Software-Trends 04.08.2016, 15:08 Uhr

«No Wipe, no Hype - erfolgreiche Biz-Software muss Spass machen»

Kunden basteln sich im Self-Service-Betrieb ihre eigenen Lösungen. Cloud-Integration, smarte Assistenten und Office 365 - das wird die Zukunft sein. Die wichtigsten Business-Software-Trends vom Sage Summit in Chicago.
Der Business-Software-Anbieter Sage bedient Kleinstfirmen und den Schweizer Mittelstand. Lohn-/Gehaltsbuchhaltung und Software für den Zahlungsverkehr - das Kernportfolio - braucht jedes Unternehmen. Allein Sage 50/50 Extra nutzen in der Schweiz 36'000 Kunden. Auf dem Sage Summit in Chicago stellte die Software-Spezialistin ihre Roadmap für die Cloud vor. CW sprach mit dem Schweizer Country Leader Marc Ziegler und dem Central-Europe-Chef Rainer Downar über die Herausforderungen des Schweizer Mittelstandes, und was sich für Kunden und Partner in Zukunft verändern wird.
Herr Ziegler, was waren die Highlights des Sage Summit in Chicago? Was ist das Wichtigste für ihre Schweizer Kunden und Partner?
Marc Ziegler: Sage investiert in die Zukunft, in neue Cloud-Produkte und in die bestehenden Produkte in den einzelnen Ländern. Sage One, Sage Live und Sage X3 laufen in Zukunft in der Cloud. Die neue Version Sage One mit dem ‚Global Accounting Core‘ wird Ende 2017 in die Schweiz kommen. Unsere Kunden nutzen zurzeit on-premise und cloud-enabled Lösungen von Sage. Aber die Agenda für reine Web-Lösungen steht bereits, der Cloud-Markt wird von Sage besetzt. Und keiner unserer Kunden wird gezwungen, in die Cloud zu migrieren: ‚No forced Migration‘.
Fragen ihre Kunden nach Cloud-Lösungen?
Ziegler: Absolut. Die Kunden fragen nach der Cloud, und wir haben ja cloud-enabled Lösungen. 400 Schweizer Kunden nutzen Sage 50 Extra aus der Cloud, hinzu kommen noch einige Partner, die selber hosten und ihre Lösungen in der Cloud anbieten.
Sage Start für Kleinunternehmer arbeitet nach einem hybriden Modell: Die Software läuft lokal auf dem Rechner, die Daten lagern in der Cloud. Man kann eine User-Lizenz kaufen, die Software auf zehn PCs oder mehr installieren und die Daten geräteunabhängig aus der Cloud beziehen. Das nennen wir cloud-enabled.
Die Daten lagern in Rechenzentren in der Schweiz?
Ziegler: Die Daten von Sage 50 Extra halten wir in Schweizer Rechenzentren, die von Sage Start lagern in Frankreich. Aber die Kleinunternehmer, die mit Sage Start arbeiten, scheint das nicht zu stören. Es gibt wenig Rückfragen zur Datenhaltung.
Ist die Frage nach der Datenhaltung für Schweizer Kunden mittlerweile abgehakt?
Ziegler: Bei Sage 50 Extra Kunden besteht eine explizite Nachfrage, und deshalb lagern die Daten von in der Schweiz. Sehr viele Treuhänder arbeiten damit, was die höhere Sensibilität in Sachen Datenhaltung erklärt. Treuhänder haben ihre Daten definitiv lieber in der Schweiz. 50 Extra bedient Kunden mit 10 bis 50 Mitarbeitern.
Und bei den neuen Cloud-Produkten Sage One, Sage 100c, Sage 200c, Sage 300c?
Ziegler: Die Daten dieser neuen Cloud-Produkte werden nicht in der Schweiz gehalten. Bei Sage One, das es in der Schweiz ja schon gibt, ist es für Kunden kein Thema, wo denn nun die Daten lagern.
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Welche Produkte laufen in der Schweiz besonders gut?
Ziegler: Wir decken mit den Produkten Sage Start, Sage 50 Extra und Sage 200 Extra ganz andere Marktsegmente ab. 50 Extra und 200 Extra erreichen ähnlich hohe Umsätze, aber unterscheiden sich im Volumen, weil Sage-50-Firmen viel kleiner sind. 
Sage Start für Kleinfirmen wiederum erwirtschaftet einen deutlich kleineren Umsatz als die beiden, ist aber volumenmässig sehr gross. Sage Start haben wir vor vier Jahren begonnen zu pushen, und aktuell haben wir 8‘500 Kunden in der Schweiz. Aber die Kosten für das hybride Modell von Sage Start, das wir im Juni gestartet haben, fallen auch niedrig aus. Eine User-Lizenz kostet ab 30 Franken im Monat.
