HPE-Chef Marcel Borgo 19.05.2016, 10:46 Uhr

«Wir haben die konvergente Infrastruktur erfunden»

Hewlett Packard Enterprise legt vor, mit der Composable Infrastruktur und sich selbst steuernden Applikationen. 'Der Mitbewerb wird das nachbauen, aber wir haben einen Innovationsvorsprung'. Das steht aktuell auf der Agenda.
Hewlett Packard Enterprise kennt sich mit Veränderungen aus. Ende 2015 teilte sich die ehemalige HP in zwei eigenständige Unternehmen auf - auch um die eigene Innovationskraft zu stärken. Heute, nach der erfolgreichen Aufteilung, bietet HPE ihren Kunden 'Splitting-as-a-Service' als Dienstleistung an. HPE-Schweiz-Chef Marcel Borgo sprach mit Computerworld über hybride Cloud-Architekturen, die Herausforderung 'Digitale Transformation' und die Infrastruktur der Zukunft.
Herr Borgo, wie haben Sie die Aufspaltung von HP in zwei Unternehmen in den letzten Monaten erlebt?
Marcel Borgo: Die „alte“ HP aufzuteilen, war eine Riesenübung, die wir in neun Monaten schaffen mussten – denn der Endpunkt war ja von Anfang an gegeben. Von August bis Oktober mussten wir dann zeigen, dass wir als zwei eigenständige Unternehmen operieren können, und bekamen danach das „go“ von den Aufsichtsbehörden. Kunden, Geschäftspartner und letztlich auch die Aktionäre haben dies als Meisterleistung anerkannt.
Dell und EMC fusionieren zu Dell Technologies, dem grössten Infrastrukturanbieter weltweit, der auf einem sehr ähnlichen Markt unterwegs ist. Machen Sie sich Sorgen um HPE?
Borgo: Wir haben dank unserer CEO bereits vor rund fünf Jahren erkannt, wie wir uns verändern müssen, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Vor fünf Jahren hat Meg Whitman einen Plan mit verbindlichen Etappenzielen aufgestellt, um das Unternehmen schneller, agiler, kundennäher zu machen und auf die Digitalisierung auszurichten. Die Aufteilung in zwei unabhängige Unternehmen war eine logische Folge.
Meg Whitman hat ihre Pläne also geheim gehalten.
Borgo: Absolut. Wie solche börsenrelevanten strategischen Entscheidungen zu kommunizieren sind, ist natürlich genau geregelt. Wichtig für uns war: Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, haben gute Resultate und den nötigen Cashflow erzielt und konnten so den Produktinnovationen wieder einen viel höheren Stellenwert einräumen und waren danach bereit für den Split. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir den richtigen strategischen Schritt getan haben. Unsere Kunden und Geschäftspartner sind hoch erfreut über das innovative Produktportfolio, das wir heute haben.
Sie legen den Fokus auf Innovationen. Was ist in der Pipeline?
Borgo: Vieles. Ein Beispiel ist „The Machine“.
Was sind die Vorteile dieser neuen Technologie?
Borgo: Mit dem Gesamtkonzept „The Machine“ sprengen wir die physikalischen Grenzen der heutigen Computer-Architektur. Wir ersetzen das physikalisch limitierende Kupfer durch Licht. Der zweite Zeitfresser ist das Swapping zwischen den Memory-Typen Hauptspeicher und Disk, der zusätzlich auch sehr viel Komplexität mitbringt. Mit der Zusammenführung von Arbeits- und Massenspeicher werden wir diese Komplexität überflüssig machen. Das ist ein Riesenvorteil: Prozesse werden viel schneller und viel einfacher. Das Speicher-Management, eine der zentralen Aufgaben heutiger Betriebssysteme, entfällt. Nächste Seite: Das hält HPE von der Konkurrenz
Wie ernst nehmen Sie junge Anbieter wie Pure Storage oder Tintri, die zum Beispiel auf Virtuelle Maschinen und das Virtualisierungslayer hin optimierten Speicher anbieten?
