Evolution des Mobilfunks 28.06.2018, 17:30 Uhr

Die Zukunft heisst 5G

Das Nervensystem der digitalen Schweiz erfährt ein Upgrade: Der Mobilfunk soll auf 5G aufgerüstet werden. Viele fragen sich: Was ist neu an dem Standard? Welche Vorteile wird er bringen und wo bestehen die Hindernisse?
(Quelle: Shutterstock/wk1003mike)
Die Technikgeschichte wartet selten mit einem «Big Bang» auf, der alles auf den Kopf stellt, sondern eher mit Weiterentwicklungen. Das wurde nirgends deutlicher als bei der vierten Mobilfunkgeneration 4G/LTE (Long Term Evolution). So wurde und wird die spektrale Effizienz deutlich gesteigert. Die spektrale Effizienz beschreibt, wie viel Kapazität man aus einem Funkspektrum herausholen kann, und wird in Bit pro Hertz angegeben. Bei LTE wurde aber auch Neues gebaut, etwa eine voll IP-basierte und daher paketvermittelte Netzinfrastruktur. Ende 2012 wurde LTE in vielen Ländern Europas eingeführt. Damit ging die Zeit der Leitungsvermittlung viele Jahre vor dem Festnetz zu Ende, wo erst um die Jahreswende 2017/2018 die alten Telefonzentralen (analog/ISDN) ab­geschaltet und alle Dienste auf All IP umgestellt wurden.

Klare Verbesserungen bei 4G/LTE

Doch zurück zu LTE: Bereits die erste Version brachte spürbare Verbesserungen, insbesondere bei der mobilen In­ternetnutzung. Da diese boomt, mussten rasch höhere Geschwindigkeiten her. Die Evolution von LTE schritt daher zügig voran, und die schnelle mobile Datenübertragung mit Download-Geschwindigkeiten stand daher stets im Vordergrund, etwa zur mobilen Nutzung von Cloud-Services.
Anfangs wurden bis zu 150, dann 300 und 700 Mbit/s geboten, seit Herbst letzten Jahres an einigen Hotspots sogar bis zu 1 Gbit/s. Solche Geschwindigkeiten waren bis vor Kurzem Glasfaserleitungen vorbehalten. Damit sind bereits heute mobiles Videostreaming in HD-Qualität, Videokonferenzen und Netzwerkspiele möglich. Benutzer von Smartphones, Tablets und Notebooks profitieren vom höheren Durchsatz und von kleineren Latenzzeiten. Diese betragen mittlerweile nur noch ca. 20 bis höchstens 50 Millisekunden. Zum Vergleich: Bei dem weiterhin betriebenen Vorgänger 3G/UMTS (Universal Mobile Telecommunications System) betrug die durchschnittliche Latenzzeit anfangs noch 200 bis 300 Millisekunden, was bei Sprachübertragungen zwar nur wenig störte, Videoübertragungen aber fast verunmöglichte. Dank neuer Mechanismen, etwa mit einer Echtzeitregelung der Übertragung bei schwankenden Funkkapa­zitäten, verringerte sich die Latenzzeit zuletzt auf rund 100 Millisekunden. Gemeinsam mit den weiter erhöhten Übertragungsgeschwindigkeiten von anfangs 2 Mbit/s bis zuletzt 84 Mbit/s stellte das eine klare Verbesserung dar.