In Sage 50 haben Sie jetzt Office 365 von Microsoft integriert. Satya Nadella hat begeistert davon gesprochen. Welche Software-Komponenten sind jetzt integriert?
Ziegler: Der Treuhänder arbeitet zusammen mit seinen Kunden auf einem Sharepoint-Portal in der Cloud. So können Bilanzen, Erfolgsrechnungen oder Belege über das Portal ausgetauscht werden. Das ermöglicht dem Treuhänder die Zusammenarbeit mit allen Kunden, auch wenn diese noch mit einer lokal installierten Software arbeiten.
Die Integration von Office 365 besteht in der Schweiz schon seit der Lancierung von Sage 50 Extra vor gut einem Jahr. Unsere Kunden in der Schweiz profitieren also bereits davon. Natürlich ist auch das Office-Paket dabei.
Es gibt in der Schweiz viele Branchenlösungen, die von Schweizer Softwarefirmen angeboten werden - für Treuhänder, Anwaltskanzleien oder Arztpraxen. Wie stark spüren sie diese Konkurrenz?
Ziegler: Diese Branchenlösungen können wir ja anbinden. Sage ist besonders stark im Finanz- und Payroll-Bereich, und natürlich haben wir – branchenneutral – zum Beispiel eine Fakturierung und eine Auftragsbearbeitung im Portfolio. Ein Software-Anbieter, der sich auf eine Branche spezialisiert hat, ist uns in dieser Nische überlegen. Das ist aber auch nicht etwas, das wir anstreben. Wir bieten standardisierte Software zusammen mit Services und Support an. Zudem haben wir in der Schweiz ein riesiges Partnernetz und können für Sage 50/50 Extra etwa 1000 Drittlösungen anbinden. Wir haben dafür ein eigenes SDK, ein Developer-Kit. Eine eigene Finanzlösung oder ein eigenes Payroll-System zu entwickeln ist für Nischenplayer viel zu aufwändig. Das lohnt sich nur bei wirklich grossen Volumen, die Branchenanbieter in der Regel nicht haben. Nächste Seite: Smarte Agenten ersetzen den Buchhalter
Die Schweiz ist ein goldenen Markt für ausländische Anbieter. Sie produzieren im Stammland, dort fallen die Entwicklungs- und Produktionskosten an, und verkaufen in der Schweiz. Durch das höhere Preisniveau kann man in der Schweiz für das gleiche Produkt höhere Preise verlangen als in anderen Ländern.
Ziegler: Das ist für unsere Schweizer Kernprodukte Sage Start, Sage 50 Extra und Sage 200 Extra nicht der Fall. Alle Entwickler sitzen in der Schweiz und programmieren hier unsere lokalen Lösungen. Wir brauchen die Kontakte zum Beispiel zu Finanzinstituten, zu Banken, swissdec und zur AHV. Wenn wir mit unseren neuen Cloud-Produkten Sage One und Sage Live auf den Schweizer Markt kommen, können wir zum Teil diese Synergien nutzen.
Welche Neuheiten vom Sage Summit gibt es für Schweizer Partner? Das Partnernetzwerk soll verstärkt werden.
Ziegler: Unsere Partner sehen, dass der Bedarf nach Cloud-Lösungen wächst. Mit dem Sage Partner Program (SPP) werden die Partner für die neuen Cloud-Produkte zertifiziert. Auch für unsere cloud-enabled Produkte gibt es neue Zertifizierungen. Lernmodule zeigen, wie man Kompetenz in diesen Lösungen aufbauen kann. Bei den bestehenden Produkten liegt der Vorteil des SPP im Marketing. Wir liefern zum Beispiel Tools, mit denen unsere Partner besser Neukunden gewinnen können.
Rainer Downar: Unsere Partner sollen sich einerseits auf ihr Bestandskundengeschäft konzentrieren. Davon leben wir und dort investieren wir weiterhin. Mit den neuen Cloud-Produkten wollen wir neue Kunden und neue Märkte erobern. Sage Live wurde komplett auf der Salesforce-Plattform entwickelt und kann die Lösungen von Salesforce-Drittanbietern nutzen. Mit Sage Live können unsere Partner daher ganz andere Kundensegmente ansprechen, junge Unternehmen und Start-ups. Es werden sicher auch neue Partner hinzukommen. Sage Live kommt in Deutschland im ersten Halbjahr 2017 auf den Markt.
Für die Schweiz ist der Markteintritt wegen des hohen Lokalisierungsaufwandes für Ende Kalenderjahr 2017 geplant.
Der smarte Agent „Pegg“, der per Textmessenger kommuniziert und über Siri auch mit Hilfe gesprochener Sprache bedient werden kann, soll jetzt die Reisespesen abrechnen und die Buchhaltung übernehmen. Geht das bei einem komplizierten Geschäft wie der Buchhaltung überhaupt?
