17.12.2015, 15:27 Uhr

Wer hat das beste ERP für Schweizer KMU?

Gartner hat Microsoft, SAP, Oracle, IFS, Infor, Sage und Epicor gegeneinander antreten lassen. Die Stärken und Schwächen der Anbieter im Überblick.
ERPs für den Mittelstand sind kein "ERP lite" mit eingeschränkter Funktionalität. Das ist ein grosses Missverständnis, im Gegenteil. Die meisten Mittelständler bauen ihre Firma um einen Kern von Geschäftsprozessen auf, der mindestens so komplex ausschaut wie bei den ganz grossen Unternehmen. Dennoch gibt es Unterschiede: KMU haben meist nicht die Mittel an der Hand, hochkomplexe Lösungen zu implementieren und zu pflegen. Stattdessen präferiert man ganz pragmatisch ein ERP, dass "gut genug" ist, um alle anstehenden Aufgaben ohne "Overhead" zu bewältigen. Mittelständler in der Schweiz und in anderen Ländern haben sich zunehmend globalisiert. Sie unterhalten Niederlassungen  in anderen Ländern, mit anderen Rechtssystemen, Steuer-Reglements, Währungen und Compliance-Regularien als im Heimatland. Die Analysten von Gartner haben sich auf ERP-Systeme konzentriert, die diesen Herausforderungen gewachsen sind. Der Fokus lag ausserdem auf sogenannten "Single-Instance ERPs", also einer einzigen, konsolidierten Lösung für alle Geschäftseinheiten der Firma. Zwar haben einige Unternehmen, meist aus historischen Gründen, mehrere ERPs parallel im Einsatz und synchronisieren. Man handelt sich dadurch aber die sattsam bekannten Nachteile ein (vgl. Magic Quadrant for Single-Instance ERP for Product-Centric Midmarket Companies, Dec 2015). Zwar darf sich SAP Business All-in-One als so etwas wie der Sieger des aktuellen Magic Quadrant von Gartner fühlen. Das Testfeld liegt aber recht nahe beieinander. IFS Applications bietet nahezu die gleiche Funktionalität. Microsoft Dynamics AX schlägt SAP sogar in Sachen "Completeness of Vision", muss sich aber beim Kriterium "Ability to Execute" SAP, Oracle und IFS geschlagen geben. ERP-Systeme in Detail Microsoft hat sein ERP-Flagschiff Dynamics AX auf den Mittelstand und den Low-End-Grossmarkt zugeschneidert. Die Mehrzahl der Installationen bedienen einige hundert Anwender. Dynamics AX enthält Module für Finanzen, Personalmanagement und "Operations Management", mit branchenspezifischen Funktionalitäten für den Handel, das produzierende Gewerbe, Dienstleister und die öffentliche Hand. Microsoft hat über die letzten vier Jahre zahlreiche, wichtige Verbesserungen vorgenommen, die im aktuellen Release Dynamics AX R3 kulminieren. Das nächste Release AX7 soll im ersten Quartal 2016 auf den Markt kommen. Microsofts interne Restrukturierungsmassnahme - Satya Nadellas "Cloud first" - hat sich auch auf AX positiv ausgewirkt. Die Lösung ist jetzt eng mit anderen Angeboten wie Office, Office 365, Dynamics CRM, SharePoint und Power BI verzahnt. Redmond ist jedoch ein wenig Opfer des eigenen Erfolgs. 2015 sei die Anzahl der Installationen stark gestiegen, berichtet Gartner. Die Microsoft-Support-Mannschaft und das Partnernetzwerk könne jedoch den dadurch generierten steigenden Bedarf noch nicht zufriedenstellend bedienen, kritisieren die Analysten. Kunden sollten ausserdem nicht der Versuchung erliegen, Anwenderportale voreilig an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Das sei schnell rausgeschmissenes Geld. Denn das nächste Release werde mit einer sportiven, neuen Windows-10-Bedienoberfläche aufwarten. Nächste Seite: Stärken und Schwächen von SAP SAP Business All-in-One Hinter SAPs Mittelstands-ERP Business All-in-One stecken etwa 700 industriespezifische Lösungen quer durch alle Branchen. Meist