Praxis 03.06.2015, 10:25 Uhr

Sand im Innovationsgetriebe? Wie Ideen laufen lernen

Sehr oft haben die eigenen Mitarbeiter innovative Ideen. Man müsste meinen, dass diese sofort aufgegriffen und umgesetzt werden. Aber meistens passiert genau nichts. Warum?
In letzter Zeit hatte ich mehrere Kundengespräche, die mich sehr nachdenklich zurückliessen. Ich sprach jeweils zunächst mit einzelnen innovativen Mitarbeitern, die wirklich gute Ideen entwickeln ? seien es Produktverbesserungen oder komplett neue Geschäftsmodelle. Soweit so gut. Der Innovationstrichter wird gefüllt. In einer sich immer schneller drehenden Welt eine gute Voraussetzung, um langfristig erfolgreich am Markt zu sein. Meine Erwartungshaltung war nun, dass alle, von der Geschäftsleitung über das Produktmarketing bis zu F&E, diese Ideen schnell und mit grosser Begeisterung aufgreifen und umsetzen werden. Doch es passierte ? nichts! Ich gewann förmlich den Eindruck, dass von unterschiedlichen Personen und Abteilungen immer neue Hürden aufgebaut wurden. Die Folge: an eine Umsetzung und einen zügigen Marktgang war überhaupt nicht zu denken. Ist also plötzlich ?Time to Market? für Unternehmen in Deutschland nicht mehr wichtig? Das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen ? es musste andere Gründe für dieses Verhalten geben. Deshalb möchte ich zunächst auf die Probleme eingehen und anschliessend vielversprechende Lösungsansätze aufzeigen.