Downar: Die nächste Generation der Unternehmerinnen und Unternehmer tickt anders und arbeitet anders. Start-ups haben keinen CIO und keine starren IT-Strukturen. Die sagen: Gebt mir etwas Einfaches, das den Gesetzen entspricht und mit dem ich arbeiten kann. Ich sage zu meinen Entwicklern immer: No wipe, no hype. Wenn ihr etwas Neues macht, muss es „fancy“ sein.
Ziegler: Der Unternehmer möchte ja nicht in erster Linie die Buchhaltung führen. Er will eine Übersicht über sein Geschäft und über seine Liquidität – und zwar möglichst einfach. Ich kann mir vorstellen, dass man den Buchhalter, der Soll und Haben bucht, weitgehend substituiert.
Downar: Genau. Früher mussten Sie Reisebelege sammeln und später im Büro über ein Tool erfassen. Heute scannen Sie ihre Belege per Smartphone ein und die werden automatisch verbucht. Ihre Reisespesen werden ausbezahlt, bevor Sie wieder zuhause sind. Das ist doch eine tolle Geschichte. Es sind bislang einzelne Prozesse, die automatisiert werden und schneller ablaufen, aber dort geht die Reise hin.
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Mit Sage One und Sage Start bedienen Sie kleine und junge Unternehmen. Aber mit dem grösseren Sage X3 adressieren Sie Firmen mit mehreren hundert Mitarbeitern. Da reichen Lohn und Gehalt nicht mehr. Die Ansprüche steigen. Das ist doch ein komplett anderer Markt.
Ziegler: Wir bieten auch mit dem lokalen Sage 200 Extra eine Lösung für die grösseren Firmen in der Schweiz an. Sage 200 Extra bedient ein ähnliches Segment wie Sage X3, ist aber nicht multi-legacy, also für mehrere Rechtsprechungen in den einzelnen Ländern, ausgelegt. Im 200 Extra gibt es neben Finanz, HR-Management und Payroll auch Auftragsmanagement mit Warenwirtschaft, ein Dokumenten-Management, CRM, sowie E-Recruiting. Die Palette ist wesentlich breiter als bei unseren kleineren Produkten.
Was steht für die Zukunft auf der Agenda? Assistenten, die auch kleineren Firmen, die nicht für alles einen Experten vor Ort haben, die Arbeit erleichtern?
Downar: Da fallen mir vor allem zwei Dinge ein: Zum einen die Marketplaces für Business-Apps, die sich jetzt bilden und wo der Kunden aus dem Katalog heraus das abonniert, was er benötigt. Cloud-Applikationen, die der Kunde „nach Verbrauch“ bezahlt. Mit unserem Angebot Features-as-a-Service stellen wir auch Teilfunktionen aus der Cloud zum Beispiel für mobile Geräte zur Verfügung.
Der zweite grosse Trend sind Cloud-Integrations-Plattformen. Auf der einen Seite die Sage-Produkte von Sage One bis Sage 300, auf der anderen Seite die integrierten Business-Apps, die Sie sich runterladen können. Kunden stellen sich damit modular ihre individuelle Lösung zusammen, und die Konfiguration geschieht im Hintergrund. Das wird die Zukunft sein; früher haben Sie dafür zehn Consultants gebraucht.
Ein dritter Trend ist das Internet of Things: Wir haben zum Beispiel unser Cloud-Produkt Sage Live, das in der Salesforce-Cloud läuft, an die TomTom Webfleet angebunden, um Logistikprozesse besser steuern zu können.
Wie stark ist das IoT bereits in Sage-Lösungen integriert?
Ziegler: In der Warenwirtschaft haben wir mit Google Glasses und der Inventur App für Sage 200 Extra ein Pilotprojekt durchgeführt – ein Proof of Concept. Die Brille weist im Lager den Weg zum Produkt, nach dem man gerade sucht. Bei Entnahme wird vom Inventar automatisch abgebucht. Die Inventur App funktioniert unabhängig von Google Glass, das war keine Spielerei. Logistik- und Supply-Chain-Prozesse werden damit neu geschrieben.
CEO Stephen Kelly hat im November 2014 das Steuerruder übernommen. Was sind für sie die Kennzeichen der Kelly-Ära?
Downar: Früher gab es innerhalb des Unternehmens eigene Gruppen und Fraktionen. Heute teilen wir alle dieselben Werte.
Ziegler: Früher waren die Landesniederlassungen sehr selbstständig geführte Unternehmen. Viele meiner Mitarbeiter hätten gesagt, ich arbeite nicht für Sage, sondern für einen Schweizer Mittelständler. Heute sind wir ein international geführtes Unternehmen, mit der DNA eines Schweizer KMU.



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