handelt es sich um erprobte "Best Practices" für bestimmte Geschäftsprozesse, Integrationshilfen oder Erweiterungen. Business All-in-One läuft ohne funktionale Einschränkungen auch auf SAPs extrem performanter In-Memory-Plattform Hana. Zum Umfang der Hana-Version zählen S/4 Hana Finance, die sogenannte In-App-Erweiterbarkeit (mobile Apps) und - wo bereits verfügbar - die neue, intuitive Bedienoberfläche Fiori. SAP hat auch die enge Integration mit anderen Lösungen wie der HR-Suite SuccessFactors, dem Business-Netzwerk Ariba, der Reisespesenabrechnung Concur und der E-Commerce-Lösung Hybris vorgesehen. Die meisten Mittelständler, so Gartner, machten davon aber eher selten Gebrauch. Gartner lobt an Business All-in-One vor allem die vielen prä-konfigurierten Lösungen für unterschiedlichen Industrien und Länder, und das grosse Partnernetzwerk. All-in-One sei, trotz SAPs Vereinfachungsstrategie, jedoch immer noch recht komplex (zu bedienen). Die Umstellung auf die intuitive Bedienoberfläche Fiori sei erst in Teilen zu Ende gebracht. SAPs noch relativ junge Cloud- und On-Premise-Plattform S/4 Hana stehe ausserdem erst am Anfang ihres Entwicklungszyklus. Eine Reihe von Änderungen mache es Kunden schwer, eine langfristige Strategie für ihre SAP-Umgebung zu entwickeln, bemängelt Gartner. Nächste Seite: Der steile Aufstieg von IFS IFS Applications In den letzten zehn Jahren hat sich IFS von einem spezialisierten schwedischen ERP-Anbieter zu einem global agierenden Unternehmen gemausert, das eine breite ERP-Suite für eine Vielzahl von Industrien offeriert. Darunter die Luftfahrt- und Verteidigungsindustrie, Öl und Gas, der Grosshandel, das produzierende Gewerbe und die Automobilbranche. IFS hat seine Suite um ein einziges ERP herum gebaut. Die aktuelle Version 9 kam im Mai dieses Jahres auf den Markt und läuft unter anderem als "IFS Managed Cloud" auf Microsoft Azure. Laut Gartner ist die ERP-Lösung von IFS eines der benutzerfreundlichsten Systeme auf dem Markt. Zur Zielgruppe gehört der gehobene Mittelstand bis zu kleineren Grossunternehmen. Die Analysten bescheinigen dem Anbieter einen soliden, starken Wachstumsvektor - das allein ist schon ein gutes Zeichen - und eine durchdachte Cloud-Strategie. Vorsichtige Kritik ernten jedoch die Länderorganisationen, die noch nicht so gut koordiniert sind, wie sie sein sollten. Die Zusammenarbeit zwischen IFS und ihren Implementierungspartnern bietet noch Luft nach oben. Ausserdem hält sich der Anbieter in Sachen Marketing-Aktivitäten noch zu sehr zurück. IFS ist bis dato ein noch relativ unbekannter ERP-Anbieter geblieben. Das könne sich im Wettbewerb mit der Konkurrenz, wenn beim Kunden verbindliche Kaufentscheidungen anstehen, nachteilig auswirken, warnt Gartner. Nächste Seite: Oracles Umsätze stagnieren, warum? Oracle E-Business Suite Oracles E-Business Suite (EBS) ist eines der grössten und funktional umfassendsten Produkte auf dem Markt. Die Lösung unterstützt global agierende Unternehmen mit ihrer starker Funktionalität und hohen Skalierbarkeit. Die E-Business-Suite wächst sozusagen mit dem Unternehmen. Gartner nennt als Branchen, die zum Kundenstamm gehören, unter anderem HighTech, industrielle Fertigung, Gesundheit, Chemie, die Konsumgüterindustrie, Luftfahrt und Verteidigung sowie Rohstoffe. Oracles ERP-Abverkäufe stagnierten jedoch in 2015 nahezu. Der gesamte ERP-Markt wuchs um 6,4 Prozent, Oracle lediglich um 0,2 Prozent. Der Anbieter kommuniziert keine Verkaufszahlen für seine einzelnen Produktlinien. Gartner vermutet, dass das operationale ERP (produzierendes Gewerbe, Operations, Asset