Borgo: Wir nehmen alle Mitbewerber ernst. Selbstverständlich muss man eine Virtuelle Maschine managen, sichern und wiederherstellen können. HPE hat im Februar das Schweizer Startup Trilead akquiriert. Trilead ist spezialisiert auf die Sicherung und Wiederherstellung von VMs, und war damit ausserordentlich erfolgreich. Wir integrieren diese Technologie nun in unsere Lösungen.
Wir nehmen für uns in Anspruch, die konvergente Infrastruktur erfunden zu haben. Die Konkurrenz hat nachgezogen, nun haben wir nochmals nachgelegt: Im letzten Dezember haben wir HPE Synergy vorgestellt, die nächste Generation der konvergenten Systeme. Der Vorteil: Bislang musste man alles manuell konfigurieren, zum Beispiel den vCPU-, vRAM- und Plattenspeicherbedarf von VMs.
Und heute wird automatisch konfiguriert?
Borgo: Bei Synergy bestimmt die Applikation selbst, welche und wie viele Ressourcen sie benötigt. Über eine offene API statten wir die Applikation mit HPE-Sourcecode aus, der die Applikation befähigt, solche Entscheidungen selbst zu treffen. HPE Synergy kommt in der zweiten Jahreshälfte auf den Markt.
Besonders in Cloud-Umgebungen bringt unsere app-zentrierte, automatisierte und dynamische Ressourcenzuteilung grosse Vorteile. Ohne müsste der Administrator Ressourcen, die oft gar nicht genutzt werden, in Reserve vorhalten. Das ist sehr ineffizient. Unsere Applikation nimmt sich die Ressourcen, die sie braucht, just-in-time aus einem Ressourcen-Pool.
Anfang Mai hatten wir einen grossen Partner-Event in der Schweiz. Dort haben unsere Partner das Know-how erworben, um zum Marktstart im zweiten Halbjahr HPE Synergy ihren Kunden verkaufen zu können.
Haben Sie sich schon einen griffigen Namen überlegt?
Borgo: Wir nennen die nächste Generation ‚Composable Infrastructure‘ oder ‚Infrastructure as a Code‘. Das Problem, mit dem viele CIOs zu kämpfen haben, sind alloziierte Ressourcen, die aber nicht mehr gebraucht werden. Ein Anwender gibt seine Ressourcen nicht frei, auch wenn er nicht mehr mit der Applikation arbeitet. Das sind die toten Applikationen, die nur viel kosten, aber nichts nützen. Unsere Lösung besorgt nicht nur das dynamische Kommissionieren, sondern auch das dynamische De-Kommissionieren der Ressourcen. Die gesamte Lösung basiert auf Industrie-Standardkomponenten. Die Konkurrenz wird das nachbauen, aber auch hier haben wir einen Innovationsvorsprung.
Ich möchte noch einmal auf eine besonders interessante Einzelkomponenten aus ihrem Baukasten zu sprechen kommen: Flash. Alle grosse Speicheranbieter sind mit All-Flash-Arrays auf den Markt gekommen. Gibt es bald nur noch Flash? Was kommt danach?
Borgo: Flash hat sich durchgesetzt und wird sich weiter durchsetzen. 80 Prozent aller verkauften Systems basieren heute auf All-Flash. Der Kunde hat diese neue Lösung voll und ganz akzeptiert. HPE, und das ist wieder ein grosses Differenzierungsmerkmal zum Mitbewerb, offeriert eine Management-Software über alle Netze, Server und Storage-Arrays, von ganz kleinen bis zu ganz grossen, hochverfügbaren Systemen. Dadurch wird der Kunde effizienter, und Admins unterlaufen weniger Fehler.
Mit Einführung der „ Machine“ wird sich dann über die Zeit natürlich einiges ändern. „The Machine“ wird die Performance massiv steigern und die Komplexität reduzieren, das herkömmliche Betriebssystem um 70 Prozent entschlacken.
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Wie relevant ist Speicher aus der Cloud? Spielt Cloud-Speicher in den Überlegungen ihrer Kunden eine Rolle?
