Internet der Dinge 23.11.2016, 18:46 Uhr

SAP-Guru Nils Herzberg - konkrete IoT-Cases für Versicherungen, Pkw-Fahrer, Maschinen, Naturkatastrophen und smarte Schweizer Städte

Als ERP-Anbieter versteht SAP auch die Betriebswirtschaft, betont Nils Herzberg. Herzberg ist SAPs IoT-Guru. Mit CW sprach er über IoT-Cases , die heute schon einen konkreten Mehrwert bringen.
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Nils Herzberg ist der IoT-Guru der SAP. Vor SAP war er für Capgemini und für The Boston Consulting Group tätig. SAP entwickelt zusammen mit seinen Kunden Anwendungsprojekte für das industrielle Internet der Dinge. Mit CW sprach Herzberg über IoT-Cases, die heute schon funktionieren und die morgen vielleicht den Markt entscheidend prägen.
Herr Herzberg, SAP hat auf der TechEd in Barcelona einige neue IoT-Cloud-Services vorgestellt, zum Beispiel Connected Vehicles, Connected Logistics, Connected Assets und Connected Retail. Aber Konkurrenzanbieter wie Microsoft oder IBM offerieren mehr. Realisiert SAP das IoT mit angezogener Handbremse?
Herzberg: Unsere IoT-Dienste sind aus Projekten zusammen mit Kunden entstanden. In ihnen steckt viel Kundenfeedback. Unsere Vision vom Internet der Dinge besteht darin, den IoT-Service vom Internet-Ding über die Plattform bis zum Backend ohne Medienbruch hinzubekommen. Wir sehen das IoT als ein End-to-end-Szenario und verstehen als ERP-Anbieter auch die Betriebswirtschaft. Deshalb wissen wir, was Kunden brauchen und was ihnen einen Mehrwert bringt. Unsere Konkurrenz – wer immer das sei – geht mehr als Techniker an das Thema heran.
Unser Kunde Kaeser Kompressoren hat per IoT und Sensoren die vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance) eingeführt. Dort können Sie sehen, welche Services heute schon gut funktionieren und welche heute noch nicht gebraucht werden.
Der Earth Observation Analysis Service, den SAP zusammen mit der europäischen Weltraumagentur ESA betreibt, ist für (Rück-)Versicherer wie die Swiss Re interessant. Anhand von Satellitenfotos und Zeitreihenanalytik prognostizieren Sie, wo mit hoher Wahrscheinlichkeit demnächst ein Waldbrand ausbricht oder wo sich ein Tornado zusammenbraut. Aber die versicherten Shopping Malls, die im Weg liegen, können Sie ja nicht versetzen.
Herzberg: An vorderster Front stehen die Versicherer in der Pflicht. Sie müssen eventuelle Schadensersatzforderungen bedienen, und die Rückversicherer versuchen, ihre Risiken besser zu verstehen. Sie können sicher sein, dass Versicherer ihre Risiken tagtäglich beobachten. Ein Versicherer und ein Rückversicherer könnte Rabatte für Kunden vergeben, die ein aktives Risikomanagement betreiben. Also für Kunden, die versuchen, ihr Risiko zu verstehen, einzugrenzen und die versuchen, den Schaden zu minimieren.
Natürlich können Sie die Shopping Mall dem Wirbelsturm nicht aus dem Weg nehmen. Aber Sie können zum Beispiel sicherstellen, dass sich keine Leute mehr darin aufhalten. Welche Risiken hat ein Rückversicherer im Portfolio? Leben, Gebäude und Netzwerk-/Transportschäden, also auch der Ausfall grosser Internetnetze. Betreibt ein Netzwerkbetreiber ein aktives Risikomanagement, um Schäden einzugrenzen, dann verringert sich für ihn die zu zahlende Versicherungsprämie.
Im Sommer 2015 ist im chinesischen Hafen von Tianjin nahe Peking eine Lagerhalle mit Chemikalien explodiert. Die Explosion soll eine Energie von 21 Tonnen TNT freigesetzt haben. Da waren die Rückversicherer aber auch überrascht, weil Sie das sogenannte Bündelrisiko nicht ausreichend bedacht hatten. Die wussten gar nicht, wie viele Container, die sie versichert hatten, in diesem Hafen lagerten.
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Container werden doch schon seit Langem mithilfe von RFID-Chips getrackt.
