Swiss CRM 24.06.2010, 18:40 Uhr

Der Goldene Kick

Das Swiss CRM Forum feiert seinen 10-jährigen Geburtstag. Was ist wichtiger für die Kundenpflege: Soziale Netze wie Facebook und YouTube, oder der persönliche Kontakt?
CRM-Papst René Meier eröffnete das zehnte Swiss CRM-Forum im Hallenstadion Zürich. "Dieser Tag ist ein Tag der Inspiration", rief Meier begeistert ins Publikum und SF-Moderatorin Susanne Wille ergänzte: Wie beim Fussball brauche man auch beim Customer Relationship Management den richtigen Kick, dann laufe alles. Manchmal läuft in der Kundenpflege, wie beim Fussball, aber auch Vieles falsch. Worauf kommt es also an? Nils Hafner, Leiter des Customer Competencies Center in Zürich und Kreuzlingen, warnt davor, soziale Netze wie Facebook und YouTube zu ignorieren. Firmen werben heute alle nach dem gleichen Schema: Ich bin der Beste - kauf mich! Wir seien daher übersättigt mit Konsumbotschaften. Auch Super-Werbespots erreichen aus diesem Grund nicht mehr ihr Zielpublikum. Kunden würden sich heute viel stärker auf ihr digitales Netzwerk und auf persönliche Empfehlungen verlassen, betonte er. Die Kauf- und Entscheidungsprozesse fangen dabei weit vor der individuellen Website und dem Waschmittel-Regal beim Discounter an. "Beschäftigen Sie sich damit, wie ihre Kunden ihre Kaufentscheidungen fällen", rät der Marketing-Profi. Das werde immer wichtiger. Denn 2020 werden etwa ein Fünftel aller Geschäfte online erledigt (Gartner Trendstudie "CRM in 2020").

Image-Schaden bei United

Hafner erzählte die Story des kanadischen Country-Sängers Dave Carrol, der mit United Airlines zu seinem nächsten Konzert nach Nebraska flog. Caroll sass bereits im Flugzeug und beobachtete die Gepäck-Verlader, wie sie seine Gitarre recht unsanft auf den harten Betonboden fallen liessen. Das Instrument hatte offensichtlich schweren Schaden genommen. Seine Beschwerde bei den Stewardessen und danach bei der Airline wurde jedoch komplett ignoriert - Business as usual. Völlig verärgert über das Verhalten der Airline komponierte Caroll den Protest-Song "United breaks guitares" und stellt ihn auf YouTube. Etwa acht Millionen Internet-Surfer hörten sich den Song an. United Airlines selbst hatte, wie auch schon bei der Beschwerdeannahme, eine ziemlich lange Leitung und bekam erst drei Monate später Wind davon, aber da war das Kind bereits tief in den Brunnen gefallen. Die Fluglinie hatte YouTube schlichtweg nicht auf dem Radar.

Schweizer CRM-Trends 2010

Wie gehen Schweizer Unternehmen mit Kundenpflege um, worauf legen sie Wert? CRM werde in der Schweiz immer mehr zum Chefthema und ganz weit oben im Top-Management aufgehängt, sagt Brian Rüeger, Leiter des Zentrums für Marketing Management der ZHAW. Für seine aktuelle CRM-Trendstudie 2010 wertete Rüeger etwa 600 Antwortbögen aus. Das Gros der Schweizer Firmen (etwa 60 Prozent) blockiere jedoch nach wie vor Facebook für ihre Mitarbeiter, weil sie befürchten, dass darunter die Arbeitsproduktivität leide. Immerhin noch 30 Prozent blocken das Business-Netzwerk Xing. "Schweizer Unternehmen sehen zwar deutlich das Potenzial sozialer Netze, aber sie beobachten mehr, als selbst aktiv zu werden", hat Rüeger erkannt.