Borgo: Absolut. Wir sind aber der Überzeugung, dass es einen hybriden Ansatz braucht. Bei den Kunden gibt es immer noch viele Legacy-Applikationen, die nie und nimmer in einer Public Cloud laufen werden. Denken Sie an Versicherungen, Banken und Fertigung, die ihre Legacy-Lösungen auf ihre individuellen Bedürfnisse programmiert haben und noch einige Jahre betreiben wollen.
Daneben sind neue, cloud-fähige Applikationen im Einsatz. Der Kunde überlegt sehr genau, wo er seine Workload alloziert und verfolgt einen hybriden Ansatz mit Legacy, private, managed und public Cloud. Deshalb arbeiten wir zum Beispiel eng mit Microsoft zusammen, die mit Azure eine hervorragende Public-Cloud-Implementierung hat und auch das hybride Zusammenspiel ermöglicht.
Aber wie häufig transferiert man schon zwischen private und public Cloud?
Borgo: Häufiger, als man denkt. Eine SaaS- oder PaaS-Lösung lässt sich am einfachsten und schnellsten aus einer public Cloud beziehen. Typische Anfangsinvestitionen entfallen. Dann entwickeln Kunden ihre Lösung public, wollen sie aber später in der private Cloud betreiben. Hinzu kommt: SaaS-Lösungen aus der Public Cloud kann ich in der Regel günstiger beziehen als on-premise. HPE zum Beispiel bezieht sein Personal-Management aus der Workday-Cloud und sein CRM von Salesforce.
Kurzfristig sparen Sie die Anfangsinvestitionen. Aber ob SaaS-Lösungen auch langfristig kostengünstiger sind, das ist ja noch die Frage.
Borgo: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Angenommen, Sie stossen als Unternehmen Firmenteile ab oder kaufen neue hinzu. Wenn Sie eine SaaS-Lösung benutzen, geht das sehr schnell. Die Trennung unseres sehr umfangreichen CRM haben wir bei der Aufteilung unseres Unternehmens in kürzester Zeit vorgenommen – dank der Salesforce-Cloud.
Das hat tadellos funktioniert. Vereinfacht gesagt: Sie legen einen zweiten Mandanten an, kopieren die Mitarbeiter, die zum zweiten Mandanten gehören, auf die andere Seite, und damit ist der Grossteil der Arbeit bereits erledigt. Für grosse schwere Applikationen, die wir auch immer noch inhouse fahren, haben wir dagegen Monate gebraucht.
Die Kompetenz, die wir durch die eigene Aufspaltung in zwei Firmen erworben haben, bieten wir heute als Beratungsdienstleistung unseren Kunden an. Wir können durch die gewonnene Erfahrung unseren Kunden heute zeigen, wie man eine Firma splittet. Wir haben bereits Kunden gewonnen, die sagen: Ich will das von HPE haben, mit den Leuten, die ein Splitting schon einmal gemacht haben.
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Aufspaltungen und Fusionen sind grosse Herausforderungen. Aber das, was heute unter dem Titel digitale Transformation diskutiert wird, geht ja noch viel weiter. Airbnb und Uber werden oft genannt. Wie wollen Sie ihren Kunden helfen, sich auf diese Art von Herausforderung einzustellen?
Borgo: Dieses Thema steht sehr weit oben auf der Agenda unserer CIOs. Sie müssen sich verändern, mit einer Geschwindigkeit, wie wir sie noch nie hatten.
Veränderungen in bestimmten Marktsegmenten hat es zwar immer schon gegeben: Denken Sie zum Beispiel an die Telefonie. Früher war bei HP ein grosser Raum für die Telefonzentrale reserviert. Wenn Sie heute schauen, steht der Raum leer.
Aber das Novum heute ist die Geschwindigkeit der Veränderung. Wir haben, um unsere Kunden bei der Transformation zu unterstützen, vier Kernthemen bei unseren Kunden identifiziert, die wir Transformationsgebiete nennen: ‚Transform‘ ist die Transformation von Legacy hin zu einer hybriden Infrastruktur inklusive Cloud – private, managed oder public. Im zweiten Transformationsgebiet ‚Protect‘ sichern wir die hybriden Infrastruktur. In einer verteilten Umgebung ist das eine anspruchsvolle Aufgabe. Wir verschlüsseln zum Beispiel die Daten von Applikationen, analysieren alle Log-Files auf atypische Veränderungen.
