Trolle im Forum 18.06.2015, 16:13 Uhr

Wer haftet?

In Estland wurde ein Webseitenbetreiber zu Schadenszahlung verpflichtet, nachdem in seinem Forum ein beleidigender Kommentar geschrieben wurde. Wir haben einen IT-Anwalt gefragt, wie die Rechtslage in der Schweiz aussieht.
«Idioten wie dich kann man gar nicht erfinden» ist ein Satz, der in der Art oder ähnlich schon jedem aufgefallen ist, der sich durch Kommentarspalten von Webseiten oder Foren gelesen hat. Und das ist noch einer der harmloseren Ausdrücke, Anspielungen auf die nahe Verwandtschaft oder Probleme bei der Fortpflanzung sind beliebter. Weil solch banale, einfallslose und stupide Wortmeldungen jedes Lesevergnügen kaputt machen, prüfen viele Webseitenbetreiber in der Regel Kommentare vor der Veröffentlichung, um die sogenannten Trolle fernzuhalten. Sie tun das aber auch zum Eigenschutz: Wenn sich jemand wegen eines Leserkommentars angegriffen fühlt, haben die Betreiber ein Problem.

Wer ist haftbar in der Schweiz?

Eine Nachrichtenwebseite aus Estland wurde 2013 verpflichtet, 320 Euro Schadensersatz zu zahlen, weil sie Beleidigungen in ihrem Forum nicht gelöscht hatten. Dagegen klagten die Betreiber der Webseite, verloren aber vor dem Europischen Gerichtshof fr Menschenrechte (EGMR). Auch die Schweiz ist Mitglied des EMGR, seine Rechtsprechung gilt damit auch hier. Können deshalb auch einheimische Forenbetreiber für anonyme Kommentare auf ihren Webseiten haftbar gemacht werden? Computerworld hat bei Anwalt Martin Steiger nachgefragt: «Der EGMR hat nur über einen Einzelfall und in Bezug auf das Menschenrecht der Meinungsfreheit entschieden. Entscheidungen über die Haftung obliegen weiterhin nationalen Gerichten», sagt der IT-Rechtsexperte. «In der Schweiz gehe ich davon aus, dass Medien grundsätzlich für alle Inhalte, die auf ihren Websites veröffentlicht werden, verantwortlich sind. Leitentscheid ist ein Bundesgerichtsurteil gegen die ?Tribune de Genève? (TdG) vom 14. Januar 2013, wo es um ein Nutzer-Weblog auf der TdG-Website ging.» In besagtem Fall kam das Gericht zum Urteil: «Wer eine Blog-Plattform betreibt, muss im Falle eines von einem Dritten geposteten, persönlichkeitsverletzenden Blog-Beitrages damit rechnen, gerichtlich zur Beseitigung des fraglichen Beitrages sowie zur Tragung der Prozesskosten verpflichtet zu werden ? und zwar unabhängig davon, ob er vom Verletzten vorgängig zur Beseitigung aufgefordert worden war oder sonst wie von der Widerrechtlichkeit des Blog-Inhaltes wusste.»

Legislative in der Pflicht

Laut Martin Steiger versuchen sich Schweizer Medien dagegen mehrheitlich mit der vorgängigen Moderation von Kommentaren zu schützen. Hoster verwenden einen eigenen Code of Conduct zum Umgang mit solchen Angelegenheiten. Werden Medien dennoch verklagt, können «sie immerhin versuchen, sich auf ein überwiegendes öffentliches Interesse als Verteidigung zu berufen», sagt Steiger. Das Bundesgericht sagt aber auch, dass es nicht der Rechtsprechung, sondern dem Gesetzgeber obliege, «jene ?schlimmen Konsequenzen? zu beseitigen, welche die geltende Gesetzeslage im Online-Kontext zur Folge haben könnte.

Providerhaftung ja oder nein?

Dabei spricht das Gericht die «Providerhaftung» an, welche die EU und andere Staaten bereits eingeführt haben, die Schweiz aber nicht. Im Gegensatz zum Wortsinn würde die «Providerhaftung» (Hier ein Erklrungsstck dazu von Weblaw) zu weniger, nicht mehr, Haftung führen. Dieses Haftungsprivileg würde regeln, wie sich Internet-Service-Provider, Forenbetreiber und andere gegen Rechtsansprüche aus der widerrechtlicher Verwendung ihrer Infrastruktur durch Nutzer schützen können. Versuche von Parlamentariern, die Providerhaftung einzuführen, sind bisher gescheitert. Martin Steiger geht aber davon aus, dass sie früher oder später auch in der Schweiz kommen wird. In Teilen beispielsweise durch die Revision des Urheberrechts. Bis es soweit ist, wären Blogbetreiber, Forenhoster und Medienverlage aber gut beraten, sämtliche Kommentare, die abfällige Bemerkungen enthalten, zu löschen. Es könnte sonst teuer werden.



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