24.07.2014, 10:10 Uhr

Der grosse Beta-Test von OS X «Yosemite»

Heute wird die öffentliche Beta-Version des neuen Apple-Systems verteilt. Computerworld konnte sie bereits exklusiv unter die Lupe nehmen.
Mit OS X «Yosemite» stehen grosse Änderungen bevor. Das radikalste System-Update seit Jahren führt die Systeme iOS und OS X nahtlos zusammen: Das iPhone wird zum gehorsamen Diener des Macs und umgekehrt. Trotzdem muss keines der beiden Systeme seine Eigenständigkeit aufgeben. PCtipp konnte sich einen exklusiven Eindruck über die Beta 14A283o verschaffen, die bereits weit gediehen ist. Alle gezeigten Screens basieren auf dieser Version, die morgen für die Öffentlichkeit zum Download bereitsteht. Wir werden später darauf eingehen, wie Sie ebenfalls zu dieser Beta kommen.

Das neue Design

Bevor wir uns um die technischen Raffinessen kümmern, werfen wir einen Blick auf das neue Design, das bei Apple seit jeher bestimmend ist. Zuerst fällt auf, dass alles flacher geworden ist: Menüs, Bedienelemente und Symbole nähern sich an iOS an.
Als Systemfont wird die «Helvetica Neue» verwendet; eine Entscheidung, über die man streiten darf und wird. Auf den hoch aufgelösten Retina-Displays präsentiert sich die Darstellung wie allerfeinster Buchdruck. Bei den normalen Displays wirkt die Schrift jedoch eher fad und ist auch nicht besser lesbar, als die aktuelle «Lucida Grande». Ja, es gibt gelungene Beispiele für den Einsatz der altehrwürdigen Helvetica – aber für die Menüs in OS X hätten wir uns etwas Frischeres gewünscht.
Das dritte prägende Element sind die transluzenten Fenster und Bedienelemente, die wie gefrostetes Glas wirken. Das sieht nicht nur todschick aus, sondern erhöht tatsächlich den Informationsgehalt, auch wenn keine feinen Details zu erkennen sind. Auf dem 13-Zoll-Display des MacBook Air stellt dieses «Gimmick» eine willkommene Verbesserung dar, wenn weitere Teile einer Seite durch den Fensterbalken schimmern.
Und zu guter Letzt sind die Symbole im Dock besser zu identifizieren, weil sich die Apple-Anwendungen stärker voneinander abheben. Der Papierkorb wiederum besteht nicht länger aus einem Drahtgitter, sondern – wer hätte das geahnt – aus gefrostetem Glas.
Doch das sind nur Äusserlichkeiten. Sehen wir uns an, was OS X «Yosemite» sonst noch zu bieten hat. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Continuity – zu zweit geht alles viel leichter