Im dritten Gebiet ‚Big Data Analytics/Empower‘ helfen wir unseren Kunden, die Nadel im riesigen Heuhaufen der eigenen Daten zu finden, um damit einen Geschäftsvorteil zu generieren. Dazu gehören auch unstrukturierte Daten wie Mails, Bilder, Videos oder Ton. Sie brauchen eine Lösung, die diese Daten analysieren kann.
Gesichtserkennungs-Software wird zum Beispiel von Polizei und Militär eingesetzt. Sentiment-Analysetools erkennen, was die Leute in einem Blog über mein Produkt schreiben. Funktioniert eine Maschine vielleicht nicht optimal? Kann die Bedienung verbessert werden?
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Die eine Seite ist eine flexible, skalierbare, performante IT, die andere Seite die Neugestaltung der Arbeitswelt.
Borgo: Die Mitarbeiter wollen heute von überall auf ihre Daten und Aplikationen zugreifen können, und favorisieren neue Office-Arbeitswelten. Letztendlich aber so, dass Sie einen Business-Nutzen daraus ziehen: eine höhere Effizienz und Produktivität, eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit.
Wir haben uns bei HPE zum Beispiel überlegt, wie wir Meeting-Räume effizienter nutzen können. Von 40 Konferenzräumen in diesem Gebäude sind geschätzt 39 gebucht. Laufen Sie aber durch das Gebäude, dann stehen viele leer, weil die Meetings verschoben wurden, eher zu Ende waren oder ausgefallen sind. Wir haben eine Beacon-Lösung gebaut, die Konferenzräume live überwacht. Sie können nicht mehr fest auf Tage im voraus buchen, sondern suchen sich per Smartphone den nächstgelegenen Meeting-Raum mit der passenden Ausstattung on-demand.
Betreten Sie den Raum, wird er auf gebucht gesetzt und beim Verlassen wieder freigegeben. Genauso können Sie Zonen für konzentriertes Arbeiten oder Diskussionsbereiche belegen. Statistiken besagen, dass im Durchschnitt bei HPE lediglich 50 Prozent der festen Arbeitsplätze auch besetzt sind. Das ist sicher nicht effizient. Durch flexibles On-Time-Buchen lässt sich die Raumausnutzung massiv verbessern. Dazu benötigen Sie Infrastruktur, Sicherheit und Analysetools – die Lösungskomponenten der Hewlett Packard Enterprise.
Noch eine Frage zum Split in HPE und HP Inc. Für grosse Unternehmen spricht das Argument der Cross-Selling-Opportunitäten. Ist es nach der Aufteilung in zwei unabhängige Unternehmen schwerer geworden, Cross-Selling wahrzunehmen?
Borgo: Wir haben bei HPE und HP Inc. ein gegenseitiges Partnerprogramm. Cross-Selling-Opportunitäten, die der Kunde auch wünscht, treffen Sie hauptsächlich im Outsourcing. Zum Beispiel betreiben wir Arbeitsplätze für Kunden komplett, inklusive Hardware. Software, Netz und Devices.
Wir haben aber über die Jahre immer wieder festgestellt, dass der Kunde diese Cross-Selling-Angebote gar nicht mehr so sehr wünscht. Der Trend BYOD etwa spielt Cross-Selling entgegen: Digital Natives bringen ihre Devices selbst mit. Grosskunden haben ausserdem unterschiedliche Ansprechpartner für ihre Enterprise Lösungen und für ihre Arbeitsplätze. Es ist schwer, dort Synergien zu finden.
Ich glaube, dass es in Zukunft nur noch ein einziges Device für Privatleben und Beruf geben wird. Sie docken ihr Smartphone an einen universellen Office-Arbeitsplatz mit Bildschirm und Tastatur an, und nutzen die Apps/Daten aus der Cloud. Mehr braucht es nicht mehr. Was gibt es da noch für Cross-Selling-Opportunitäten?



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