18.03.2010, 07:24 Uhr

"Wir erfinden Microsoft gerade neu"

Kevin Turner, als Chief Operating Officer nach Steve Ballmer der zweite Mann bei Microsoft, glaubt an das Cloud-Modell. Im Gespräch mit Horst Ellermann und Heinrich Vaske von unserer deutschen Schwesterpublikation Computerwoche erklärt er, wohin die Reise des Softwaregiganten geht.
CW: Sie sagen, dass Microsoft Vorreiter beim Cloud Computing sei. Gleichzeitig müssen Sie Ihr klassisches Lizenzgeschäft verteidigen. Ist Cloud eher eine Chance oder ein Risiko für Microsoft? Turner: Wir erleben derzeit eine Übergangsphase. Es gab mehrere solcher grundlegenden Einschnitte, man denke etwa an das zentrale Mainframe-Modell, das vorherrschte, bis Bill Gates dann das erste PC-Betriebssystem schrieb. Verteilte Server-Umgebungen haben ebenfalls eine neue IT-Ära eingeleitet und natürlich das Internet. Wir glauben tatsächlich, dass die nächste grosse Marktveränderung Cloud-Services sind. Unser Unternehmen ist voll darauf ausgerichtet, hier eine führende Rolle zu spielen. Wenn Sie sich unser Produktportfolio ansehen, können Sie feststellen, dass wir eigentlich schon seit 15 Jahren im Cloud-Geschäft sind. CW: Was war denn Ihr erster Cloud-Service? Turner: Wir haben schon seit vielen Jahren unser MSN-Business. Zu den Angeboten für Privatkunden gehören MSN, Windows Live oder unsere 400 Millionen Hotmail-User. Oder denken Sie an Xbox Live - wir zählen rund 20 Millionen Nutzer. Und dann gibt's ja auch die Windows Live Applications mit rund 500 Millionen Windows-Live-IDs. CW: Das sind Beispiele, die eher aus dem Bereich B2C stammen. Was macht Microsoft im Bereich B2B? Turner: Wenn wir uns unsere kommerziellen Cloud-Services ansehen, dann gibt es Office in the Cloud mit entsprechenden Web-Apps. Auch Exchange ist in der Cloud verfügbar, dasselbe gilt für Sharepoint und unsere gesamte Business Producitivity Online Suite (BPOS). Wir haben in den letzten sechs Monaten allein in Deutschland über 500 Kunden gewonnen. Das ist phänomenal! Und natürlich haben wir die Azure-Plattform, also SQL Azure, Windows Azure und die gesamte Entwicklungsplattform in der Cloud. Unternehmen können damit Anwendungen schnell in der Cloud schreiben und bereitstellen. CW: Das heisst, Sie nehmen Ihre traditionellen Produkte und stellen Sie entweder als Cloud-Angebote bereit oder stricken Zusatzangebote in der Cloud? Turner: Richtig. Wir erfinden Microsoft gerade neu! Was mir besonders gefällt: Alles, was ich Ihnen erzähle, ist keine Zukunftsvision, es ist entweder schon jetzt oder in den nächsten 90 Tagen am Markt. Wir stecken mitten in dieser umfangreichen Veränderung, und das ist auch der Grund, warum diese CeBIT so wichtig war: Wir haben hier den Vorhang beiseitegezogen und gezeigt, was wir in der Cloud anzubieten haben. CW: Ist Microsoft nicht in Wirklichkeit massiv unter Druck, diesen Weg zu gehen?
Turner: Hier geht es vor allem um Chancen! Es vollzieht sich eine faszinierende technische Revolution über alle Plattformen hinweg. Wenn Märkte sich so verschieben, muss man an vorderster Front dabei sein, oder man gerät in Rückstand. Wir arbeiten ja nicht erst seit gestern an Cloud Computing, wir sind schon seit einigen Jahren voll involviert. Was Sie heute hier sehen können, sind die Ergebnisse dieser Investitionen. Das Gute daran ist, wir haben nicht grossartig erzählt, wie sich Microsoft in der Cloud positionieren wird. Wir haben entschieden, damit zu warten und erst an den Markt zu gehen, wenn wir wirklich etwas vorweisen können. Was kommt auf die Microsoft-Partner zu? CW: Cloud-Computing bedeutet auch, dass Sie Ihre Kunden jetzt