Optimierte Frequenznutzung

Aber die Verbesserungen genügten bei Weitem nicht, denn die übertragenen Datenvolumina in öffentlichen Mobilfunknetzen verdoppeln sich seit Jahren alle neun bis zwölf Monate. Deshalb sind neue Funkkapazitäten dringend nötig, bei möglichst optimaler Nutzung der kostbaren Frequenzen. Bis Ende 2020 werden daher die alten 2G/ GSM-Netze (Global System for Mobile Communications) abgeschaltet. Diese nutzen heute die Bereiche 900 und 1800 MHz nur sehr ineffizient, sodass die dann frei werdenden Funkkapazitäten für 4G/LTE und 5G bereitstehen.
Auch die Abschaltung von UMTS wird aus denselben Gründen bereits diskutiert. Zusätzlich zu 900 und 1800 MHz könnten die Netzbetreiber dann die Frequenzen um 2,1 und 2,6 GHz für 4G und 5G nutzen. Weil dies aber bei Weitem nicht ausreicht, um den dramatisch zunehmenden Bedarf zu befriedigen, muss 5G auf neue Spektren ausweichen. Angedacht sind 3,4 und der Bereich um 6 GHz sowie die extrem kurzwelligen Spektren bis hinauf zu 60 GHz. Ab 30 GHz spricht man bereits von Millimeter-Funkwellen (mmW), die ihre eigenen Charakteristika haben und Signale nur im Nahbereich übertragen können.
5G ersetzt aber auch altbekannte Technologien. Der Öffentlichkeit, aber auch der ICT-Branche weitgehend un­bekannt ist die breite Nutzung von GSM für Kurzmeldungen. Sensoren zur Erfassung von Temperaturen oder Füllmengen, aber auch viele Automaten und Anlagen nutzen das robuste GSM zur Übertragung kleiner bis kleinster Datenmengen, oft nur eine Meldung pro Tag. Bestehende An­lagen müssen baldmöglichst auf 4G/LTE oder dereinst 5G um­gestellt werden. 4G wird in Kürze und 5G nach dessen Einführung die Möglichkeit zur Nutzung des Internet of Things (IoT) bieten und ihm den Weg weiter ebnen. Geschätzte 30 bis 50 Milliarden IoT-Endgeräte weltweit im Jahr 2022 lassen die kommende Verkehrsmenge erahnen.
Ein weiteres wichtiges Ziel ist eine schnelle Abwicklung des Verkehrs, damit die Funkkapazität nach dem Senden der Datenpakete dem nächsten Nutzer auch rasch zur Verfügung steht. Dies kann man nicht nur mit schnellen Links, sondern auch mit kurzen Verbindungsaufbauzeiten erreichen. Bei 4G/LTE wurde dazu die Netzarchitektur vereinfacht und die Zahl der Signalisierungsmeldungen zwischen den Netzelementen reduziert. Der Verbindungsaufbau dauert dadurch weniger als 100 Millisekunden, was für Voice over LTE (VoLTE), mobiles Telefonieren auf dem IP-basierten LTE-Netz und andere Anwendungen von grosser Bedeutung ist. Bei UMTS dauerte es bis zu drei Sekunden. Da­rüber hinaus sind Antwortzeiten von 20 bis 30 Milli­sekunden unter optimalen Empfangsbedingungen möglich.

Glasfaser verdrängt die Kupferleitung

Die erforderlichen Basisstationen werden seit Jahren unter Verwendung von Glasfaserkabeln breitbandig an das Kernnetz angeschlossen. Zudem werden in der Schweiz in seltenen Fällen dedizierte Richtfunkstrecken zu Basisstationen eingerichtet. Hierzu zählen etwa nicht erschlossene oder abgelegenen Standorte. Eine rundstrahlende LTE- Basisstation mit drei Sektoren mit einem Abstrahlwinkel von je 120 Grad benötigt heute eine Bandbreite von etwa 500 Mbit/s. Dies ist ein Vielfaches von dem, was für GSM, aber auch für UMTS als sinnvoll erachtet wurde. Dort reichten noch Kupferleitungen mit 2 oder 4 Mbit/s. Dies zeigt, dass Glasfasern näher an die Senderstandorte kommen und Kupfer wohl bald ausgedient hat, auch wenn das die Betreiber nicht gerne hören, da sie hohe Investitionen abschreiben müssen. Bei 5G hingegen sind Glasfasern ein Muss.

