18.07.2016, 17:22 Uhr

«Google, Facebook und Twitter wären ohne Open-Source längst bankrott»

Tausende Schweizer Firmen benutzen Open-Source-Software. Darunter die Swisscom, UBS, Avaloq, Finnova, ZKB, die SBB und die Mobiliar. Der Schweizer Red-Hat-Chef Léonard Bodmer verrät, wie Open-Source gerade die IT-Welt revolutioniert.
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Jahrzehntelang hat Microsoft Windows wie ein proprietärer Alleinherrscher die Desktops dominiert. Auf die hunderttausenden Server dieser Welt aber hat es Windows nie geschafft. Dort herrscht das stabilere, schlankere, freie Linux. Die Googles, Facebooks und Twitters dieser Welt wären ohne Linux/Open-Source schon längst bankrott. Und 497 der Top-500-Supercomputer weltweit laufen nicht unter Windows, sondern - unter Linux. Klarer geht es kaum noch. Experten halten Linux schlicht und einfach für das bessere System. Auch auf Smartphones konnte Windows nie Fuss fassen. Windows Phone geriet zum veritablen Flop. Das mit 1,4 Milliarden Anwendern wichtigste Handy-Betriebssystem heisst Android, und Android  beruht auf einem Linux-Kernel. Linux und Open-Source haben die Software-Welt umgekrempelt, und tun das weiterhin. Computerworld sprach mit Léonard Bodmer, Schweiz-Chef des grössten OS-Softwarehauses Red Hat, wie Open-Source so erfolgreich werden konnte. Bodmer und sein Team machen Open-Source enterprise-ready, so dass Kunden wie die ZKB, die UBS, Swisscom, Avaloq, Finnova oder die Mobiliar sie konsumieren können.   Was waren für Sie die wichtigsten Highlights auf dem Red Hat Summit 2016, das vor wenigen Tagen zu Ende ging?
Bodmer: 6000 Kunden und Partner, darunter 40 Anbietern aus der Schweiz, sind mit uns nach San Francisco zum Summit geflogen. Viele reden über die Cloud und über DevOps. Ich bin überzeugt, wir stecken gerade mitten drin in der Veränderung. Neben der Basis-Infrastruktur, die Red Hat als Open-Source bereitstellt, legen wir heute den Schwerpunkt auf Automatisierung und die Orchestrierung multipler Cloud-Szenarien.
Riesenthemen sind ausserdem DevOps, Container-Technologie und die Vereinfachung der Infrastruktur. Mit Partnerschaften mit Google, AWS und Microsoft adressieren wir diese Trends. Schauen Sie, .NET läuft auf Red Hat Linux in der Microsoft Cloud. Wer hätte das vor 10 Jahren gedacht? Unsere Basistechnologien laufen in allen grossen Clouds. Das ist das Momentum, von dem wir schon seit Längerem profitieren.
Zielen Sie mehr auf die unternehmensinterne Private Cloud, oder die Rechenzentrumsbetreiber und Cloud-Service-Anbieter?
Bodmer: Wir bedienen beide Seiten; auch die grossen Cloud-Provider wie Microsoft, Google oder die deutsche T-Systems setzen auf Red Hat Enterprise Linux (RHEL) und Openshift. Einer unserer Schweizer Kunden ist die PuzzleITC mit ihrer Apuyo-Cloud, die für den Mittelstand DevOps-Services anbieten.
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Wie viele Kunden hat Red Hat in der Schweiz?
Bodmer: Da müsste ich jetzt mal zählen, es sind tausende. Vor sechs Jahren waren wir noch infrastruktur- und middleware-lastig. Heute hat sich unserer Portfolio erweitert, von der Hardware (Software-defined Storage) bis zu Infrastruktur-as-a-Service, Applikationsservern, Cloud-Orchestrierung, Automatisierung (Ansible), Business Process Management bis hin zu Platform-as-a-Service (PaaS), Containern und Mobile. Wir decken den ganzen Stack ab, von der Hardware bis zur Applikation. Ob Sie nun SAP Hana laufen lassen...
SAP Hana läuft auf Suse Linux, so viel ich weiss.
Bodmer: RHEL ist vollständig für SAP Hana zertifiziert. Wir haben verschiedene Kunden in der Schweiz, deren SAP-Systeme auf Red Hat laufen. Viele Projekte starten im Moment. Drei Spezialisten von Red Hat arbeiten Vollzeit bei SAP in Walldorf. Hilti hat ihre ganze SAP-Umgebung schon vor Jahren auf Red Hat umgestellt.
Offenheit und die Innovationskraft der Communities waren für mich immer die Stärken von Open-Source. Aber auch die ehemals proprietären Anbieter öffnen sich. Kann Red Hat mit den alten Stärken heute immer noch punkten?
Bodmer: Offenheit ist definitiv immer noch ein Vorteil, weil wir zu 100 Prozent offen sind. Jedes Bit und Byte, das wir entwickeln, geben wir zu 100 Prozent zurück in die Community, und dort entsteht die Innovation.
In der alten Welt werden Innovationen patentiert, und die Firma will dann viele Jahre damit Geld verdienen. Wir dagegen haben unser Geschäft um ein Subscription-Modell herum gebaut. Wir machen Open-Source-Software enterprise-ready, damit eine Swisscom oder eine UBS sie mit Mehrwert konsumieren kann. Wir wollen unsere Kunden langfristig unterstützen können. Red Hat hat das zu hundert Prozent konsequent durchgezogen. Bei uns ist alles Open-Source.
