Swisscom-Interview 01.02.2012, 06:56 Uhr

«Die Kunden wünschen Einfachheit»

Urs Lehner, Leiter «Sales und Marketing» bei Swisscom Grosskunden, ist ein ehemaliger IT-Profi. Deshalb spricht er lieber über Kundenwünsche als über Marketing – und weiss: Heute ist alles zu kompliziert.
Urs Lehner im Computerworld-Interview
Urs Lehner ist seit Mitte 2011 bei Swisscom Leiter «Sales und Marketing» für den Bereich Grosskunden. Als Chef von 950 Mitarbeitenden hat der ehemalige IT-Profi aber nur wenig mit Marketing und dafür viel mit realen Projekten zu tun.
Computerworld: In der Vergangenheit haben Sie fast zehn Jahre beim Zürcher IT-Dienstleister Trivadis gearbeitet. Was hat Sie nach Ihrem Amtsantritt bei Swisscom am meisten überrascht?
Urs Lehner: Am meisten hat mich die Vielfalt der Subkulturen innerhalb des Konzerns überrascht und die positive Energie, die man an der Basis täglich erleben darf. Die Mitarbeitenden sind unglaublich stolz, bei Swisscom zu arbeiten und legen ein grosses Engagement an den Tag.
Computerworld: Dieses Engagement hat Sie überrascht? Hätten Sie bei einem Grossunternehmen wie Swisscom eher mit weniger gerechnet?
Lehner: Ich hätte es nicht in dieser Breite erwartet und, dass es so intensiv gelebt wird.
Computerworld: Was war denn eher negativ?
Lehner: Darauf kann ich heute noch keine Antwort geben.
Computerworld: OK, fragen wir anders. Wo haben Sie sich am schwersten getan beim Wechsel von einer eher kleinen Firma zum Grosskonzern Swisscom?
Lehner: Ich komme aus mittelständischen Unternehmen, die ich sehr aktiv mitgestalten durfte. Jetzt gibt es Vorgaben, die ausserhalb meines Einflussbereichs liegen.
Computerworld: Heute sind Sie weniger einflussreich als früher?
Lehner: Man muss das differenziert betrachten. Allein auf die Geschäftsleitungsebene reduziert, mag das stimmen. Zuvor durfte ich als Miteigentümer ein Unternehmen gestalten und vorantreiben. Das war spannend, aber es gab durchaus stark limitierende Faktoren wie zum Beispiel die Investitionsmöglichkeiten oder die Visibilität der Marke. Bei Swisscom gibt es diesbezüglich ganz andere Voraussetzungen. Auf der nächsten Seite gehts weiter
Computerworld: Sind Ihre Erwartungen in den ersten 100 Tagen erfüllt worden?
Lehner: Ganz klar ja. Ich habe einen grossen Handlungsspielraum mit sehr kurzen Entscheidungswegen.
Computerworld: Kurze Entscheidungswege! Ist Ihre Abteilung sowas wie eine Insel der Seligen innerhalb von Swisscom?
Lehner: Ich glaube nicht. Die einzelnen Units der Swisscom haben alle einen sehr grossen Gestaltungsrahmen. Das dürfte überall so sein und ist Teil der Unternehmenskultur.
Computerworld: Sie haben einen interessanten Werdegang: Sie waren IT-Professional und sind heute verantwortlich für Sales und Marketing. Wo liegen die Gemeinsamkeiten von IT und Marketing?
Lehner: Die Gemeinsamkeiten sind wohl eher versteckt. Man darf sich aber auch nicht in die Irre führen lassen vom Namen «Sales und Marketing». Meine Abteilung bietet vom Marketing über die Sales-Organisation bis zur Systemintegration alles. Rund 300 Mitarbeitende sind im Kern für Marketing und Sales tätig, die Mehrheit des Personals in nachgelagerten Arbeiten wie Lösungsdesign und -Engineering, Projektleitung und Auftragsabwicklung. Wir wickeln weit über 1000 Projekte im Jahr ab. Es geht um den Gesamtkontext. Da ist mein Hintergrund als Systemintegrator natürlich sehr hilfreich.
Computerworld: Ab wann ist man bei Swisscom eigentlich ein «Grosskunde»?
Lehner: Das Potenzial eines Geschäftskunden entscheidet, ob er als Grosskunde betrachtet wird, zum Teil auch die Produkte, die der Kunde in Anspruch nimmt.
Computerworld: Es gibt also keine klare Grenze zwischen KMU und Grosskunden?
Lehner: Die Grenze ist selbstverständlich fliessend. Das Schönste, was uns passieren kann, ist, wenn ein KMU-Kunde zu einem Grosskunden wächst. Auf der nächsten Seite gehts weiter
Computerworld: Können Sie konkret sagen, welche Wünsche und Sorgen von den Kunden in den letzten 100 Tagen an Sie herangetragen wurden?
Lehner: Gewünscht wird Einfachheit. Bei der Verrechnung, bei der Betreuung, bei den Lösungen. Ausserdem suchen die Kunden Beratung. Sie wollen in einer sich schnell verändernden Welt von einem kompetenten Partner begleitet werden. Die Kunden brauchen einen offenen Diskurs, der nicht nur von der Kostendiskussion getrieben ist, sondern auch den Businessnutzen berücksichtigt. Wir sind sehr stolz auf das grosse Vertrauen, das uns unsere Kunden entgegenbringen.
Computerworld: Das Bedürfnis ist Einfachheit. Heisst das, heute ist alles zu kompliziert?