Persönlicher Kontakt & Wertschätzung

Die Gegenposition: Bei allen Prognosen und Netzwerken sei Emotionalität und der persönliche Kontakt immer noch der erfolgsentscheidende Parameter, betonte Frank Maier, Head of Marketing bei Swiss International Airlines in seiner Keynote. "Das Kontakt-Marketing wird immer schwächer, wir Markenvertreter sind dabei, die Chance zum direkten Kundenkontakt zu verlieren", warnte Maier. Etwa 65 Prozent des Umsatzes der Swiss steuerten Premium- und First-Class-Kunden bei, die 40 Mal und häufiger im Jahr verreisen. Diese Kundschaft wolle als Incentive keine Gutscheine oder Rabatte, sondern Wertschätzung. Persönliche Vorlieben, die sich an Bord im Gespräch mit der exklusiven Kundschaft ergeben, werden deshalb vom Personal notiert. Beim nächsten Flug findet der Kunde dann die präferierte NZZ und den Tomatensaft bereits an seinem Platz vor - eine Möglichkeit von vielen, Kunden persönliche Wertschätzung entgegen zu bringen. Peter Gloor, Forscher am MIT Center for Collective Intelligence, skizzierte in seiner Keynote neue Forschungsergebnisse der Trendforschung. Wie kommen Unternehmen zukünftigen Trends auf die Spur und richten ihre Produkt-Portfolien darauf aus. "Wir schauen, was kreative Menschen tun, was sie gut finden, und lesen an ihren Entscheidungen die Trends der Zukunft ab", erklärt Gloor seine Methodik.

Innovationsrezept: drei Essentials

Wie aber ticken die innovativen Überflieger, woran erkennt man sie? Innovationskraft und Genialität allein führen noch nicht zum Erfolg, machen noch keinen kreativen Menschan aus. Weitere Eigenschaften müssen hinzukommen. Wie bei Tim Berners-Lee, der als Erfinder des Internet gilt. Sein Konzept eines World Wide Web wurde von den Autoritäten zunächst abgeschmettert. Berners-Lee liess sich davon jedoch nicht entmutigen, sondern schaffte es, fünf seiner Postdoc-Kollegen von der Idee zu begeistern. Die kleine Gruppe intrinsisch motivierter Forscher infizierte weitere Kollegen, und bald hatte sich ein kollaboratives Netzwerk Begeisterter gebildet, das die Lawine ins Rollen brachte. "Alle innovativen Prozesse laufen typischerweise nach diesem Schema ab", betont Gloor. Ist ein bestimmter "Tipping Point" oder Wendepunkt erreicht, dann ist die Idee kaum mehr aufzuhalten. Das Ganze erinnert zwar verdächtig an den Bestseller des amerikanischen Erfolgsschriftstellers Malcom Gladwell (Tipping Point) aus dem Jahr 2000. Aber Gloor analysiert weiter: Berners-Lee war nicht nur innovativ, sondern gleichzeitig sehr gut vernetzt, sehr interaktiv und hat sein Wissen mit der Community geteilt. Das seien die Zutaten des Erfolges, von denen sich auch Marketing-Experten eine Scheibe abschneiden sollten.  

Innovator, Kommunikator und Marxist

"Don't be a star, be a galaxy", empfiehlt Gloor. Tim Berners-Lee und der Linux-Erfinder Linus Thorvald waren nicht nur grosse Erfinder, sondern auch geniale Kommunikatoren und - in gewisser Weise - Marxisten, die ihr Wissen mit anderen geteilt haben. Experte zu sein reicht nicht. Man müsse die Techniken von Wikipedia, Facebook und Twitter kombinieren, um grosse Ideen (und Marketing-Kampagnen) erfolgreich auf den Weg zu bringen, urteilt MIT-Forscher Gloor. Ein kleines Geheimnis bewahrt sich Gloor bis zum Schuss auf: Zwar sei letztlich die Begeisterung der Massen erfolgs- beziehungsweise kaufentscheidend. Im kollaborativen Freundes-Netzwerk aber schlägt Qualität schnell Quantität. Wer beispielsweise Barack Obama und Bill Gates kenne, der verfüge sicher über grössere Chancen und Einflussmöglichkeiten als jemand, der dieses Glück nicht habe.



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