«Digitale Transformation ist der falsche Begriff»

Von Produkten zu Services

CW: Durch das digitale Ökosystem ist Vorwerk von einer Produkte- zu einer Services-Firma geworden. Würden Sie widersprechen?
Ganns: Widersprechen sicher nicht. Aber wir haben es nicht allein gemacht, denn die erfolgreichen Produkte gab es ja schon. Und Vorwerk war schon immer ein Unternehmen, das über seine Berater stark auf Service gesetzt hat. Ohne Zweifel haben wir aber zur Transformation beigetragen. Es ist ja so: Man kann ein Unternehmen von oben verändern oder man kann von aussen Veränderung auf­gezwungen bekommen, aber in unserem Fall haben wir Vorwerk auch massgeblich aus der zweiten Reihe in Richtung Digital transformiert, mit grosser Unterstützung aus vielen Bereichen. Die Ingenieure haben zum Beispiel dabei unterstützt, ein Display in ein Küchengerät einzubauen, haben immer und immer wieder eine neue Software aufgespielt, getestet, verworfen und wieder getestet – das war 2012 alles andere als selbstverständlich.
CW: Ganz generell: Würden Sie mir bitte Ihre Definition der digitale Transformation nennen?
Ganns: Für mich ist die digitale Transformation der völlig falsche Begriff. Denn in der Transformation ist das Digitale nur das Werkzeug. Die eigentliche Transformation besteht aus drei entscheidenden Elementen: Erstens die Transformation hin zu einem mündigen Kunden, den wir sehr ernst nehmen müssen. Früher haben wir ein Produkt gebaut und darauf gewartet, ob der Markt es annimmt oder nicht. Heute kann der Kunde schon vor und auch noch während der Produktentwicklung seine Meinung sagen – und tut es auch. Dieser Feedback-Loop muss ein Bestandteil der Produktentwicklung sein. Deshalb ist der Software-Teil des Produkts auch nicht komplett fertig, wenn es in den Markt geht. Das ist vollkommen normal heute.
Zweitens gibt es eine neue Kultur unter den Digital Natives, die keine Welt mehr ohne digitale Anwendungen kennen. Ihre Apps, Geräte und Programme verändern sich und werden wie beschrieben auch nach dem Kauf immer besser. Danach streben die Menschen auch persönlich. Sie wissen um ihre Fähigkeiten und wollen sie permanent verbessern. So sind es nicht mehr die Firmen, die sich ihre Angestellten aussuchen können, sondern die Angestellten suchen sich ein Unternehmen aus.
Das dritte Element der Transformation ist die Einfachheit und damit Geschwindigkeit, mit der Innovation geschieht. Die digitale Technologie erlaubt es heute, eine Disruption fast ohne Ressourcen auf den Markt zu bringen. Deshalb funktionieren allerdings auch viele althergebrachte Managementmethoden nicht mehr, die von linearen Zusammenhängen ausgehen. In der digitalen Welt gibt es kaum Linearität, alle Entwicklungen geschehen in komplexen Systemen und sind exponentiell – Menschen denken aber sehr linear. Um der Komplexität Herr zu werden, muss deshalb mit permanentem Feedback und mit Korrekturen gearbeitet werden.
“Mit Machine Learning stellen wir das Gerät für den Nutzer individuell ein„
Julius Ganns
CW: Wenn Geld keine Rolle spielen würde, welche Innovation würden Sie sofort vorantreiben?
Ganns: Ich will gern vorausschicken, dass wir bei Vorwerk Digital viele Möglichkeiten haben. Deshalb arbeiten wir an dem, was wir gerne tun wollen. Unsere digitalen Lösungen entwickeln sich immer mehr zu intelligenten Kochassistenten. Das beginnt bei einem intelligenteren Gerät und geht weiter zu intelligenteren Apps und einem intelligenteren Ökosystem. Die Strategie dahinter ist: Der Thermomix steht nicht nur in der Küche, er soll als App den Kunden in seinem Alltag begleiten. So wird er noch stärker beim Erreichen individueller Ziele helfen: mehr kochen, gesund kochen, lokale Zutaten verwenden und abnehmen. Das Ökosystem könnte dem Kunden eine Erinnerung senden: «Du wolltest zweimal pro Woche kochen. Dieses Ziel hast Du noch nicht erreicht. Hier ist ein Vorschlag für ein neues Rezept aus Deinem Geschmacksspektrum und hier ist die zugehörige Einkaufsliste.»
