12.11.2012, 14:59 Uhr

Anwender verklagt IBM wegen SAP-Desaster

In den USA hat IBM eine Millionenklage am Hals: Grund ist ein völlig aus dem Ruder gelaufenes SAP-Projekt. In der Anklageschrift wird dabei Klartext gesprochen.
Kläger ist Avantor Performance Materials, ein Hersteller von chemischen Produkten mit Sitz im US-Bundesstaat Pennsylvania. Laut Anklageschrift soll IBM dem Kläger ein SAP-basiertes Software-Paket aufgeschwatzt haben und ihn dabei diesen in Sachen Tauglichkeit des Produkts für das Geschäftsumfeld von Avantor bewusst in die Irre geführt haben. Und so begann die Tortur für Avantor gemäss Prozessakten des Distriktgerichts in New Jersey: 2010 wollte der Kläger seine ERP-Plattform auf SAP upgraden. Dabei seien die Vorgaben klar gewesen: Avantor habe viel Konkurrenz und könne sich keinen noch so kurzen Ausfall seines Kundendienstes leisten. Trotzdem habe IBM dem Kläger das Produkt «Express Life Science Solution» verkauft. Dabei hiess es seitens von IBM, das auf SAP basierende Paket des Blauen Riesen passe genau zum Geschäftsumfeld von Avantor.

«Unfähig und rücksichtlos»

Dies stellt sich in der Folge aber als unwahr heraus. Nachdem IBM den Zuschlag erhalten habe, habe man entdeckt, dass sich Express Life «bedauerlicherweise als völlig ungeeignet» für das eigene Business herausgestellt habe. Die Implementierung habe die eigene Produktion «fast zum erliegen» gebracht, heisst es in der Anklage weiter. Doch damit nicht genug: IBM wird zudem des Vertragsbruchs bezichtig, weil die Firma für das Projekt «unfähige und rücksichtslose Berater» zur Verfügung gestellt habe. Diese hätten «zahlreiche Fehler in Bezug auf das Design, die Konfiguration und die Programmierung» gemacht. Darüber hinaus wurde Avantor nach eigenem Bekunden bewusst im Unklaren über den misslichen Verlauf des Projekts gelassen. Schliesslich habe man das Ganze völlig überhastet «live» geschaltet. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Avantor wurde angeblich zur Inbetriebnahme gezwungen Dabei habe IBM die Ergebnisse von Testläufen ignoriert und unterschlagen. Stattdessen habe man die Testreihe abgebrochen und Avantor dazu gedrängt, das System in Betrieb zu nehmen. Dies obwohl Avantor IBM mehrmals darauf hingewiesen habe, dass der Chemiefirma ein termingerechter Abschluss des Projekt nicht so wichtig sei wie ein garantiert funktionierendes System. Das «Go Live» im Mai sei dann «eine Katastrophe» gewesen. Das System habe auf der ganzen Linie versagt. Es konnten keine Bestellungen verarbeitet werden, einige Bestellungen gingen sogar verloren. Daneben habe das ERP keine Papiere für den Zoll ausgedruckt. Schliesslich habe das fehlerhafte System dazu geführt, «dass gefährliche Chemikalien an dazu ungeeigneten Orten gelagert wurden». Laut Avantor hat die Firma einen materiellen Schaden von mehreren zehn Millionen Dollar erlitten. Zudem sei ein Image-Schaden bei Kunden und Partnern entstanden, der nicht zu beziffern sei. So habe einer der grössten Kunden von Avantor vor der Inbetriebnahme des IBM-Systems Befürchtungen geäussert, dass die eigene EDI-Schnittstelle (Electronic Data Interchange) künftig nicht mit dem neuen ERP funktionieren könnte. Daraufhin hätten die IBM-Vertreter die Befürchtungen in den Wind geschlagen. «Tatsächlich versagte die EDI-Schnittstelle sofort nach der Inbetriebnahme», heisst es in der Anklageschrift. Für dieses «disfunktionale System» habe IBM 13 Millionen Dollar erhalten, heisst es weiter. Avantor mockiert sich zudem darüber, dass IBM den Nerv besitze für die Reparatur dieses ERPs weitere Millionen zu verlangen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: IBM wehrt sich

IBM wehrt sich

IBM hat derweil auf die Anklage reagiert. Die Firma weist die Anschuldigungen von sich und kündigt an, sich dagegen zu wehren. Ein Sprecher beteuerte, die Anschuldigungen seien übertrieben und falsch. Man sei erstaunt darüber, dass Avantor vor Gericht gezogen sei. «IBM hat alle Verträge eingehalten und eine Lösung geliefert, die Avantor nach wie vor  in seiner Produktion einsetzt», meint er. Dies lässt Avantor seinerseits nicht gelten. Die Firma zitiert vielmehr IBM-Mitarbeiter, die von ihrer Firma dazu angehalten worden seien, nicht nach den «Best Practices» von SAP vorzugehen. IBM-Mitarbeiter, die im Sommer zur Rettung des Software-Projekts beigezogen wurden, hätten zudem ausgesagt, dass sie bei Avantor «die schlechteste SAP-Implementation aller Zeiten» angetroffen hätten. Die Avantor-Klage zeigt exemplarisch auf, wie SAP-Projekte aus dem Ruder laufen können. Neu ist, dass eine betroffene Firma ihren Fall mit Hilfe einer Presseerklrung ffentlich gemacht hat. Ob Avantor auch gegen SAP vorgehen will, ist derweil nicht bekannt. Das deutsche Softwarehaus gab über einen Sprecher lediglich bekannt, über die laufende Verhandlung informiert zu sein, ansonsten aber keinen Kommentar abgeben zu wollen.



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