Continuity

Für alle Apple-Geräte heisst das neue Killer-Argument «Continuity» (Kontinuität). Dabei dreht sich alles nur um eine Sache: Der Mac wird zur natürlichen Erweiterung des iPhones und umgekehrt. Dabei ist der Aufwand für die Koppelung der beiden Geräte gleich Null: Solange sich die beiden via Bluetooth LE finden, verbinden sie sich automatisch über Wifi – selbst wenn wenn kein bestehendes WLAN vorhanden ist. Vielleicht steht das MacBook auf dem Konferenztisch, während das iPhone in der Manteltasche am anderen Ende des Raumes steckt. Kein Problem Als Bindeglied für die Erkennung dient die gemeinsame Apple-ID. Das klingt banal, aber diese automatische Verbandelung bietet ganz neue Möglichkeiten, die man so noch nicht gesehen hat. Hier einige Beispiele. Tethering. Fernab vom nächsten WLAN? Kein Problem: Das eigene iPhone wird einfach im WLAN-Menü ausgewählt, um es zu einem Hotspot machen. Keine Code-Eingabe, keine Anmeldung, nichts. Für diese Verbindung muss noch nicht einmal die Hotspot-Funktion in den Einstellungen des iPhones aktiviert werden.  Anrufe am Mac entgegennehmen. Ruft jemand an, dann wird dieser Anruf nicht nur am Mac angezeigt, sondern kann auch gleich entgegengenommen werden. Mikrofon und Lautsprecher werden dabei zur Freisprech-Anlage.
Wählen über iPhone. Umgekehrt kann ein iPhone auch Anrufe tätigen, die am Mac initiiert werden. Dazu wird zum Beispiel lediglich eine Telefonnummer auf einer Website angeklickt. SMS am Mac. Bis anhin wurden SMS nur über die Telefon-App des iPhones verschickt. Neu werden SMS und iMessage-Nachrichten in der Mac-Anwendung «Nachrichten» vereint. Wenn der Empfänger kein iOS-Gerät besitzt, wird eine Nachricht automatisch via iPhone als klassische SMS abgesetzt.  Audio-Botschaften. Neu ist auch die Möglichkeit, Audio-Botschaften mit einem Klick aufzuzeichnen und zu verschicken. Dabei spielt es keine Rolle, welche Kombination von OS X- und iOS-Geräten zum Einsatz kommt.  Gruppen-Chat. Und dann sind da jene Funktionen, die man bis anhin bei konkurrierenden Chat-Apps suchen musste. Dazu gehören Gruppen-Chats oder die Möglichkeit, Leute stummzuschalten. Und falls während einer Diskussion emsig Dateien ausgetauscht werden (zum Beispiel Fotos), dann werden diese am Schluss der Unterhaltung übersichtlich gesammelt. Handoff. Ist «Handoff» eine neue, clevere Funktion? Oder Apples Versuch, das iPad noch stärker als Arbeitsgerät zu etablieren? Auf jeden Fall lassen sich aktuelle Dokumente nahtlos zwischen Macs und iOS-Geräten herumschieben. So kann eine unfertige Tabelle einfach am Mac verlassen und im Zug mit dem iPad weiterverarbeitet werden. In die andere Richtung funktioniert das natürlich genauso.
Allerdings müssen für Handoff zwei Bedingungen erfüllt werden. Erstens muss dieselbe Anwendung für iOS und OS X verfügbar sein. Zweitens muss der Entwickler diese Möglichkeit ausdrücklich vorsehen. Zur Markteinführung werden die Apple-Anwendungen (inklusive Mail) angepasst sein, doch andere Software-Schmieden dürften sehr schnell folgen.  Lesen Sie auf der nächsten Seite: Alle Informationen im schnellen Zugriff

Das aufgebohrte Spotlight

Spotlight ist alles andere als neu. Doch bis anhin beschränkte sich die integrierte Suchfunktion vor allem darauf, Dateien aufgrund ihres Namens, ihres Inhaltes oder eines der zahlreichen Dateiattribute zu finden. Doch das war gestern. Unter Yosemite arbeitet Spotlight schneller, verleiht den Treffern mehr Aussagekraft und weitet die Suche automatisch auf das Internet aus. Das alles geschieht in einem beeindruckenden Tempo, wobei folgende Quellen anzapft werden: Wikipedia, die Karten-Anwendung, Bing, der App Store, der iTunes Store, die eigenen Top-Websites sowie «Movie Showtimes» in den USA.
Das Interessante an dieser Auflistung ist das Fehlen der Google-Suche zugunsten von Bing. Es wird spannend zu sehen, ob sich die Zusammenarbeit mit Microsoft auch noch anderweitig vertieft.

iCloud Drive

Zu den ganz grossen Neuerungen gehört iCloud Drive. Dieser Internet-Speicher gleicht Daten zwischen allen Geräten mit derselben Apple-ID ab. Unter Yosemite lassen sich beliebige Inhalte synchronisieren, so wie wir es bereits von Dropbox und anderen Cloud-Diensten kennen – allerdings mit voller iOS-Unterstützung. Im Finder von OS X sieht iCloud Drive so aus:
Dateien werden synchronisiert, indem sie einfach in diesen Ordner gezogen werden. Wenn keine Internet-Verbindung vorhanden ist, wird die Synchronisierung später nachgeholt. Ausserdem werden die Dateien nun endlich lokal und in der Cloud gespeichert. Das ist ein klarer Vorteil gegenüber der alten iCloud, denn jetzt können die lokalen Daten auch in Backups eingebunden werden, die zum Beispiel mit Time Machine erstellt werden. Das sorgt definitiv für ein besseres Gefühl. Die Dateien können offen herumliegen oder in Ordner gepackt werden. In dieser Struktur erscheinen sie auch auf den iOS-Geräten. Dadurch sieht eine iOS-App nicht länger nur den eigenen Ordner, sondern kann auf alle Dateien zugreifen. (Vorausgesetzt, die App versteht sich mit dem jeweiligen Dateiformat.) Kurz, diese verbesserte Cloud ist das fehlende Dateisystem, nach dem die iOS-Anwender seit dem ersten iPhone gelechzt haben!

