03.03.2015, 19:47 Uhr

Schweizer Bürger ins E-Government einbeziehen

Der vernetzte und mobile Bürger trifft auf eingefahrene Prozesse in den Amtsstuben. Da sind Konflikte vorprogrammiert. Das «Swiss eGovernment Forum» wollte Lösungsansätze liefern.
Kann es sich eine öffentliche Verwaltung heute noch leisten, an althergebrachten und starren Prozessen festzuhalten, oder muss sie agil auf Bürgerbedürfnisse reagieren? Dieser Frage gingen die Referenten am «Swiss eGovernment Forum» am Dienstag in Bern nach. Mit der Problemstellung eng verbunden ist die Frage nach der Bürgernähe. Verwaltungen, die hauptsächlich sich selbst verwalten, nötigen dem Bürger ihre Abläufe auf. Sie können zwar Bürger-Services anbieten; diese funktionieren dann allerdings so, wie die Verwaltung strukturiert ist. Der einfachste Fall: Papierformular wird als PDF ins Web gestellt und muss wie bis anhin ausgedruckt, ausgefüllt und per Brief an den Sachbearbeiter returniert werden. Dem Bürger wird lediglich der Gang aufs Amt erspart. Die verwaltungsinternen Prozesse bleiben unverändert. E-Government geht noch anders.

Bürgernähe versus Verwaltungsbeton

Die Referenten am Berner Forum waren sich weitgehend einig, dass E-Government nicht allein die Digitalisierung der Verwaltungsprozesse bedeutet. Einerseits müsse auf die sich wandelnden Bedürfnisse der Bürger reagiert werden, andererseits die Abläufe in den Amtsstuben grundlegend erneuert werden, formulierte es die Staatskanzlerin des Kantons Genf, Anja Wyden Guelpa.
Sie gab zu, dass auch das Genfer Vorzeigeprojekt «Vote électronique» bis anhin nicht den gewünschten Erfolg gebracht habe: Im Kanton Genf ist seit 2003 die elektronische Stimmabgabe möglich. Das System sei unterdessen in mehr als 35 Wahlen erprobt und spreche theoretisch rund 91'000 Stimmbürger an, führte Wyden Guelpa aus. Sie verschwieg, dass die meisten Personen in der Zielgruppe Auslandsschweizer sind und lediglich 30 Prozent der Nutzer ihren Wohnsitz im Kanton haben. In dieser Gruppe nutzen nur 20 Prozent die Web-Applikation für die Stimmabgabe (bei den Auslandsschweizern sind es immerhin über 50 Prozent). Die Staatskanzlerin konstatierte, dass jenseits der tiefen Nutzungsraten auch das weitere Ziel von «Vote électronique», das Ansprechen junger Stimmbürger, nicht erreicht worden sei. Vielmehr würden im Kanton Genf heute noch immer mehr Rentner als junge Erwachsene abstimmen. «Das System hat die Beziehung zwischen Staat und Bürger nicht verändert», sagte Wyden Guelpa. Mit dem Cinecivic-Wettbewerb sollen mehr Junge zum Wählen motiviert werden. Hier setzt die Kantonsverwaltung auf neue Medien wie Social-Kanäle und Video. An der Weiterentwicklung von «Vote électronique» und auch anderen E-Government-Services würde Genf in Zukunft massiv die Bürger beteiligen. Nächste Seite: fortschrittliche Bundesverwaltung Aus der Innenperspektive betrachtete Pius Breu, Ressortleiter im Eidgenössischen Personalamt, den Wandel der Bundesverwaltung zu mehr Bürgernähe. «Wenn wir den Bürgern gegenüber agil sein wollen, dann müssen wir selbst agil sein», sagte er. Das sei noch nicht überall der Fall, gestand er aber auch. Dank Technologie wie der neu eingeführten Unified Communication, weitreichender Mobilität der Mitarbeiter und dem klaren Bekenntnis zu modernen Arbeitsformen (Home Office, Grossraumbüros) komme der Bund aber voran. «Bei der Technologie ist die Bundesverwaltung schon recht weit», meinte Breu.

Messbarkeit von E-Government

Eine persönliche Einschätzung ist ein Mass, wenn auch ein schwaches. In E-Government-Benchmarks schneidet die Schweiz regelmässig nur befriedigend ab. Hier gibt es Luft nach oben. Deshalb betonte Armin Haymoz, Leiter Public Beratung beim Consultingunternehmen KPMG, an dem Anlass die Notwendigkeit zur Messbarkeit von Verwaltungsabläufen. Wenn Prozesse von Grund auf neu aufgesetzt würden, müsste mit einer Vorher-Nachher-Messung der Gewinn ermittelt werden. So liessen sich Vergleiche nicht nur innerhalb von bestimmten Verwaltungen, sondern auch mit anderen Ressorts anstellen. Vorbildliche Beispiele können auf den Preis «Excellence in der ffentlichen Verwaltung» hoffen, führte Haymoz aus.

Gesetzesdschungel

Die Umsetzung von digitalen Strategien in Ämtern ist laut dem KPMG-Experten eine Sache. Gleichzeitig sollte der Gesetzgeber darüber nachdenken, die Zahl der Vorschriften zu reduzieren. Andere Staaten machten es vor: In Deutschland, Frankreich und Italien gelte der Grundsatz «One in, One out», in Grossbritannien sogar «One in, Two out». «Für jedes neue Gesetz muss eine respektive zwei alte Vorschriften wegfallen», erklärte Haymoz.
Das Lichten des Gesetzesdschungels fand Anklang bei Christian Weber, Leiter eGovernment für KMU beim Staatssekretariat für Wirtschaft Seco. «One in, One out brauchen wir in der Schweiz. Heute quälen wir uns mit immer neuen Gesetzen. Ausserdem richten wir uns mit der Beschaffungspraxis zugrunde», sagte er. Um die Schweizer Verwaltungen fit zu machen für mehr Agilität schlug Weber fünf Hebel vor: strategische Steuerung und Ressourcenmanagement, eine adaptive Organisationsstruktur, strategisches Personalmanagement, eine anpassungsfähige und kundenorientierte Informatik sowie eine Kultur der Wandlungsfähigkeit.

Urne versus Vote électronique

Die Veränderungen dürften allerdings auch nicht an den Türen der Amtsstuben halt machen, konstatierten die Referenten. Auch der Bürger müsse seinen Teil beitragen. So könnte die landesweite Einführung der elektronischen Wahl auch bedeuten, dass die Bevölkerung auf eine Alternative beim Urnengang verzichten sollte. Beispielsweise wendeten die Kantone Genf und St. Gallen an jedem Wahlsonntag viel Geld dafür auf, dass die Bürger zur Stimmabgabe noch selbst an die Urne gehen könnten. Wenn nun auch via Internet gewählt werden könnte, sollte die wenig genutzte Abstimmung an der Urnen zumindest überdacht werden. Genfs Staatskanzlerin Wyden Guelpa erklärte zum Beispiel, dass in manchen Wahllokalen der Zuspruch so gering sei, dass die Anonymität der Stimmabgabe nicht mehr gewährleistet werden könne. Beat Tinner, Präsident der St. Galler Gemeinde Wartau, berichtete ähnliche Erfahrungen. An die Urnen gingen maximal fünf Prozent der Bürger. Dafür entstünden sehr hohe Kosten, sagte er.



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