Swiss ICT-Award 2015 12.11.2015, 13:16 Uhr

Vier Gewinner, viel gute Laune und etwas Politik

Bison, Blindflug Studios, Swisscom und ein Rechtsmediziner sind die Preisträger des Swiss ICT Award. Auch wenn die Sieger im Mittelpunkt standen, gingen wohl alle Anwesenden mit dem Gefühl nach Hause, etwas mitgenommen zu haben.
«Wir müssen ein Land sein, in dem eine für andere Länder kalkulierbare Rechtssicherheit herrscht.» «Wir brauchen Partner in Europa, was viele unserer Politiker und gut die Hälfte des Schweizer Stimmvolkes nicht verstehen.» Thomas Flatt gab sich keine grosse Mühe, gestern Abend seine politische Einstellung zu verbergen. Aber warum auch. Schliesslich sprach er die Worte in seiner Funktion als Präsident von SwissICT und damit als Gastgeber des Swiss ICT Award *. Da darf man auch mal polemisieren.

Keine Oscars, dafür nur Gewinner

Vor einigen Jahren nannten wir den Swiss ICT Award die «Oscars der Branche», bis in unserer Redaktion der Brief einer Zürcher Anwaltskanzlei eintraf, der uns unter Androhung einer saftigen Busse darauf hinwies, dass «Oscar» ein urheberrechtlich geschützter Begriff sei. Hätten die Juristen den Swiss ICT Award gekannt, hätten sie das Briefporto möglicherweise gespart. Denn im Gegensatz zur Operettenveranstaltung in Los Angeles sind die ICT Awards keine Zelebration einer Branche, deren grösste Errungenschaft seit Erfindung der Kamera es war, Bilder auf grosse Screens zu projizieren. Sondern eine Auszeichnung für Menschen, die in einem sich täglich ändernden Umfeld innovativer sind als ihre Kollegen. Zwischenzeitlich vergassen dies die Organisatoren von SwissICT und versuchten bei der letztjährigen Ausgabe, mit Robotik-Einlagen eine künstliche Show zu erzeugen. Das Experiment scheiterte, dieses Jahr war die Veranstaltung wieder das, was ihr zu Recht den Status als «einer der wichtigsten ICT-Events der Schweiz» einbringt (versucht den Ausdruck mal anzugreifen, ihr Zürcher Anwälte): Eine knapp 90 Minuten dauernde Preisverleihung, bei der die Sieger im Mittelpunkt stehen, aber eigentlich alle Nominierten Gewinner sind.

Politisches Spiel überzeugt

Den Mehrwert des Preises oder der Nomination berechnen zu wollen, ist zwar zum Scheitern verurteilt. Mindestens die Gewinner in der Kategorie «Newcomer» erzählen aber regelmässig, dass die geschäftlichen Erfolge nach dem Award nicht ausblieben. Wenn sonst nichts, beweist das immerhin, dass die Jury Fachkompetenz besitzt. Die Gewinner der letzten Jahre, AirRewind, Starmind und GetYourGuide dürften mittlerweile jedem Branchenkenner ein Begriff sein. Das trifft auch auf den diesjährigen Gewinner zu: Blindflug Studios. Die Zürcher Spieleschmiede entwickelte das kostenpflichtige Atomkriegsspiel «FirstStrike», bei dem es darum geht, einen Atomkrieg zu gewinnen. Wobei die Botschaft klar ist: Auch wer gewinnt, verliert. Das Spiel gehört bereits zu den erfolgreichsten Schweizer Mobile-Spiele überhaupt und wurde schon vor dem ICT Newcomer Award mit Preisen überhäuft. Trotzdem war Blindflug-Gründer Moritz Zumbühl ob der Auszeichnung überrascht: «Die Schweizer Gamingszene steckt noch in den Anfängen, den Preis hier zu gewinnen haben wir darum nicht erwartet.» Auch das nächste Spiel der Blindflug Studios ist politisch motiviert, es wird die Flüchtlingsthematik ins Zentrum stellen. Um die durch die Ehrungen grossen Erwartungen an den Nachfolger etwas zu dämpfen, sagte Zumbühl: «Es ist einfacher, die Weltzerstörung zu verkaufen als politische Schicksale.»
Der Hauptpreis des Abends ging an Bison Schweiz. Für ihren «Electronic Shelf Label Manager» erhielten sie den Swiss ICT Award 2015 und sorgten als Surseer-Firma für einen halben Heimsieg im KKL. Bei der Lösung handelt es sich um ein elektronisches Preisschildmanagement, das Preise und weitere Beschriftungen von Waren automatisch und zentral per Knopfdruck direkt am Regal ändern kann. Nach Ansicht der Jury ist der «ESL Manager» «genau das richtige Produkt zum richtigen Zeitpunkt und ein hervorragendes Beispiel dafür, was aktuell mit Web Apps und kleiner Infrastruktur realisiert werden kann».  Den Publikumspreis gewann Swisscom mit ServiceNow. Der Dienst ist allerdings nicht vom Schweizer Telko sondern eine weltweit genutzt PaaS-Anwendung für Enteprise-Service-Management, die auch andere Schweizer Firmen einsetzen. Dass man den Publikumspreis ohne wirkliche Innovationsleistung erhielt, hatte wohl vor allem damit zu tun, dass Swisscom die mit Abstand grösste nominierte Unternehmung war. * Computerworld ist Medienpartner des Swiss ICT Award Lesen Sie auf der nächsten Seite: Unerwarteter Special Award