Weiterentwickelte Verfahren: MIMO …

Viele funktechnischen Grundlagen für 5G wurden bereits bei 4G/LTE gelegt. Dazu gehört die weiter intensivierte Nutzung von Multiple Input, Multiple Output (MIMO), eine sogenannte Mehrantennentechnik mit räumlich separierten Datenströmen. Bei LTE wurden anfangs bis zu vier Antennen in der Basisstation und zwei Antennen im Endgerät vorgesehen, bei 5G hingegen bis zu 32 Antennen im Sender sowie entsprechend winzige Antennen im Endgerät. Das technische Grundprinzip von MIMO kommt bereits seit Jahren in WLANs meist mit paarweisen Antennen zum Einsatz, anfangs als 2 × 2 MIMO, später als 4 × 4 MIMO und neuerdings als 8 × 8 MIMO. Dabei nutzt der Raummultiplex (Spatial Multiplexing) die räumlich statistischen Eigenschaften eines Funkkanals mehrfach aus und verteilt den Datenstrom gleichmässig auf «N» Sendeantennen, sodass jede Antenne nur die 1/N-fache Datenrate abstrahlen muss.
MIMO wird auch bei 5G zum Einsatz kommen, und zwar als 8 bis 32 MIMO mit paarweisen Antennen und entsprechend vielen Kanälen
Quelle: Rüdiger Sellin
Dies allein erhöht die gesamte Sendeleistung zwar nicht zwingend. Jedoch wird die Übertragung ständig neu an die wechselnden Eigenschaften des Kanals angepasst. Alle Schichten des Kommunikationssystems müssen eine hohe Flexibilität ausweisen. Eine grosse Herausforderung besteht etwa darin, komplexe Sende- und Empfangssysteme für Mehrantennensysteme so in der verfügbaren Hardware zu implementieren, dass diese unter Echtzeitbedingungen einwandfrei laufen. Die dazu erforderliche hohe Rechenleistung bedingt zudem genügend grosse Akkuleistungen im Endgerät. Aus den verschiedenen Empfangssignalen wird über komplizierte Algorithmen ein optimiertes Summensignal ermittelt. Im Idealfall erreicht man einen besseren Datendurchsatz, da die Sende- und Empfangswege nicht den gleichen Störungen unterliegen. Signalverluste und Interferenzen werden vermieden oder korrigiert.

… und Carrier Aggregation

Eine weitere Möglichkeit zur Beschleunigung der mobilen Datenübertragung besteht in der Bündelung von Kanälen über mehrere Trägerfrequenzen, genannt Carrier Aggregation (CA). In der Evolutionsstufe 4,5 G/LTE-A (LTE Advanced) dient CA der weiteren Erhöhung der Datenrate pro Nutzer. LTE-A wählt zum Beispiel drei Trägerfrequenzen aus vier 2600 MHz). Innerhalb dieser Frequenzbänder werden dem User je nach lokaler Verfügbarkeit mehr oder weniger breite Frequenzblöcke zugewiesen (5, 10, 15 oder 20 MHz breit) und mit der CA-Technik kombiniert.
Beispielsweise kann man zwei Blöcke von je 10 MHz auf den Frequenzen 800 und 1800 MHz kombinieren und dem Endbenutzer insgesamt 20 MHz via CA anbieten. Eine weitere Möglichkeit wäre die Kombination zweier Blöcke mit 15 MHz auf 1800 MHz und 20 MHz auf 2600 MHz, was via CA insgesamt 35 MHz ergäbe. Die maximale Datenrate pro Nutzer erhöht sich dabei mit der Anzahl der Frequenz­blöcke. Auch die Gesamtdatenrate pro Funkzelle wird durch eine verbesserte Ressourcenausnutzung erhöht.
Carrier Aggregation (CA): Im vereinfachten Beispiel werden im Bild fünf unterschiedlich breite Spektren zu einem einzigen Kanal mit einer Bandbreite von 300 MHz kombiniert
Quelle: Rüdiger Sellin
Es liegt nahe, dass zur CA-Nutzung mit mehreren Datenübertragungswegen MIMO standardmässig zum Einsatz kommt. CA und MIMO fordern den integrierten Schaltungen in den Endgeräten eine grosse Rechenleistung ab, was die Akkulaufzeit in den Fokus rückt. Auf der Empfängerseite gilt es, mehrere Datenströme zwecks tiefer Latenz möglichst schnell wieder zu einem konsistenten Gesamtsignal zusammenzusetzen. Dies ist insofern beachtlich, als Signalreflektionen zu unterschiedlichen Laufzeiten führen können und die Signale mit mehreren 100 Mbit/s beim Empfänger eintreffen können. Hier haben die Chiphersteller beachtliche Entwicklungen geleistet.
So erstaunt es nicht, dass MIMO und CA in weiterent­wickelter Form auch für 5G zum Einsatz kommen werden. Das neue Verfahren trägt den langen Namen Multi-Radio Access Technology Carrier Aggregation (Multi-RAT CA) oder auch Multi-Flow CA. Mit stromeffizienteren Endgeräten will man bei 5G auch den Stromverbrauch in den Griff bekommen. Dies ist möglich dank schnellerer, kleinerer und sparsamerer Chipsätze. Die Ziele von 5G sind also ambitioniert:
  • Die Datenraten der kommenden Mobilfunkgeneration müssen auf bis zu 10 Gbit/s und mehr steigen. Im Labor wurden bereits 14 bis 15 Gbit/s erreicht.
  • Für IoT soll 5G Milliarden von Endgeräten versorgen; gerade für die Versorgung von Sensoren und Aktoren muss die Funktechnik so energieeffizient arbeiten, dass die im Gerät fest installierten Batterien über mehrere Jahre betriebsbereit bleiben.
  • Zur geplanten Echtzeitsteuerung und -regelung autonomer Autos oder von Verkehrswegen soll die Latenz von 5G auf nur noch wenige Millisekunden sinken.
  • Zur Beherrschung komplexer Industrieprozesse, für die Telemedizin oder für Rettungsdienste müssen die Verbindungen schnell und auch absolut zuverlässig sein.
Um dies alles zu erreichen, sind neue Ansätze erforderlich, was auch die Frage von 5G-Zweiflern beantwortet, weshalb man nicht einfach 3G/UMTS oder 4G/LTE ausbauen könne.

