisten hat

IBM bekam 2012, wie in den Jahren davor, die meisten US-Patente zugesprochen, wie aus einer Aufstellung des IFI Claims Patent Services hervorgeht. Big Blue steht damit zum 20. Mal in Folge an der Spitze der Patentinhaber und kann gleichzeitig einen Jahresrekord mit 6478 gewährten Patenten vorweisen. Global soll IBM momentan rund 40000 Patente sein Eigen nennen. Deshalb bedienen sich jüngere Unternehmen, die mit geschütztem geistigem Wissen eher schlecht ausgerüstet sind, gern in IBMs Patente­schatzkammer. Allein mit den Lizenzeinnahmen verdient IBM jährlich rund 1 Milliarde US-Dollar. An jüngsten Klagen hat sich der Konzern klugerweise kaum beteiligt, er hat das aber aufgrund der Unmenge an eigenen Patenten auch gar nicht nötig. So mache allein die Drohung mit dem hauseigenen Patentportfolio den Konzern als Angriffsziel für potenzielle Kläger uninteressant, wie Müller gegenüber der Financial Times sagte. An zweiter Stelle der Patentanmelderliste steht Samsung mit 5081, gefolgt von Canon mit 3174 gewährten Schutzrechten. Sowohl Google als auch Apple haben es mittlerweile mit dem 21. und 22. Platz in die Top 50 der US-Patente geschafft. Google legte mit 1151 gewährten Patenten um 170 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu. Apple bekam 1136 Patente zugesprochen, das sind 68 Prozent mehr als 2011. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Unbeliebte Trolle

Unbeliebte Trolle

Doch nicht nur Hersteller hetzen ihre Patent­anwälte wie Kettenhunde aufeinander. Immer häufiger spielen Patentverwalter, sogenannte Patenttrolle, eine Rolle im modernen Krieg um Patente. Die Patentfreibeuter, wie sie auch abfällig genannt werden, bedienen sich oft des Patentrechts, um mit teils unüblichen, aber legalen Mitteln Lizenzgebühren für die Nutzung von Technologien einzunehmen. Dabei handelt es sich häufig um Einzelpersonen oder um Unternehmen, die keine eigenen Produkte herstellen, also keine Werte schaffen und deren Belegschaft praktisch nur aus Anwälten besteht. Sie erwerben und horten Patente, ohne jemals die einem Patent zugrunde liegende technische Erfindung einsetzen zu wollen. Hinter manchen dieser Patentjäger stecken auch grosse Unternehmen. So halten Sony und Nokia beispielsweise erhebliche Anteile am Rechteverwerter MobileMedia Ideas LLC. Falls es dann mit der Eintreibung von Lizenzgebühren nicht klappt, wird einfach geklagt. Das Geschäfts­modell, das den Betreibern zum Teil Millionen beschert, ist äusserst umstritten, denn Gerichte werden so als eine Art Marktplatz für Patente missbraucht. Die US-Regierung versucht deshalb, dem Treiben von Patenttrollen mit neuen Gesetzen Einhalt zu gebieten.

Fazit: Patentqualität zu schlecht

Ein gewisses Mass an Patentstreitigkeiten gehört zu einer gesunden Technologiebranche dazu. So macht sich Müller denn auch keine Sorgen über die Streitigkeiten zwischen grossen Konzernen, in deren Bilanzen die Prozesskosten nur einen Rundungsfehler darstellen. «Aber es muss etwas getan werden, um die Patentqualität zu erhöhen», fordert Müller. Und das sowohl in den USA als auch in Europa, wo bislang die grosse Mehrzahl der Patente, die im Smartphone-Zusammenhang eingeklagt wurden, einer erneuten Überprüfung ihrer Rechtmässigkeit, etwa vor dem deutschen Bundespatentgericht oder dem englischen High Court, nicht standgehalten haben. «Dies ist eine enorme Rechtsunsicherheit sowohl für die klagenden als auch die beklagten Parteien und wirft kein gutes Licht auf die Arbeit der Patentämter, die sich besser am Motto ‹Weniger ist mehr› orientieren sollten.»


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