direkt ansprechen können. Hat das Auswirkungen auf Ihr Partner-Ökosystem? Turner: Unsere Partner sind unglaublich wichtig für uns. Wir bekennen uns natürlich auch im Umfeld von Cloud-Services zu ihnen. Sie werden uns unterstützen, und sie werden partizipieren. Denken Sie an die grssen Telcos weltweit, an Konzerne wie HP und Accenture, die mit uns zusammenarbeiten, und nicht zuletzt an die vielen lokalen Partner, die Exchange oder Sharepoint hosten können - wir haben alle Arten von Partnern und damit auch alle Möglichkeiten. Wir befähigen unsere Partner, mit Cloud-Geschäftsmodellen Geld zu verdienen. CW: Bleibt denn unterm Strich genug Geschäft übrig für Ihre Partner? Turner: Wir meinen, ja! Wir sind überzeugt vom Partnermodell im Zusammenhang mit der Cloud. Und wenn der Kunde direkt zu uns kommt und nur mit uns verhandeln will, nicht mit einem Partner, können wir auch das anbieten. Aber unser Geschäftsmodell ist mit Partnern und für Partner aufgebaut. CW: Was genau wird die Aufgabe der Partner sein? Turner: Beispielsweise können sie mit Hilfe der Azure-Plattform Office-Web-Apps für kleine Betriebe schreiben - eine prima Sache! Oder man nutzt Azure, um aus der Cloud individuelle Erweiterungen für unser CRM-System zu entwickeln. Es gibt ein riesiges Spektrum an Möglichkeiten. Entscheidend ist aber, dass unsere Partner an Bord kommen und die Cloud-Herausforderung annehmen. Sie dürfen sich nicht an Vergangenem festklammern. Sie müssen diesen Veränderungsprozess gemeinsam mit uns nachvollziehen - und wir versuchen wirklich alles, um sie entsprechend zu ermutigen und zu aktivieren, diese Chance wahrzunehmen. CW: Wie reagieren Ihre Partner, wenn Sie den Kunden auch die Direktabwicklung von Geschäften anbieten? Turner: Das ist nur der Fall, wenn es um einen Grosskunden geht, den wir sonst möglicherweise an einen Konkurrenten verlieren würden. CW: Ist es nicht so, dass Ihre Kunden im Cloud-Business eher die Möglichkeit haben, den Anbieter zu wechseln, als es früher im Lizenzgeschäft der Fall war, wo die Kunden eng an Microsoft gebunden waren? Turner: Die Kunden hatten immer schon die Möglichkeit, zur Konkurrenz zu gehen. Sie konnten Lotus Notes wählen, Novell oder welche konkurrierenden Lösungen auch immer. Es gab immer Wettbewerb im Markt. Online wird es natürlich neue Formen der Konkurrenz geben, und die alten Rivalitäten sind auch noch da. Aber wir sind gut unterwegs. Wir haben schon jetzt 1,6 Millionen Nutzer für unser BPOS-Angebot weltweit. Und die Zahl wächst rasant. CW: Für IT-Manager sind hochverfügbare, zuverlässige und vor allem sichere Services entscheidend. Viele zögern noch bei Cloud-Angeboten, weil sie vor allem im letzten Punkt Bedenken haben. Turner: Das Schöne am Microsoft-Modell ist ja, dass wir denjenigen, die ihre IT selbst managen wollen, ebenso helfen können wie denen, die bereit sind, Cloud-Angebote auszuprobieren. Die meisten grossen Unternehmen wollen ganz bestimmte Daten für bestimmte Anwendungen und bestimmte User nicht in die Cloud geben. Hier setzen sie auf das traditionelle Modell, und wir werden es ihnen weiter anbieten. CW: Was Ihnen wahrscheinlich viel lieber ist. Turner: Wir helfen den Kunden herauszufinden, was in die Cloud wandern kann und was sie on Premise betreiben sollten. Das ist das Erste, was ich zum Thema Security sagen möchte. Und zweitens: Wir haben unterschiedliche Cloud-Angebote, die verschiedenen Sicherheitsbedürfnissen entsprechen. Wenn man möchte, kann man in einer vollkommen separierten Umgebung oder in einer geteilten Umgebung arbeiten, bei Bedarf mit jeweils höchsten Sicherheitsanforderungen.