Zahlreiche Neuentwicklungen für 5G

Zunächst müssen bei 5G divergierende Anforderungen in Einklang gebracht werden – hohe Datenraten, energiesparende Funktechnik, tiefe Latenzen und möglichst breite Abdeckung. Die Lösung besteht darin, dass längst nicht jede Anwendung alle genannten Eigenschaften gleichzeitig benötigt. 5G unterstützt deshalb verschiedene Nutzungsprofile und reserviert exklusive Netzkapazitäten – genannt «Network Slicing». Bildlich gesprochen, möchte ja nicht jeder eine gleich dicke Scheibe Brot auf dem Teller haben. Analog dazu koexistieren in 5G Datenströme mit unterschiedlichen Parametern. Von dieser Möglichkeit profitieren etwa Sicherheits- und Rettungsdienste. 5G erreicht dies durch eine Virtualisierung von Netzfunktionen (NFV). Das Mobilfunknetz entscheidet dann nutzerabhängig, dass bestimmte Datenpakete mit minimaler Latenz und andere mit maximaler Datenrate transportiert werden. NFV kennt man bereits vom Software Defined Networking (SDN).
Ein weiteres wichtiges Feature ist das sogenannte «Beamforming» mit variabler Antennencharakteristik. Damit kann man einen schmalen, dafür längeren Strahl in eine entfernte Ecke einer Funkzelle führen oder aber ihn massiv kürzen, dafür verbreitern, um damit eine höhere Sendeleistung auf eine kurze Distanz zu beschränken und einem nahen Teilnehmer einen möglichst schnellen Link bereitzustellen. «Beamforming» ist nach heutiger Gesetzgebung in der Schweiz nicht möglich, weil die hierzulande engen Anlagengrenzwerte damit zeitweilig überschritten würden (vgl. Box «5G-Rollout in der Schweiz gefährdet»).
Besonders für extrem kurze Reaktionszeiten sind neue Ansätze erforderlich. Um beispielsweise die geforderte Latenz von wenigen Millisekunden zu erreichen, rückt bei 5G ein Teil der Netzintelligenz zur ultraschnellen Verarbeitung der Daten möglichst nah an die Endgeräte heran – aus Sicht des Netzbetreibers an den Rand (Edge). Nach Jahren der Zentralisierung von Netzfunktionen passiert beim «Mobile Edge Computing» nun genau das Gegenteil. Bei 5G enthält jede Basisstation einen eigenen Cloud-Server, der Daten beschafft, lokal speichert und verarbeitet.