CW: Das wäre vergleichbar mit Amazons digitaler Assistentin Alexa für den Thermomix?
Ganns: Alexa oder Google Home sind in Wahrheit ja nur Zugangspunkte so wie Facebook oder WhatsApp. Unser Gerät und unser Ökosystem sind die «Intelligenz» dahinter. Der Thermomix wird von einem unserer Berater beim Kunden in der Küche installiert und der Kunde erhält eine persönliche Einführung – das ist aus Customer- Experience-Sicht unschlagbar. In Zukunft wird aber der Thermomix selbst noch aktiver werden und den Kunden kennenlernen. Mit Machine Learning können wir das Gerät für den Benutzer individuell einstellen. So könnte zum Beispiel anhand der Präferenzen des Kunden eine Vorauswahl aus den Tausenden verfügbaren Rezepten getroffen werden.
CW: Wo sind diese personenspezifischen Daten gespeichert? Auch bei Amazon in der Cloud?
Ganns: Nein. Personalisierte Kundendaten liegen ausschliesslich in der Schweiz bei einem lokalen Anbieter. In der Cloud sind lediglich anonymisierte Informationen gespeichert. In diesem Punkt ist Vorwerk etwas altmodisch, was ich aber auch ganz gut finde.
“Personalisierte Kundendaten liegen in der Schweiz. In diesem Punkt ist Vorwerk gern etwas altmodisch„
Julius Ganns
CW: Wer hat die Datenhaltung in der Schweiz bestimmt?
Ganns: Die Entscheidung basiert einfach auf Vorwerks Philosophie – wir bauen Produkte, die den Kunden begeistern sollen. Wir sind nicht im Datengeschäft und daher tun wir alles, um diese Daten stets sicher und geschützt zu halten. Ein Grund für meine persönliche Haltung sind auch die eigenen Erfahrungen mit dem Datenschutz. Ich teile selbst Daten mit bestimmten Firmen – schliesslich könnte ich sonst weder Amazons Alexa noch Google wirklich nutzen. Die zwingende Voraussetzung für die Datenfreigabe ist allerdings, dass ich allein die Entscheidung aktiv sowie freiwillig treffen und sie auch zurücknehmen kann.
Gemeinsam mit Kollegen hat Julius Ganns dem Vorwerk-Konzern ein neues Geschäftsfeld erschlossen
Quelle: Stefan Walter / NMGZ
CW: Sie erwähnten noch vakante Positionen. Welche Leute suchen Sie? Und: Wie rekrutieren Sie Fachkräfte?
Ganns: Wir haben einen neuen Ansatz gemeinsam mit unserer HR-Abteilung gewählt: Für Vorwerk Digital haben wir einen eigenen Recruiter eingestellt, der Kandidaten direkt über die Netzwerke anspricht. Einerseits sind das die gängigen Business-Portale wie LinkedIn & Co., andererseits aber auch die persönlichen Beziehungen und Empfehlungen der jeweiligen Kollegen vor Ort. Ich muss ehrlich sagen, dass die Mehrheit der Kandidaten nicht von allein auf Vorwerk zukommt. Dafür ist die Digitalsparte noch zu unbekannt. Wenn die Leute aber sehen, wie fortgeschritten die Technologie ist, werden viele hellhörig. Denn ein Unternehmen mit zwei Millionen IoT-Geräten, direktem Kundenkontakt über Apps, Berater und Webseiten sowie den Hunderten Millionen Datenpunkten verspricht auch interessante Jobs. Hinzu kommt die erwähnte Unternehmenskultur bei Vorwerk Digital mit den agilen Methoden, kurzen Entwicklungszyklen und den selbstständigen Teams. All dies ist auch nicht gerade typisch für einen Traditionskonzern.
Meine Anforderung an die Kandidaten ist, dass sie selbstständig und selbstbewusst arbeiten. Denn genau wie jeder andere habe auch ich mit meiner «Vorgesetzten-Meinung» nicht immer recht. Wenn ein Kollege eine gute Idee präsentiert, die ansonsten Unterstützung findet, von der ich persönlich aber nicht sofort überzeugt bin, bedeutet es noch lange nicht, dass er die Idee verwerfen muss.



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