Herzberg: Aber das Bündelrisiko haben die Versicherer nicht gekannt. Die wussten nicht, dass – ich nenne jetzt mal eine Zahl – 10‘000 Container von ihrem Kunden dort im Hafen von Tianjin lagen. Ich glaube nicht, dass der Versicherer von zum Beispiel Maersk weiss, wie viele Maersk-Container gerade heute im Hafen von Singapur lagern. Solche Risiken wollen Versicherer verstehen und dann ein operatives Risiko-Management machen.
Deutsche oder Schweizer Vorstände dürfen auch nicht alle in einem Flugzeug sitzen, das wäre auch ein Bündelrisiko.
Was darf man sich unter dem Cloud-IoT-Service Future Cities vorstellen?
Herzberg: Wir haben bereits Projekte in diesem Bereich durchgeführt. Die chinesische Stadt Nanjing war eine der ersten, wo wir die Verkehrssteuerung optimiert haben. Dort waren die Taxis als Sensoren unterwegs. In der Volksrepublik China kann man, anders als bei uns, die Taxifahrer dazu verdonnern, etwas zu tun. Jedes Taxi wurde also dazu verdonnert, einen Sensor einzubauen. In der Millionenmetropole Nanjing fahren mindestens 10‘000 Taxis. Dadurch weiss man schon ganz gut, was in der Stadt passiert.
Darauf basierend hat SAP dann den Verkehr optimiert. Auf stark frequentierten Taxistrecken könnte zum Beispiel ein Bus-Service für Entlastung sorgen. Jedes Fahrzeug ist ein rollender Sensor. Da verbauen Sie zum Beispiel einen Temperatur- und einen Lichtsensor und können eine viel genauere Meteo-Landeskarte erstellen.
Der Automobilhersteller Volvo hat in seine Fahrzeuge eine Traktionskontrolle eingebaut. Wird der Schlupf der Antriebsräder zu gross, dann wird das Antriebsmoment durch gezielte Brems- und/oder Motor-Managementeingriffe reguliert. Ein weiteres Volvo-Szenario: Drehen zum Beispiel die Antriebsräder durch, dann werden die Positionsdaten des Volvo per GPS in die Cloud geschickt. Drehen die Räder des zweiten, dritten und vierten Volvo an der gleichen Stelle durch, ergeht eine Glatteiswarnung für diese Position an alle Volvo-Fahrer. Das ist ein sehr handfester Vorteil für die Fahrer.
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Warum in Nanjing, und nicht in Europa?
Herzberg: Ich sehe keine Probleme, ähnliche Projekte auch in Europa, in der Schweiz und in Deutschland durchzuführen. Sie müssen nur jemanden finden, der das will. Die Stauprobleme in den chinesischen Metropolen sind sicher grösser als in deutschen Städten. Intelligente Verkehrskontrolle ist aber nicht nur in China ein Thema.
Im Hamburger Hafen - ein weiteres Beispiel - versuchen wir, die Stillstandszeiten der Lkws, die rumstehen, zu minimieren. Es muss jemand da sein, der die Vision – und möglicherweise auch den Schmerz – hat, etwas zu tun.
Sind das Pilotprojekte?
Herzberg: Die Taxis in Nanjing waren ein Pilotprojekt, der Hamburger Hafen ist ein produktives Szenario.
Ein erstes Set von IoT- und AI-Services hat SAP an den Markt gebracht. Welche Dienste könnten für ihre Kunden in Zukunft interessant sein?
Herzberg: Mit dieser ersten Welle werden wir Erfahrungen sammeln und auswerten. An der zweiten Welle arbeiten wir schon. Wir warten nicht erst jahrelang ab, um Feedback einzusammeln.
Was steht auf der Agenda der Entwicklungsteams?
Herzberg: Das ganze Thema Simplifizierung liegt uns sehr am Herzen. Kunden sollen nicht Spezialwissen benötigen, um ein IoT-Szenario ans Laufen zu bringen. Die einfache Nutzung einer IoT-Plattform ist erfolgsentscheidend. Kunden werden mit vorkonfigurierten Templates arbeiten. Sie müssen keine teuren Spezialisten einkaufen, die brauchen Sie für die SAP IoT-Plattform nicht.
Im Vergleich zu dem, was wir vor 10 oder vor 20 Jahren gemacht haben, ist das für die SAP ein Quantensprung. Aber die Digital Natives von heute sind mit dem iPhone gross geworden, und nicht mit dem R/3. Wir sind schliesslich nicht im Oldtimer-Geschäft.



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