Plattformen und Kosten

In einem Punkt ist iCloud allerdings der Konkurrenz unterlegen: Die Dateien werden nur für den persönlichen Bedarf zwischen den angemeldeten Geräten herumgeschoben. Hingegen ist es (noch) nicht möglich, eine Datei über einen URL verfügbar zu machen, sodass sie von Drittpersonen heruntergeladen werden kann. (Es sei denn, sie wird als E-Mail-Anhang verschickt; dazu gleich mehr.) Ausserdem versteht sich iCloud Drive zwar mit iOS, OS X und sogar Windows, aber nicht mit Android. Noch ein Wort zu den Kosten: In dieser Hinsicht ist Apple schon richtiggehend handzahm geworden. 5 GB gibt es nach wie vor umsonst. 20 GB kosten 0.99 $ im Monat, 200 GB schlagen mit 3.99 $ im Monat zu Buche. Das Ganze lässt sich bis zu einem Terabyte ausbauen. Dieser Preisplan wird jedoch erst im Herbst verfügbar sein, wenn die endgültige Version von Yosemite erscheint.  Im direkten Vergleich: 100 GB Online-Speicher kosten bei Google Drive 23.88 US-Dollar im Jahr, bei Apple sind es umgerechnet 23.94 US-Dollar! Apple bietet also Google, dem Preisdrücker schlechthin, Paroli. Warm anziehen muss sich hingegen Dropbox, denn dort kosten 100 GB immer noch 145 Franken pro Jahr.

Maildrop

Der iCloud Drive wird auch zu einer willkommenen Hilfe, wenn (sehr) grosse Dateien per E-Mail verschickt werden müssen. Sogar eine hundert Megabyte grosse Datei wird wie gewohnt an eine Nachricht gepappt:
Apples E-Mail-Client schickt die Datei aber nicht als Anhang, sondern speichert sie automatisch im iCloud Drive. Der Empfänger erhält lediglich einen Download-Link und die Information, bis wann die Datei geladen werden kann, bevor sie automatisch gelöscht wird.
Zur Langzeit-Archivierung von E-Mail-Anhängen ist diese Einrichtung also nicht geeignet, und deshalb lässt sich diese Funktion in den Konto-Einstellungen von Mail bei Bedarf abschalten.  Lesen Sie auf der nächsten Seite: Bessere Apps

Bessere Apps

Und dann sind da noch all die Detailverbesserungen, die jedes Upgrade versüssen sollten. Die Wichtigsten sind: Kalender. Der neue Kalender ist schlanker und informativer geworden. Besonders die Tagesansicht zeigt nicht nur das Heute, sondern auch die Monatsübersicht und den direkten Zugriff auf die Termine. Praktisch, aber irgendwie auch ein wenig überfällig.
Anmerkungen. Anmerkungen sind Pfeile, Hinweise, Ausschnitt-Vergrösserungen oder Texte. Diese lassen sich an Bildern anbringen, die als E-Mail-Anlage verschickt oder in der Anwendung «Vorschau» geöffnet werden. Dabei werden mit der Maus gekritzelte, zittrige Linien und Formen automatisch geglättet. Sogar die eigene Unterschrift kann eingelesen und anschliessend auf Knopfdruck eingesetzt werden.
Safari-Übersicht. Anhänger der Tabs werden bestens bedient. Mit einem Klick werden alle Tabs übersichtlich dargestellt. Im unteren Teil sind die offenen Safari-Fenster von anderen Macs und iOS-Geräten zu sehen, die über dieselbe Apple-ID verbunden sind.
Mitteilungszentrale. Die bekannte Mitteilungszentrale wird flexibel und zeigt an, was wichtig ist: das Wetter, die Börsenkurse, der Kalender, ein praktischer Taschenrechner und mehr. Ausserdem kann sie durch Plug-Ins von Drittanbietern erweitert werden. Die Reihenfolge dieser Widgets lässt ist beliebig.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die öffentliche Beta & Fazit Yosemite wird voraussichtlich am 24. Juli verfügbar sein. Die Uhrzeit variiert allerdings von Land zu Land. Um an eine solche Beta zu gelangen, melden Sie sich unter dieser Adresse mit Ihrer Apple-ID an. Klicken Sie dazu einfach auf die Schaltfläche «Sign up». Wenn der Moment gekommen ist, erhalten von Apple einen Code, um die Beta herunterzuladen. Öffnen Sie dazu am Mac die Anwendung «App Store» und klicken Sie auf den Link «Einlösen»:
Kopieren Sie anschliessend den Code in das Eingabefeld, um den Download des Installers zu starten:

Lohnt sich die Beta?

Yosemite bietet viele spannende und vor allem einmalige Möglichkeiten, die man so bei keinem anderen Systemhersteller findet. Allerdings sind viele der Neuerungen erst dann von Nutzen, wenn auch ein iPhone oder iPad mit iOS 8 vorhanden ist. Dieses System erscheint jedoch erst im Herbst, zusammen mit dem iPhone 6. Ausserdem sind einige Dienste noch nicht verfügbar. Die Speichererhöhung des iCloud Drives kann heute noch nicht vorgenommen werden, so dass die meisten Anwender mit ihren kostenlosen 5 GB auskommen müssen, was die Möglichkeiten eventuell deutlich einschränkt. Und wer bereits jetzt intensiv mit iCloud arbeitet, sollte sich die Verwendung der Beta noch besser überlegen: iCloud und iCloud Drive sind nicht direkt kompatibel. Wenn Sie also zum Beispiel eine Numbers-Datei im iCloud Drive überarbeiten und speichern, kann sie anschliessend von einem iPad nicht mehr gelesen werden, bis dieses auf iOS 8 aktualisiert worden ist.

Kosten

Dieser Punkt ist schnell geklärt: Sowohl die Beta als auch die endgültige Version sind kostenlos. Die Beta wird auch nicht ablaufen, sodass sie deinstalliert werden muss; stattdessen wird sie beim Erscheinen der endgültigen Fassung einfach auf den neusten Stand gebracht.

Persönliche Empfehlung

Wenn Sie nur einen Mac besitzen und damit arbeiten müssen, sollten Sie die Beta nicht installieren – oder nur auf einer externen Festplatte. Wenn ein zweiter, weniger wichtiger Mac herumsteht, dann können Sie das Experiment wagen, denn die aktuelle Yosemite-Beta macht einen stabilen und ausgereiften Eindruck. Denken Sie jedoch daran, dass iCloud und iCloud Drive nicht miteinander kompatibel sind. Wenn Sie Dateien synchron halten müssen, sollten Sie stattdessen auf Dropbox zurückgreifen. Wie bei jeder Beta kann es zu Problemen kommen, die man dem Hersteller nicht übel nehmen darf. Die Betonung liegt allerdings auf «kann», denn während dieses Berichtes waren nur winzige Fehler zu erkennen, wie zum Beispiel einige wenige, nicht lokalisierte Texte. Von der iCloud-Kompatibilität abgesehen, lief alles wie am Schnürchen. Allerdings sei noch einmal erwähnt: Yosemite ist vor allem dann interessant, nachdem die iOS-Geräte auf iOS 8 aufgerüstet worden sind. Erst dann entfaltet sich das ganze Potenzial und die Einhörner wiehern im Garten.

Fazit

Während Google und Microsoft ihre Dienste überall etablieren wollen, marschiert Apple schnurstracks in die andere Richtung. iOS und OS X gehören zusammen. Andere Systeme verursachen nur Störgeräusche. Funktionen wie Handoff, das Telefonieren am Mac oder die automatische Koppelung der Geräte werden erst möglich, wenn Hard- und Software als Einheit konzipiert und bis ins Detail abgestimmt sind. Die Absicht der Kalifornier ist klar: Es soll sich lohnen, ausschliesslich mit OS X, iOS und iCloud zu arbeiten. Nur so kommt man in den Genuss von Möglichkeiten, von denen die Mitbewerber noch Jahre entfernt sind. Und wie die aktuelle Beta von Yosemite zeigt, sind das keine leeren Versprechen.



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