Schauen Sie auf die Automatisierungssoftware unsere letzte Akquise, der Open-Source-Firma Ansible. Der Mitbewerb besteht aus hochproprietäten Anbietern, die schon seit Jahrzehnten am Markt präsent sind.
Ein anderes Beispiel: Google verwaltet Millionen von Containern mit der Open-Source-Orchestrierungsplattform Kubernetes. Wenn Sie ein Google Docs kreieren, dann werden die Docs in einem Container aufgesetzt, und das sind tausende pro Minute. Ohne Open-Source wäre Google heute nicht so erfolgreich.
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Welche Technologie ist leistungsfähiger, Container oder Virtuelle Maschinen?
Bodmer: Wir können heute jede Art von Applikationen in einem Container laufen lassen, Container werden sehr schnell kommen. Schneller, als wir denken.
Was ist leistungsfähiger? Hätten Sie vor einigen Jahren einen Automobilhersteller gefragt, wie hoch das Potenzial von Elektromobilen und autonomen Fahrzeuge à la Tesla sei, dann hätten sie vielleicht auch eine sehr viel verhaltenere Antwort erhalten als heute. Beim Übergang von der alten in die neue Welt muss auch ein kulturelles Umdenken stattfinden.
Wofür braucht es noch eine traditionelle IT-Umgebung? Das ist auch ein Generationenproblem. Wir haben einen Kunden, bei dem laufen jetzt neue Projekte, seit der alte CIO in Rente gegangen ist.
So ganz dumm sind die Leute beim Virtualisierungsmarktführer VMware aber auch nicht.
Bodmer: Container sind keine neue Erfindung, schon das Betriebssystem Solaris kannte Container. Und in Containern können Sie alles zur Verfügung stellen, was benötigt wird, auch Rules und Policies. Das sind ganz klare Vorteile. Aber es werden sicher nicht alle Virtuellen Maschinen von heute auf morgen abgestellt. Auch beim Mainframe hatten wir das gedacht, und sie sind immer noch da.
Für Open-Source-Anbieter wie Red Hat war es ein langer Weg zum Erfolg. Jetzt prognostizieren sie für das aktuelle Geschäftsjahr einen Gesamtumsatz von gut zwei Milliarden Dollar.
Bodmer: Es wird eine Verlagerung geben, weg von den traditionellen Herstellern mit ihrem Lizenzmodell hin zu einer Pay-per-Use-Cloud und zu Open-Source. Kunden können Red Hat on-premise nutzen, oder mit der gleichen Subskription zum Beispiel in die Microsoft Azure Cloud Access portieren. Diese Flexibilität wollen Kunden heute auch.
Die Googles, Facebooks und Twitters könnten ohne Open-Source ihr Geschäft gar nicht betreiben. Sie hätten so hohe Kosten und zu wenig Flexibilität in der Technologie, dass sie gar nicht überleben würden. Auch die traditionellen Anbieter wie Microsoft, Oracle oder SAP nutzen Open-Source, aber nur in ausgewählten Bereichen, denn sie wollen mit Lizenzen und Pay-per-Use ja noch Geld verdienen. Red Hat macht 100-prozentig Open-Source. Was wir von der Community bekommen, geben wir vollständig wieder zurück.
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Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Partnern Google, Microsoft und AWS aus?
Bodmer: Sie werden alle unsere Produkte aus der Microsoft Cloud beziehen können. Red Hat Linux heute schon, anderes später. Wir arbeiten mit Microsoft zusammen. Bei Kubernetes sind wir nach Google der zweitgrösste Contributor, und die Community ist zahlreich und sehr produktiv.
Was haben Sie sich für dieses Jahr für Ziele gesetzt?
Bodmer: Wir haben zurzeit fünf neue Stellen ausgeschrieben. Im Fokus stehen die Cloud, DevOps, Container und der Schweizer Mittelstand.
Gibt es heute noch Branchen, die Open-Source skeptisch gegenüberstehen?
Bodmer: Open-Source ist weniger ein Branchenthema, sondern eine Frage der Unternehmenskultur. Gerade Banken und Versicherungen, die den Ruf haben, aus Gründen der Sicherheit eher zu vorsichtig zu agieren, nutzen heute Open-Source und sind am innovativsten.
Avaloq, Tenemos oder Finnova, die grossen Core-Banking-Systeme, laufen auf Red Hat Linux. Schweizer Banken setzen sehr viel Open-Source ein. Die spanische Retail-Bank BBVA haben wir kürzlich als Kunden gewonnen. Die SBB betreibt neue Applikationen auf Openshift (Platform-as-a-Service, auch für Docker-Container und Kubernetes); auch die ZKB und die Mobiliar sind Red-Hat-Kunden. Einige unserer Kunden werden auf demRed Hat Forum Schweiz am 13. Septemberüber ihre Erfahrungen mit Open-Source-Projekten berichten.



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