Lehner: Nicht nur Apple und Google, sondern auch die arrivierteren Anbieter erzählen uns doch seit 20 Jahren, dass alles immer einfacher wird mit dem neusten Release. Die Realität sieht anders aus. Wir werden mit zunehmender Komplexität konfrontiert. Das ist einer unserer strategischen Ansätze: Mit Managed Services soll es für den Kunden einfacher werden. Er bezieht seine Leistungen aus der Steckdose. Die Bereitstellung, den Betrieb der Infrastruktur – keine einfache Sache – kann er getrost uns überlassen.
Computerworld: Beziehen die Kunden tatsächlich heute schon alles aus einer Hand? Sind sie nicht vielmehr noch sehr selektiv bei der Wahl ihrer Angebote?
Lehner: Die Marketingantwort wäre jetzt: Klar, die Kunden beziehen alles aus einer Hand. Aber die Realität ist differenzierter. Nur ein Teil der Kunden bezieht alles von einem Provider.
Computerworld: Können Sie den Anteil dieser Kunden bei Swisscom beziffern?
Lehner: Das ist heute ein kleiner Anteil und es sind eher mittelständische Unternehmen. Die Herausforderung ist, dass wir Services für unsere Kunden bieten müssen, die zusammenpassen. Und zwar nicht nur in den Produkten, sondern in der ganzen Wertschöpfung. Dieser Herausforderung muss sich nicht nur Swisscom, sondern die gesamte Industrie stellen. Der Kunde muss jederzeit Services wählen oder auswechseln können, die ohne grossen Integrationsaufwand in die restliche Infrastruktur passen.
Computerworld: Jederzeit und ohne grossen Aufwand den Anbieter zu wechseln, ist aber noch Zukunftsmusik.
Lehner: Die Paradigmen, wie man im Markt zusammenarbeitet, sind im Moment stark im Wandel. Aber es wird immer einen Kompromiss brauchen zwischen Kundenbindung und Kundenflexibilität. Und das hat seinen Preis – für beide Beteiligten. Auf der nächsten Seite gehts weiter
Computerworld: Swisscom hat – recht spät – auch ein Cloud-Angebot lanciert. Die Zurückhaltung der Schweizer Kunden bezüglich Cloud scheint noch recht gross. Warum ist das so?
Lehner: Ich teile diese Einschätzung. Die Adaption der Cloud-Angebote im Schweizer Markt ist noch nicht soweit, wie das von gewissen Marketingabteilungen gern dargestellt wird.
Computerworld: Toll, gibt das endlich auch mal ein Anbieter zu…
Lehner: Man muss auch hier differenzieren. Die Kunden nutzen die Cloud dort, wo die Kopplung ans Kerngeschäft eher lose ist. Aber generell setzen sich die Kunden sehr stark mit der Cloud auseinander. Viele Kunden arbeiten bereits heute auf eine Cloud-Architektur hin. Themen wie Datensicherheit, Verfügbarkeit, Integrationskomplexität oder Compliance sind aber im Moment noch Handlungsfelder für Überzeugungsarbeit.
Computerworld: Bedeutet es heute ein Risiko, in die Cloud zu gehen?
Lehner: Jeder Unternehmensentscheid birgt Risiken. Technisch haben wir als Anbieter die Cloud im Griff, dafür verbürge ich mich. Die Komplexität, eine bestehende IT-Infrastruktur und die entsprechenden Prozesse in die Cloud zu integrieren, sollte nicht unterschätzt werden. Gerade Mittelstandskunden bieten sich aber tolle Möglichkeiten, die sie mit der eigenen Infrastruktur gar nicht wahrnehmen könnten. Auf der nächsten Seite gehts weiter
Computerworld: Was dürfen die Kunden von Swisscom in Zukunft erwarten? Wo liegen die Trends?
Lehner: Bring Your Own Device ist beispielsweise ein Megatrend. Die Kommunikation zwischen Business und Privatleben verschmilzt, man ist jederzeit online. Dies wird die Art und Weise verändern, wie wir miteinander arbeiten. Der zweite starke Trend ist mehr Einfachheit. Nicht nur in der Anwendung, sondern auch beim Design von Lösungen. Standardisierung ist hier das ganz grosse Thema.
Computerworld: Die private und geschäftliche Kommunikation wird zunehmend mit demselben Gerät erledigt. Gedenkt Swisscom etwas anzubieten, damit das besser organisiert und letztlich auch besser getrennt werden kann?
Lehner: Ja, da ist ein Projekt in der Pipeline, das heisst «Profile Switching» und soll Anfang nächstes Jahr lanciert werden. Im Moment läuft intern ein Pilotversuch.
Computerworld: Was darf man sich unter Profile Switching vorstellen?
Lehner: Der Benutzer kann individualisiert jederzeit sein Mobile, seine geschäftlichen und privaten Kommunikationskanäle steuern und somit den Entscheid selber treffen, wann er wie erreichbar sein will.»
Zur Person
Urs Lehner begann seine Karriere 1993 als IT System Engineer bei der Zürcher Kantonalbank. 1997 bis 2011 stieg er bei Trivadis vom Bereichsleiter über den Solution Portfolio Manager bis zum COO auf. Seit Mitte 2011 ist der studierte Wirtschaftsinformatiker Mitglied der Bereichsleitung Grossunternehmen, Leiter Marketing und Sales bei Swisscom.



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