Management) hinter dem Wachstum des Gesamtmarktes zurückblieb. Bessere Ergebnisse erzielte Oracle mit seinen Finanz-Lösungen und Personalmanagement. Gartner lobt explizit den lebendigen Unternehmergeist (viability) und die finanzielle Stabilität von Oracle. Die Komplexität und die Implementierungskosten der E-Business Suite würden jedoch viele Mittelständler überfordern. Ausserdem sei Oracle, laut Feedback einiger Kunden, ein eher schwieriger Verhandlungspartner beim Verkauf, der Wartung und der Vertragsgestaltung. Nächste Seite: Was macht Sage mit X3 eigentlich falsch? Sage X3 Das schlechte Abschneiden von Sage X3, dem Flagschiff des britischen Anbieters, überrascht uns ein wenig. Sage X3 hat weltweit etwa 5100 Kunden und 290 Partner. Mit der Version 7, die im vergangenen Jahr (2014) auf den Markt kam, hat Sage seine Lösung auf eine 100prozentige Web-Applikation umgestellt und damit sozusagen cloud-ready gemacht. Die nächste Version 8 steht kurz vor der Markteinführung. Das Implementierungsmodell sieht ein Hosting auf Amazons Cloud-Infrastruktur vor, um das Management kümmert sich Sage. X3 habe, obwohl von Hause aus ein ERP, gleichwohl integrierte CRM-Fuktionalitäten für die Pflege und Organisation des Kundenstammes. Sage X3 sei ein fähiges Produkt, resümiert Gartner, schlägt dem Anbieter jedoch einen Strategie-Shift vor: Bislang habe Sage sein X3 an produkt-zentrierte Kunden wie Produktion und Fertigung verkauft (product-centric organisations). Ein Kunde-Check durch Gartner habe jedoch ergeben, dass die Lösung ihre Stärken eher in administrativen Szenarien (wie Finanzen und Bestandshaltung/Inventory) habe. Nächste Seite: Die Zukunft - postmodernes ERP Die Zukunft: Postmodernes ERP Eine ERP-Lösung ist und bleibt der grösste Kostenblock im IT-Planungsbudget eines Unternehmens. Ein hoher Prozentsatz komplexer Business-Funktionalität, ohne die ein Unternehmen nicht wettbewerbsfähig bleiben kann, wird von seinem ERP bereit gestellt. Die Ausgaben für ERP-Systeme werden daher in Zukunft noch steigen. Gartner prognostiziert eine Zuwachs von jährlich 6,2 Prozent bis 2018. 2020 sind alle hybrid Gleichwohl geht die Zeit der grossen ERP-Megasuiten ihrem Ende entgegen. Die Zukunft gehört laut Gartner einem Arrangement einzelner Applikationen, die teilweise in der Cloud, teilweise on-premise laufen. Ein harter, erfolgsentscheidender und kritischer Kern von ERP-Funktionalität wird sich kaum verändern. Ergänzungen aber werden in Zukunft flexibel bezogen. Bis 2020 werden die meisten Unternehmen eine hybride ERP-Architektur mit einem Mix aus Cloud- und On-premise-Apps eingeführt haben (loosely coupled mix). Grosse Lösungsanbieter wie Oracle, SAP und Infor haben diese Wende bereits vollzogen und sich mit ihrem Angebot-Mix auf das postmoderne Zeitalter vorbereitet. Aber auch cloud-only ERP-Anbieter wie die Schweizer myfactory erobern den Markt. Die neuen Technologien der digitalen Transformation - unter anderem Big Data, das Internet der Dinge (IoT), Mobile und Advanced Analytics - werden von ERP-Plattformen nativ unterstützt. Sie sind nicht notwendigerweise direkt im Package enthalten, können aber ohne Probleme und schnell angedockt werden, wenn der Bedarf besteht. ERPs bewegen sich weg von monolithischen Lösungen hin zu modularen, hybriden Plattformen, zu denen auch ein PaaS-Angebot gehört. Die grösste Herausforderung besteht darin, die alten Monolithe, in die viele Investments geflossen sind, in die neue postmoderne Software-Welt zu überführen.                               



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