15.07.2016, 08:00 Uhr

Was «Pokémon Go» für das Business bedeutet

Das Handyspiel «Pokémon Go» bringt den Durchbruch für Augmented Reality. Finanziell lohnt das Game hauptsächlich für den Entwickler Niantic. Es könnte auch für Schweizer Firmen Vorbild sein.
Am «Game Technology Center» der ETH Zürich und dem Disney Research Zürich forschen Wissenschaftler seit gut einem Jahr an (Lehr-)Spielen der Zukunft. Wie schnell die Zukunft zur Gegenwart wird, zeigt der aktuelle Hype um das Handyspiel «Pokémon Go». Seit der Lancierung Anfang Juli eilt das Game von Rekord zu Rekord. Jüngst wies es bei der Nutzungsdauerso populäre Plattformen wie WhatsApp oder Instagram in die Schranken. Die Gamer in den USA verbringen täglich rund 43 Minuten mit der Pokémon-App, mit WhatsApp «nur» 30 und mit Instagram 23 Minuten.
Der jüngste Ableger der «Pokémon»-Reihe kombiniert clever die virtuelle mit der realen Welt. Die Smartphone-Spieler werden angehalten, sich zu bewegen und durch die Nachbarschaft zu laufen, um dort virtuelle Pokémons abzuwerfen oder in den Wettkampf zu schicken. Zum Spielen werden Handys mit Bewegungssensor, GPS und Videokamera sowie eine Datenverbindung benötigt. Die Schweiz, das Land mit der grössten Dichte an Apple- und Android-Geräten, sowie einer sehr gut ausgebauten Mobilfunkinfrastruktur, ist der perfekte Spielplatz für «Pokémon Go». 

Spielerisch Geld verdienen

Schweizer Handy-Besitzer sind ausserdem affin, auch am Smartphone Geld auszugeben. So verbuchte der Online-Lebensmittelhändler LeShop schon im vergangenen Jahr fast die Hälfte der Einkäufe vom mobilen Endgerät aus. Eine Umfrage der Marktforschungsfirma Ipsos (PDF) im Auftrag von PayPal ermittelte, dass 2015 schon jeder Dritte Schweizer mit dem Smartphone eingekauft hatte. Die App (49 Prozent) war dabei die beliebtere Plattform – verglichen mit der mobilen Webseite (19 Prozent).  Das Spielen von «Pokémon Go» ist gratis. Innerhalb der App können die Gamer jedoch virtuelle Gegenstände kaufen. Daran verdienen natürlich die Entwickler von Niantic, aber auch die Rechteinhaber The Pokémon Company und deren Teilhaber Nintendo. Schliesslich fliesst auch noch Geld an Apple – für alle Einkäufe innerhalb der iOS-App.  Über die Optionen, innerhalb der Welt von «Pokémon Go» virtuelle Anzeigen zu schalten, schwieg die Entwicklerfirma Niantic zunächst. Laut einem Bericht der «Financial Times» erwägt CEO John Hanke neu, «Sponsered Locations» einzuführen. An diesen (physischen) Orten sollen Detailhändler oder Unternehmen «Pokéstops» buchen können, an denen die Gamer besondere Pokémons oder andere virtuelle Objekte erhalten können. Im Spiel «Ingress» praktiziert Niantic diese Art der Promotion bereits.  Nächste Seite: Schweiz Wegbereiter bei Augmented Reality Chancen für Schweizer Spielentwickler und auch Wirtschaftsunternehmen bestehen aber dennoch. Denn «Pokémon Go» ist erst der Anfang. Das Spiel demonstriert eindrücklich, dass eine grosse Anzahl Smartphone-Besitzer bereit ist für die Augmented Reality, die virtuell «angereicherte» Realität.

Tourismus, ÖV, Navigation

Schweizer Unternehmen und Organisationen haben eine vergleichsweise lange Historie mit Augmented Reality. Vor fast sechs Jahren lancierte PostAuto Schweiz eine App, mit der sich Informationen zu über 280 Ausflugstipps und Sehenswürdigkeiten in das Sucherbild der Telefonkamera einblenden lassen. Der «FreizeitKlick» genannte Dienst ruft ortsbezogene Daten aus einer landesweiten Datenbank ab.
Ebenfalls im Bereich Tourismus und Service ist die App «Departures Switzerland» der Zürcher Taktil Software angesiedelt. Sie ist seit 2013 auf dem Markt und blendet die Abfahrzeiten der meisten ÖV-Linien der Schweiz in das Telefondisplay ein. Für die App wurde Taktil Software damals von Apple mit dem «Best of 2013 Award» ausgezeichnet. Eine vergleichbare App (Departures NYC) für die New-Yorker Busbetriebe MTA (Metropolitan Transportation Authority) wurde Anfang Jahr ebenfalls prämiert. Seit 2012 entwickelt das Start-up WayRay aus Lausanne Anwendungen für das vernetzte Auto. Das Produkt «Navion» ist ein Augmented-Reality-Navigationssystem. Ein Mini-Projektor für das Armaturenbrett wirft ein holografisches Bild auf die Windschutzscheibe, so dass die wirkliche Strasse mit einer virtuellen Strecke überlagert wird. In einer Kooperation mit dem IT-Dienstleister Orange Business Services kommerzialisiert WayRay das System seit Ende 2015 zunächst auf dem US-amerikanischen Markt. Orange Business Services zählt unter anderem Peugeot Citroën, Renault und Tesla zu seinen Kunden.

Technologie und Akzeptanz (Hype)

Die drei Schweizer Lösungen zeigen, dass Technologie für Augmented Reality ausreichend vorhanden ist. Ein universelles Werkzeug ist die App «Layar», auf der auch die PostAuto-Anwendung basiert. Unternehmen können für die App eine Ebene bereitstellen, in der eigene Informationen in das Kamerabild von Smartphone-Usern eingeblendet werden. Für den professionellen Bereich, etwa in der Logistik oder der Industrie, haben die grossen IT-Anbieter Produkte parat, etwa HoloLens (Microsoft), Magic Leap (Google), Metaio (Apple) oder Oculus VR (Facebook).
Nun sind die Schweizer Anwenderunternehmen gefragt, eigene Anwendungen zu kreieren. Die Anbieter hinter den Schweizer Apps, das «Game Technology Center» der ETH Zürich oder Disney Research Zürich haben sicher noch Ideen in der Hinterhand, die bis anhin an der Akzeptanz der Verbraucher scheiterten. Nun aber sind die User bereit für die virtuell angereicherte Realität, was der riesige Zuspruch zu «Pokémon Go» eindrücklich beweist. Wer schnell genug handelt und eine clevere App lanciert, kann von dem Hype um das Handy-Game profitieren – allenfalls auch finanziell. Die Aktie des Spielekonzerns Nintendo konnte innerhalb nur einer Woche um über 50 Prozent an Wert gewinnen.



Das könnte Sie auch interessieren