Special Award an Rechtsmediziner

Nebst den drei traditionellen Awards hat die Jury jedes Jahr die Möglichkeit, einen «Special Award» für besondere Dienste an der ICT-Branche zu vergeben. Dieses Jahr gewann der Zürcher Uniprofessor und Rechtsmediziner Michael Thali für sein Projekt «Virtopsy». Die Anwendung kombiniert in der Rechtsmedizin weltweit erstmals verschiedene bildgebende Methoden, um einen hochpräzisen bildlichen 3D-Datensatz eines Verstorbenen zu generieren. Virtopsy wird weltweit von Strafverfolgern eingesetzt und tauchte unter anderen mehrfach in der TV-Serie «CSI» auf. Auch wenn bei Virtopsy ICT eine entscheidende Rolle spielt, hätten wohl nicht viele der rund 900 anwesenden Gäste die Anwendung mit den Awards in Verbindung gebracht. Was zeigt, dass die Jury auch «out of the box» denkt, für die Entwicklung der Awards sicher kein Nachteil. 

Internationale Tauglichkeit beweisen

Apropos «out of the box». Das war auch der Grund für die Worte von Thomas Flatt. Dem ehemaligen Abraxas-Chef ist es seit Jahren ein Anliegen, die ICT-Exportwirtschaft voranzutreiben. Eine aktuelle Studie beziffert diese derzeit als 18-Milliarden-Geschft, allerdings generierte die Branche letztes Jahr auch einen Importüberschuss von 6,9 Milliarden Franken. Um insbesondere mehr Dienstleistungen im In- und Ausland zu verkaufen muss die Branche laut Flatt «als Lieferant in der Lage sein, Kunden ins digitale Zeitalter zu führen.» Es genüge nicht, auf Inputs aus der Business-IT zu hoffen. «Wir müssen Pakete für die Kunden schnüren, die deutlich mehr Wert haben als die Produktkosten». Nur dann könnte die Schweiz mit ihren hohen Preisen mit dem Ausland mithalten. Die Gespräche nach der Verleihung haben gezeigt, dass Branchenvertreter gewillt sind, noch innovativer zu werden, um dem Druck aus dem Ausland standhalten zu können. Wohl auch im Wissen, dass für einige von ihnen der Schweizer Markt zu klein ist. Nächstes Jahr wird die Schweiz Gastland an der CEBIT sein, eine grosse Chance für die hiesigen Unternehmer, ihre internationale Reifeprüfung abzulegen. In einer Nachbetrachtung der CEBIT-Auswirkungen wird sich herausstellen, ob gestern nur Lippenbekenntnisse gemacht oder tatsächlich Hebel in Bewegung gesetzt wurden. Falls letzteres nicht eintrifft, wird Thomas Flatt wohl auch am 15. November 2016 die Exportwirtschaft zu einem Schwerpunktthema machen. An dem Abend findet im KKL Luzern die nächste Verleihung des Swiss ICT Award statt.



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