Statistische Voraussagen

Die nächste Frage ist nun, woher der lokale Cloud-Server weiss, welche Daten seine Clients als Nächstes benötigen. Hier kommen intelligente Algorithmen ins Spiel, die dank statistischer Vorhersagen bereits im Voraus wissen, welche Daten eine Anwendung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als Nächstes benötigt. In der produzierenden Indus­trie ist diese Vorhersage zentral, denn wenn falsche Daten aus der externen in die lokale Cloud geholt werden, wird im schlimmsten Fall Ausschuss produziert oder der Produk­tionsprozess kommt gar ins Stocken. Die hohen Erfolgs­quoten zeigen, dass dies jedoch nur sehr selten passiert.
Auch bei der Verkehrssteuerung ist man mit intelligenten Algorithmen erfolgreich, da sich der voraussichtliche Fahrweg oder das Verhalten vernetzter Fahrzeuge recht gut vorausbestimmen und der Verkehr dementsprechend steuern lässt. Bei der Telemedizin muss der lokalen Cloud bekannt sein, welche potenziellen Fälle zu lösen sind, um schnell die richtige Hilfe zu organisieren. Es liegt auf der Hand, dass in allen Fällen verlässliche Daten über das Verhalten der Maschine oder des Nutzers vorhanden sein müssen, um eine passende Vorhersage erstellen zu können. Aber in den meisten Fällen sind die Daten ohnehin vorhanden und müssen nur noch richtig interpretiert werden.
Im ersten Quartal dieses Jahres wurde die Branche durch die Meldung irritiert, dass die US-amerikanische Regierung ihr künftiges 5G-Netz wegen angeblicher Sicherheitslücken selbst bauen will. Sofort kam die Frage auf, ob 5G denn generell unsicher sei, was klar verneint werden kann. Eine gewisse Unsicherheit besteht bei Themen wie Cloud oder IoT ohnehin. Die Kombination mag die Einfallstüre für böswillige Angriffe aus dem Internet ein wenig weiter öffnen. Erschwerend hinzu kommt, dass die äusserst kleine Latenz praktisch keine Zeit für ausführliche Virenscans oder intensive Packet Inspections lässt. Daher hilft auch hier ein intelligenter Algorithmus in der lokalen Cloud, der das Risiko einer böswilligen Veränderung eines Datenpakets bewertet und vorsorgliche Massnahmen trifft. Zudem sprechen 5G-Entwickler von einer übergeordneten Sicherheitsstrategie, die alle Bereiche einschliesst. Die Sicherheit wird also auch bei 5G gewährleistet sein und die US-Regierung folgt in ihrer Sicherheitsbewertung von 5G wohl eher ihrer eigenen protektionistischen Strategie gegen asiatische und andere ausländische Lieferanten.

Wildwuchs bei den Standards befürchtet

Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass viele Grund­lagen für 5G bereits während der jahrelangen Evolution der noch aktuellen Vorgängergeneration 4G/LTE gelegt wurden. Wegen der stark verteilten Frequenzbänder wird das 5G- Zugangsnetz Radio Access Network (RAN) allerdings deutlich komplexere Strukturen als bisher aufweisen, die man so noch nicht kannte, und hohe Ansprüche an die Basisstationen und die damit verbundenen Endgeräte stellen.
Zudem sieht das RAN keinesfalls weltweit gleich aus, sondern weist je nach Kontinent, Region und Anwendungen Besonderheiten auf. Dies hat Tradition und begann bereits Ende der 90er-Jahre, als GSM-Netze in den USA auf 1900 MHz liefen, während sie in Europa auf 900 und 1800 MHz betrieben wurden. Bei UMTS ist der internationale Wildwuchs nochmals grösser und auch bei 5G scheint es so, als ob Asien eigene Wege beschreitet. Durch die weiter fortschreitende Verkleinerung von Mikrochips bei gleichzeitiger Erhöhung der Rechenleistung gelingt es aber immer besser, mehrere Frequenzbereiche oder RAN-Zugangsverfahren/Codecs etc. auf einem Chip zu integrieren. Ob und wie das bei 5G gelingen wird, muss sich noch zeigen.

