Schweizer Experten 04.03.2016, 10:44 Uhr

Digitalisierung erfordert neues BPM

Am «Swiss BPM Forum» zeigten Experten auf, dass die traditionellen Ansätze des Business Process Management für die Digitalisierung des Geschäfts nicht mehr geeignet sind.
Das klassische Business Process Management (BPM) hat das Ziel, interne Abläufe in Unternehmen optimal an die geschäftliche Praxis anzupassen. «BPM war in den letzten zehn Jahren hauptsächlich mit der Ausbeutung beschäftigt. KPIs und Six Sigma dienten dazu, noch das letzte Quäntchen Leistung aus den Prozessen herauszuquetschen», sagte Professor Jan vom Brocke von der Universität Liechtenstein am «Swiss BPM Forum» in Regensdorf. In Zeiten der Digitalisierung genüge das nicht mehr. Vielmehr sei Exploration die neue Maxime von BPM. Das Geschäftsprozessmanagement müsse die Frage beantworten, wie das Business für die Zukunft aufgestellt werden kann, sagte der BPM-Experte.
Der Inhaber des Lehrstuhls für BPM ist überzeugt, dass Schweizer Unternehmen auch bei maximaler Geschäftsprozessoptimierung keine Chance gegen disruptive Wettbewerber wie Airbnb und Uber haben. Die Newcomer könnten mit schlanken Prozessen viel agiler sein als eine traditionelle Organisation, die eine Legacy mitbringen. Jedoch betonte vom Brocke, dass es auch in Zukunft beide Ansätze von BPM brauche: «Die Industrie muss weiter an den Prozessen für die effiziente Bohrmaschinen-Produktion schrauben. Nur mit Herumspinnen geht's auch nicht weiter», rief er den rund 150 Teilnehmern des «Swiss BPM Forums» zu.
Das Analystenhaus Gartner entwickelt nach den Worten von Research Director Marc Kerremans einen Beratungsansatz, mit dem sich das traditionelle und das moderne BPM verbinden lassen. Das Konzept nennt Gartner «Business Operating System». Wie Kerremans an dem Anlass sagte, gehe es um das Ausrichten der unternehmensinternen Geschäftsprozesse an den Kundeninteraktionen. Das «Betriebssystem» für das Geschäft erlaube auch das Testen von neuen Business-Szenarien im laufenden Betrieb. Nächste Seite: Schweizer Führungskräfte parat Der Könizer Baukonzern Losinger Marazzi adaptiert sein Geschäft bereits an die neue digitale Realität. Verwaltungsratspräsident Jacky Gillmann sagte an dem Anlass, dass in der Geschäftsleitung eifrig diskutiert werde, wie Bauvorhaben in Zukunft geplant werden. Denn wegen der vielerorts digitalen Arbeitsmittel und der Option auf Home Office würde weniger Bürofläche benötigt. Sharing-Modelle bei Kraftfahrzeugen führten dazu, dass bei Wohnungsneubauten bei den Stellplätzen gespart werden könne. 
Mit Projekten wie Smart Cities und Verfahren wie der 3D-Druck würden auf die Baubranche noch weitere tief greifende Veränderungen zukommen, mit denen sich Losinger Marazzi intensiv beschäftige, erklärte Gillmann. Bei beiden Themen könnte sich das Unternehmen nicht auf die traditionellen Geschäftsprozesse beschränken. Vielmehr erwäge man die Zusammenarbeit mit Start-ups, die oftmals noch eine andere Herangehensweise an künftige Fragestellungen hätten.

Police für die Schwarze Piste

Auch die Helvetia Versicherungen setzt sich mit der Digitalisierung auseinander. Schweiz-CEO Philipp Gmür berichtete zwar, dass die Notwendigkeit des Wandels noch nicht gross sei, da die Margen in der Versicherungsbranche noch beruhigend hoch sind. Trotzdem treibe ihn die Frage um, ob das heute erfolgreiche Geschäft morgen noch das gleiche ist.
Die Zeichen stünden zweifellos auf Veränderung, denn die Kunden hätten heute eine nie dagewesene Transparenz bei den Versicherungsverträgen, sagte Gmür. Da den Assekuranzen eine Tradition in Forschung und Entwicklung fehle, müssten die Unternehmen heute bereit sein, das eigene Business zu kanibalisieren, sonst würde das Geschäft von anderen Playern übernommen. Ein Modell sei etwa eine Sofort-Police, die ein Kunde an seinem Smartphone abschliessen könne, bevor er eine Schwarzen Piste hinabfährt.  Im Kerngeschäft der Helvetia sei es absehbar, dass die Vertriebsmitarbeiter in Zukunft von Computern unterstützt würden. Die Berater müssten lernen, sich die Maschine zunutze zu machen, sonst liefen sie Gefahr, dass die Rechner sie ersetzen. Das gelte auch für andere Dienstleistungsbranchen, sagte der CEO. «Die Digitalisierung fordert das Schaffen neuer Berufsbilder, sonst schafft sich die Schweiz selbst ab», schloss Gmür.



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