28.06.2016, 12:16 Uhr

Brexit und die Folgen für die Schweizer ICT

Der Brexit hat zur Folge, dass sich die Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und Grossbritannien erschweren. Weil Grossbritannien für die heimische ICT-Branche ein sehr wichtiger Partner ist, muss sie bei den kommenden Verhandlungen Präsenz markieren.
Was bedeutet der Ausstieg Grossbritanniens aus der EU für die ICT-Branche? Für den deutschen Branchenverband Bitkom ist klar, dass durch den Brexit «im Handel neue Bürokratie auf die Unternehmen zukommt.» Es sei zu erwarten, dass sich Grossbritannien von den Standards des digitalen Binnenmarkts entfernen werde. Unter anderem würden IT-Dienstleister, die fast immer in internationalen Teams arbeiten, künftig nicht mehr von der Arbeitnehmerfreizügigkeit profitieren können. Grossbritannien ist auch für die Schweizer ICT-Branche ein sehr wichtiger Handelspartner. Laut einer Studie von ICTswitzerland sind die Briten nach Deutschland der wichtigste Absatzmarkt für Schweizer ICT-Dienstleistungen: 2014 wurden Dienstleistungen im Wert von rund 1,4 Milliarden Franken auf die Insel exportiert, rund 12 Prozent aller ICT-Dienstleistungen. Besonders die Finanzbranche in London soll ein potenter Abnehmer sein. Dasselbe gilt für den Import von ICT-Dienstleistungen. Nach Deutschland ist Grossbritannien der zweitwichtigste Handelspartner. Geht es nach Nettoexporten, ist gar kein Land profitabler als Grossbritannien. 2014 exportierte man Dienstleistungen im Wert von 302 Millionen Franken mehr nach Grossbritannien, als man importierte. Stehen diese Beziehungen nun auf dem Spiel? Gerade beim Dachverband der Branche, ICTswitzerland, der seit Jahren propagiert, dass Schweizer ICT-Firmen internationaler werden sollen, sollte dies ein gösseres Thema werden. Spekulieren will man aber nicht. Geschäftsführer Andreas Kaelin sagt auf Nachfrage, dass die Auswirkungen nicht abgeschätzt werden könnten. Es komme vor allem darauf an, wie die Politik mit den Folgen umgehe. Zudem würde sich die Frage stellen, ob der Schweizerfranken gegenüber dem Euro an Wert gewinnt, was den Export erschweren würde. Auch von uns angefragte international tätige Schweizer ICT-Firmen sehen sich im ersten Moment nicht betroffen oder glauben, es sei zu früh, um eine Einschätzung abgeben zu können. Für fundierte Analysen ist es tatsächlich noch zu früh, derzeit ist nicht klar, welche Auswirkungen der Brexit haben könnte. Das kommt in erster Linie darauf an, wie die Scheidungsgespräche zwischen EU und Grossbritannien verlaufen. Diese dürfen, nachdem die britische Regierung Artikel 50 des EU-Vertrags in Kraft setzt und ein Austrittsgesuch einreicht, zwei Jahre dauern. Allerdings ist eine Fristverlängerung möglich und wird derzeit für realistisch gehalten. Die Schweiz wäre aber gut damit beraten, schon früher ihrerseits Verhandlungen mit Grossbritannien anzufangen. Personenfreizügigkeit oder Freihandelsabkommen stehen auf dem Spiel.

«Handelsbeziehungen erschweren sich»

«Nach meinem Dafürhalten könnte das Personenfreizügigkeitsabkommen mit Grossbritannien nicht automatisch als solches aufrechterhalten werden», sagt Prof. Dr. Astrid Epiney. Die Rektorin der Universität Fribourg und Spezialistin für Europarecht legt auch dar, «dass der Brexit die Handelsbeziehung zwischen der Schweiz und Grossbritannien erheblich erschweren» würde. Zwar gibt es verschiedene nicht EU-gebundene Abkommen wie die Handelsregeln der Welthandelsorganisation (WTO) oder die Regeln des multilateralen Dienstleistungsabkommens Gats im Rahmen der WTO, die den freien Zugang zum Beispiel zu den Versicherungs-, Telecom-, Verkehrs- und weitgehend auch den Finanzmärkten sicherstellen. Doch die EU-Abkommen gehen wesentlich tiefer, wie Epiney sagt. «Es gibt alleine tausende harmonisierte Produktregelungen in der EU. Diese neu zu regeln, ist unrealistisch.» Auch das Freihandelsabkommen würde wegfallen, womit wieder Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse Tatsache würden. Zwar könnte dies umgangen werden, indem beispielsweise Grossbritannien in die Freihandelszone Efta eintritt, in der nebst der Schweiz noch Norwegen, Island und Liechtenstein vertreten sind. Doch ob und wann das geschieht, ist unklar; zudem betrifft das EFTA-Übereinkommen im Wesentlichen die Zölle, nicht hingegen die sonstigen Handelshemmnisse. Die einzige Möglichkeit, wie sich die Handelsbeziehung zwischen der Schweiz und Grossbritannien nach einem Brexit nicht verschlechtern würde, ist gemäss Epiney «wenn beide Länder sagen, wir halten uns an das gewisse Teile des EU-Rechts» und entsprechende reziproke Verpflichtungen eingehen. Dieses Szenario hält Astrid Epiney allerdings für höchst unwahrscheinlich, denn «dann hätte man ja auch gleich in der EU bleiben können.» Wenn deshalb die Schweiz und Grossbritannien ihre Deals aushandeln ist wichtig, dass die ICT-Branche ihre Stimme hörbar macht. Für die Exportbemühungen der Branche ist Grossbritannien einfach zu wichtig, um untätig zu sein. So sehen übrigens Schweizer die Beziehung zur EU: https://de.statista.com/infografik/5074/haltung-der-schweiz-gegenueber-der-eu-und-den-wechselseitigen-beziehungen/
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