Hindernisse auf dem Weg zur Innovation

Welche Hindernisse gibt es in Unternehmen und Organisationen, die Innovationen systematisch ausbremsen? Welche Mechanismen laufen bei den beteiligten Mitarbeitern ab?
Hindernis 1: Menschen wollen sich nicht ändern
Entgegen aller Beschwörungen, die da lauten: ?Veränderung ist erwünscht!?, ?Wir setzen uns an die Spitze von Veränderungsprozessen.?, ?Jede Veränderung bringt uns weiter!?, wollen sich die meisten Menschen nicht verändern. Änderungen werden zunächst als ein Verlust wahrgenommen und erzeugen Frustration und Angst. Das geht so weit, dass Veränderungen in der ersten Phase vollständig ignoriert werden (?Das kann doch gar nicht sein! Das haben wir doch noch nie anders gemacht!?). Erst nach einer längeren Phase eines gefühlten Kompetenzverlustes werden Veränderungen akzeptiert und es wird gelernt, mit Veränderungen umzugehen und zu lernen ? bis das gefühlte Kompetenzniveau wieder ansteigt. Fazit zu Hindernis 1: Nur wenige Menschen in einem Unternehmen sind wirklich bereit für Veränderungen. Ein Veränderungsprozess braucht Zeit. Innovationen benötigen Veränderungswillen.
Hindernis 2: Unsere Wahrnehmung als Hemmschuh für Innovationen
Wahrnehmung ? also unser Sehen, Denken, Fühlen, Handeln ? ist nicht so real wie wir gemeinhin normalerweise annehmen. Sie ist von unserem individuellem Lebens- und Erfahrungshintergrund geprägt. Wir sehen nicht was ist. Vielmehr interpretieren wir die Dinge im Zusammenhang; und zwar so, wie es für uns in der Vergangenheit sinnvoll und nützlich war. Wahrnehmung durchläuft bei uns Menschen viele Interpretationsfilter. Nur die Information, die durch alle Filter durchgelassen wird, erreicht uns. Anschliessend erfolgt die Bewertung der Informationen. Und dies funktioniert über tief verankerte Muster, die von uns in der Vergangenheit geprägt und ausgebildet wurden. All dies hat uns in der Vergangenheit geholfen, Probleme zu bewältigen, Entscheidungen zu treffen und Sicherheit zu erzeugen. Fazit zu Hindernis 2: Unsere Wahrnehmung funktioniert vergangenheitsbezogen. Wir streben nach Sicherheit. Innovationen sind zukunftsorientiert und laufen unserem Wunsch nach Sicherheit entgegen.
Hindernis 3: Vermeidung von Unsicherheit
Unsicherheit erzeugt Unbehagen und Ängste. Damit Menschen zufrieden und ausgeglichen sind, wollen sie so weit wie möglich Unsicherheiten vermeiden. Dies erreicht man durch feste Regeln, Kontrolle und feste Ordnungen. Fazit zu Hindernis 3: Innovationen bringen alles ins Wanken. Hier gibt es keine Sicherheiten. ?Schöpferische Zerstörung? als Synonym für Innovation oder gar disruptive Innovationen und Geschäftsmodelle sind das Gegenteil von Sicherheit.
Wie Ideen laufen lernen?
Soweit einige Aspekte, die aufzeigen, wie uns ?menschliche? Hindernissen auf dem Weg zu Innovationen behindern. Wie schaffen wir es dennoch, Innovationen auf die Strasse zu bringen? Wie entsteht letztendlich Neues?
Punkt 1: Richtige Fragen stellen
Was sind in diesem Zusammenhang ?richtige? Fragen? Richtig gute Fragen sind die, für die es derzeit noch keine Antworten gibt. Wir können sie aufgrund unserer Erfahrungen ? also vergangenheitsbezogen ? nicht beantworten. Das hat natürlich auch implizit mit einem veränderten Umgang zum Thema Unsicherheiten zu tun: wenn wir die Antwort noch nicht kennen und uns dennoch an die Lösung der Frage heranwagen, so hat dies viel mit  Mut und dem Annehmen von Risiko zu tun. Dies ist auch der erste Schritt weg von der Analyse (vergangenheitsbezogen) und hin zur Kreativität (zukunftsorientiert). Kreatives Denken ist grundlegendes Handwerkszeug für Designer, Architekten und Philosophen und sollte auch von Business Managern und Ingenieuren übernommen werden. Neuere Ansätze wie z.B. Design Thinking verfolgen genau diesen Weg.
Punkt 2: Kultur der Experimente schaffen
Um eine Organisation wandlungsfähig und innovationsbereit zu gestalten, muss man Experimente zulassen.  Vorgehen nicht weiter hervorgehoben werden ? dort werden laufend Experimente durchgeführt ? mit ungewissem Ausgang und natürlich auch mit zahlreichen Risiken. Aber nur so kann man lernen und bei nachfolgenden Experimenten Veränderungen vornehmen, um so zu neuen Erkenntnissen und schliesslich zu Erfolgen zu gelangen. Was lernen wir daraus? Nicht nur in Universitäten und Forschungseinrichtungen sondern auch bei unserer täglichen Arbeit in Unternehmen müssen wir uns ganz bewusst in Unsicherheit begeben, um neuen Ideen zum Durchbruch zu verhelfen.
Punkt 3: Glaubenssätze des Managements über Bord werfen
Im Management existieren viele Glaubenssätze wie z.B.: ?Erfolg ist planbar?, ?Manager wissen was sie tun?, ?Manager experimentieren nicht herum?, ?Das ist so ? ich habe die Macht also habe ich auch Recht!?. Interessanterweise ist im Management i.d.R. nur eine Effizienzkultur und keine Kultur der Experimente etabliert. Und genau an dieser Stelle sollte der Hebel angesetzt werden. Man braucht beide Kulturen parallel im Unternehmen. Die Kultur der Effizienz kümmert sich um das aktuelle Geschäft, um jetzt und heute Umsatz und Gewinn sicherzustellen. So wird auch das Geld für neue Investitionen erwirtschaftet. Und die Kultur der Experimente sorgt dafür, dass bereits heute die Welt von Morgen vorgedacht und vorbereitet wird. Es ist eine klassische Zukunftsinvestition. Die frühzeitige Entwicklung innovativer Produkte und neuer Geschäftsmodelle hilft, den Markterfolg der Unternehmen langfristig zu sichern.

Fazit

Wir müssen Experimenten eine Chance geben! Wenn dies in der aktuellen Organisation nicht möglich ist, so sollte die Organisation geändert werden. Und dafür gibt es eine Reihe von Alternativen:
  • Die Kultur des Unternehmens verändern (braucht i.d.R. Zeit und starke Unterstützung vom Top-Management)
  • Kultur der Experimente etablieren ? parallel zur bestehenden Effizienzkultur
  • Bereich für Innovation aufbauen (Innovations-Brutstätte innerhalb des eigenen Unternehmens)
  • Ausgründung für Innovationen (Think Tank bzw. Innovations-Brutstätte ausserhalb des eigenen Unternehmens)
  • Open Innovation: Externe Beratung bei der Ideengenerierung und -umsetzung als Verstärker & Verbündete einsetzen
  • Kick-Start für die Umsetzung von Ideen: Geschwindigkeit und reduzierte Prototypen (Minimum Viable Product & Lean Startup helfen uns dort weiter)
Und besonders wichtig: nicht nach Perfektion zu streben. Denn dies hält uns vom Handeln ab. Und wo nicht gehandelt wird, ist auch kein Raum für Experimente und Innovationen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Umsetzung innovativer Ideen in Ihrem Unternehmen! Mit besten Grüssen Jörg Sitte P.S. Zur Anregung: ein Überblick zur Innovationsmethode von Zühlke.
Kundenbeispiel Hamburger Hafen


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