Kauft Microsoft SAP?

CW: Lassen Sie uns über den Markt reden. Im Moment dreht sich das Übernahmekarussell, die grossen Player kaufen Marktanteile und verlassen ihre abgesteckten Claims. Oracle hat sich Sun einverleibt und ist damit in das Hardwaresegment vorgestossen. Hewlett-Packard widmet sich mit der EDS- und der 3Com-Übernahme neuen Marktsegmenten, auch IBM und Cisco geht es um Grösse. Microsoft scheint dagegen keine neuen Ufer anzustreben. Turner: Wir sind eine Software-Company. Wir glauben an die Kraft und Magie der Software. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Ich muss Sie allerdings korrigieren: HP ist kein Konkurrent von uns, sondern ein sehr guter Partner. Wir arbeiten im Enterprise- und auch im Small-Business-Markt eng mit ihnen zusammen. CW: Cisco hätte bis vor kurzem wahrscheinlich auch behauptet, HP sei ein guter Partner. Doch dann hat HP plötzlich den Cisco-Rivalen 3Com gekauft. Turner: Davor gab es ja klare Ansagen. John Chambers von Cisco hat klargemacht, dass sie HP mit eigenen Blade-Servern angreifen würden, was dann seitens HP zur 3Com-Übernahme geführt hat. Die Ziele der Wettbewerber waren also völlig klar. Cisco verfolgt ebenfalls eine Reihe von Aktivitäten, die sie zu einem grossen Wettbewerber von Microsoft machen. Sie gehen mit Messaging- und Productivity-Tools ins Softwaregeschäft - das ist ja auch völlig in Ordnung. Damit ist aber auch klar, wo sich Cisco und Microsoft gegenüberstehen. CW: Wäre es für Microsoft eine Option, das Softwaregeschäft durch Zukäufe weiter auszubauen - beispielsweise im Bereich der Enterprise-Software? Eine Übernahme von SAP wäre beim derzeitigen Börsenwert für Microsoft nicht teuer. Turner: Wir haben eine sehr gute Partnerschaft mit SAP. Wir liefern eine Menge SQL-Datenbanken im Zusammenhang mit den SAP-Produkten aus. Ich freue mich darauf, diese Partnerschaft weiter auszubauen. Wir wollen uns weiter gegenseitig in unseren Geschäften unterstützen. Mehr nicht. CW: Es gibt das Gerücht, dass SAP Léo Apotheker auch deshalb gefeuert wurde, weil er mit Microsoft verhandelt haben soll.
Turner: Ich werde hier Léos Ausscheiden bei SAP sicher nicht kommentieren. Ich hatte eine gute Geschäftsbeziehung zu Apotheker, und ich habe sogar eine grossartige mit dem neuen CEO Bill McDermott. Mit beiden habe ich regelmässig gesprochen. Ich glaube nicht, dass unsere Zusammenarbeit mit SAP irgendeinen Einfluss auf Apothekers Rücktritt hatte, aber ich kann bestätigen, dass wir auf vielen Ebenen gut mit ihnen kooperieren. Unsere Kunden wünschen das auch. SAP-Anwender möchten mehr Office- und Sharepoint-Integration in ihre Software. Und daran arbeiten wir. Das ist eine ganz natürliche Angelegenheit und wir werden das fortsetzen. CW: Dank Ihres Windows-7-Geschäfts hatten Sie im letzten Quartal ein sehr gutes Geschäftsergebnis. Turner: Ja, wir waren wirklich begeistert. Es ist das beste Betriebssystem im Markt und das beste, das wir je angeboten haben. Die Akzeptanz ist schier unglaublich. Darauf sind wir ziemlich stolz. CW: Zuvor hat Microsoft allerdings ein ungewöhnlich schwieriges Geschäftsjahr erlebt. Turner: Unser Fiskaljahr 2009 (Anm. d. Red.: endete Juni 2009) war vom schlechten weltweiten Wirtschaftsklima geprägt. Es war das einzige Jahr in unserer Firmengeschichte, in dem wir nicht gewachsen, sondern geschrumpft sind - nämlich um rund drei Prozent. Wir waren damit besser als die meisten Konkurrenten, aber für ein Unternehmen, das noch nie rückläufige Umsätze hatte, war das ganz bitter. Wir schrumpfen nicht gerne, wissen Sie. Aber wir haben in dieser Zeit viel gelernt. Wenn man immer wächst, fühlt man sich unglaublich stark und erkennt irgendwann seine Schwächen nicht mehr. Insofern war das ein heilsames Jahr für uns. Wir haben rationalisiert, Bürokratie abgebaut und uns besser aufgestellt. In den letzten 18 Monaten haben wir wichtige Lektionen gelernt, die uns heute weiterbringen. Wir sind jetzt stärker als damals. CW: Wenn sich das Windows-7-Geschäft wieder abschwächt, was sind dann die Wachstumsoptionen für Microsoft? Turner: Ich würde sagen, Windows 7 im Rahmen eines Desktop-Refreshs, mit einem neuen Office-Release und dem Internet Explorer 8 wird einer unserer grössten Wachstumstreiber in den nächsten drei Jahren bleiben. Viele Anwender sind dabei, ihre alten Windows- und Office-Versionen abzulösen. Wir stehen hier vor einer grossen Welle, gerade auch bei Enterprise-Kunden, von der wir profitieren können. CW: Was ist mit Sharepoint? Turner: Natürlich wird uns auch Sharepoint 2010 voranbringen - Sharepoint ist das am schnellsten wachsende Produkt in der Geschichte von Microsoft überhaupt. Das Geschäft wächst schneller als Windows und Office. Mit Version 2010 haben wir es auf ein neues Level gehoben, weil es nun eine Plattform ist, die Internet und Intranet zusammenführt. Und wie gesagt werden wir mit BPOS vorankommen, möglicherweise schneller, als wir heute ahnen. Das könnte alles andere in den Schatten stellen. Ausserdem werden wir innovative Produkte auf den Markt bringen, Windows Phone 7, Bing, eine neue Xbox-Version und vieles mehr. Wir haben eine Menge Pfeile im Köcher.



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