Asiatische Länder gehen voran

Internationale Standards entstehen traditionell in Standardisierungsgremien. Experten aus verschiedenen Ländern versuchen hier in grosser und langwieriger Arbeit, gemeinsam eine funktionierende Lösung zu finden, was oft nicht leicht ist. Meist verfolgt eine Region (etwa Asien) mit ihren eigenen Betreibern und Lieferfirmen eine andere Strategie als andere Regionen (beispielsweise Europa oder Nordamerika). Selten sind in allen Ländern dieselben Frequenzen frei. So überrascht es nicht, dass bei 5G etwa 5 bis 6 verschiedene RANs diskutiert werden – abhängig vom Anwendungsfall, aber auch von Region und Frequenz. Die Führung unter den Gremien im Bereich Mobilfunk hat seit einigen Jahren das Gremium 3GPP (Third Generation Partnership Project, www.3gpp.org). Es vereint zurzeit sechs nationale Standardisierungsgremien aus Europa (1), USA (1), Japan (2), Korea (1) und China (1), was die asiatische Dominanz verdeutlicht. Mit der Focus Group IMT-2020, einer weiteren Standardisierungsgruppe aus der International Telecommunications Union (ITU), erfolgen zudem enge Abstimmungen über sogenannte «Proposal Submission Windows», eine Art Abstimmungsfenster, in dem die Arbeiten dieser Gremien möglichst eng synchronisiert werden.
Die Entwicklung mobiler Kommunikationsnetze mit der Möglichkeit zu Roa­ming, also mit grenzüberschreitender Verwendung der Endgeräte, startete bereits bei der ersten digitalen Mobilfunkgeneration 2G/GSM. Alle analogen Vorgänger werden unter 1G zusammengefasst. Die Netze waren eher national geprägt und daher proprietär. 3GPP als führendes Standardisierungsgremium hat unter diesem Gesichtspunkt während Jahrzehnten Wegweisendes geleistet – von der Öffentlichkeit blieb dies allerdings weitgehend unbemerkt
Quelle: Rüdiger Sellin
Die Arbeiten zur 5G-spezifischen Standardisierung starteten in 3GPP bereits mit dem Release 14. Dort wurde mit LTE-A Pro der letzte Feinschliff an 4G gelegt. Aber bereits mit Release 13, teils sogar in früheren Releases, wurden wichtige technische Grundlagen für 5G gelegt, so wie die Carrier Aggregation, die Grundlagen für IoT in 4G und 5G, Machine Type Communications (MTC), MIMO und «Beamforming», Indoor Positioning, was wichtig ist zur Ortung von Produktionsmitteln in der industriellen Produktion, Broadcast Messaging in einer Zelle, etwa im Katastrophenfall oder Emergency Services, was bei Unfällen respektive Notfällen äusserst wichtig ist.

Erste Rollouts und Anwendungsfälle

Es überrascht nicht, dass der asiatische Wirtschaftsraum auch bei 5G wiederum als Treiber des Mobilfunks agiert und erste kommerzielle Netze dort entstehen (Südkorea, Japan und China). 5G kommt zeitnah aber auch in den USA sowie in Europa auf (nach heutigem Stand Deutschland und Schweiz), jedoch mit jeweils anderen Szenarien. Die USA beschränken sich zunächst auf den Fixed Wireless Access (FWA), also 5G als eine Art Festnetz-Ersatz, und wollen dazu hochfrequente mmWs nutzen. Europa will hin­gegen auf dem 3,5-GHz-Band funken und sieht den Aufbau neuer Mobilfunkkapazitäten im Vordergrund. Weitere intensiv genutzte mobile Breitbandanwendungen sind hier die Treiber. Ultrahohe Frequenzbänder über 30 GHz sollen später (je nach nationaler Verfügbarkeit) aber auch hier durch 5G genutzt werden. Viele Anwendungsfälle in der produzierenden Industrie stehen bereits in der Erforschung oder sogar in der Erprobung (Industrie 4.0, Transport­wesen). Für den asiatischen Raum wird der mmW-Einsatz früher als für Europa erwartet.
Nach Einschätzung des Ericsson Mobility Reports werden 1 Milliarde Menschen bereits 2023 5G nutzen. Diese Netze werden zunächst in dicht besiedelten Städten entstehen und Ende 2023 weltweit bereits 20 Prozent der Bevölkerung versorgen. Dies wird auch nötig sein, da sich der weltweite mobile Datenverkehr bis 2023 verachtfachen wird. Das wären ca. 110 Exabyte Daten pro Monat. Dies entspricht einem HD-Videostream, der während 5,5 Millionen Jahren läuft. Dass die entsprechenden Endgeräte bis zur breiten 5G-Einführung noch weiter schrumpfen müssen, steht ausser Frage. Noch vor zwei Jahren füllte ein solcher 5G-Prototyp einen Rollkoffer. Mittlerweile sind die End­geräte für das neue Mobile-Zeitalter immerhin auf die Grösse eines 19 Zoll grossen Boards verkleinert. Die weltweiten Smartphone- und Chiphersteller arbeiten aber weiterhin intensiv an kompakteren und energieeffizienten 5G-Endgeräten und 5G-Chips, sodass gegen Ende des Jahres erste FWA-Endgeräte, sprich 5G-Router, und Anfang des kommenden Jahres erste Smartphones und Tablets am Markt erwartet werden.
Der Autor
Rüdiger Sellin
ist Diplom-Ingenieur (FH) und arbeitet seit 1992 als Fachjournalist SFJ/MAZ mit den Schwerpunkten ICT und Elektrotechnik.



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