24.08.2011, 15:21 Uhr

Streit über den Nutzen von eHealth

Das vernetzte Gesundheitswesen verspricht bessere Patientenbetreuung und tiefere Kosten durch mehr Effizienz. Doch die Vorteile von eHealth sind hierzulande umstritten.
Das Schweizer Gesundheitswesen tut sich offenbar weiter schwer mit dem Vernetzen der Computersysteme. Die «eHealth Strategie» des Bundes gibt zwar Ziele vor, der fehlende politische und wirtschaftliche Druck auf die Beteiligten droht die Vorgaben aber aufzuweichen. Widerstände regen sich bei zum Beispiel den Ärzten, der Industrie, der öffentlichen Hand. Am «Swiss eHealth Summit» in Bern stellten die verschiedenen Parteien ihre Vorbehalte dar. Den geringen Fortschritt bei der Einführung von eHealth hierzulande illustrierte etwa Marc Oertle, Leitender Arzt Medizin-Informatik bei der Thuner Gruppe Spital STS: Er verwendete eine Folie aus dem Jahr 2003, auf der Herausforderungen von eHealth skizziert waren. «Die Inhalte haben sich in den vergangenen acht Jahren nicht verändert, die Spitalgruppe hat aber mittlerweile schon zum zweiten Mal ein neues Logo», bemerkte Oertle. Eine Ursache für die Verzögerungen bei der eHealth-Einführung sieht der Mediziner in dem hohen Aufwand für die Ärzteschaft. «Die primäre Aufgabe eines Mediziners ist die Patientenbetreuung, nicht das Benutzen eines Computersystems», konstatierte er.

Patientenbetreuung mit iPad

Dass Patientenpflege und das Nutzen von Computertechnologie kein Widerspruch ist, weiss Helmut Greger. Er ist CIO der Berliner Charité und der Medizinische Fakultät der Universität Würzburg. Gemeinsam mit den Ärzten identifizierte Greger die Klinikinformationssysteme (KIS) als einen Grund für zu hohen administrativen Aufwand. Sie böten zu viele Funktionen und erforderten teils Daten, die für die medizinische Behandlung nicht erforderlich seien, führte der CIO aus. Dabei sei kein KIS besonders gut oder besonders schlecht – das Problem liege im System selbst. Die Programme seien konzipiert, um auf alle möglichen Fälle vorbereitet zu sein. Um den administrativen Aufwand für die Ärzteschaft zu reduzieren, hat Greger in Würzburg elektronische Diktiergeräte eingeführt. «Während der Visite sprechen die Mediziner ihre Befunde in ein Gerät, dass mit einem Call Center verbunden ist», führte Greger aus. Die Sprache sei ein gewohntes Instrument für die Ärzte, das Aufnehmen störe bei der Betreuung kaum. Die diktierten Informationen werden von geschultem Personal in das KIS eingetragen. Beim nächsten Besuch des Patienten kann der Arzt seine bisherigen Befunde aus dem KIS dann am iPad einsehen. Nächsten Seite: Ende der Pilote und neue Versuche  
Das interne medizinische «Call Center» kann laut CIO Greger ein Ansatz sein, um die Nutzung von eHealth voranzubringen. Hierzulande sieht IG-eHealth-Geschäftsführer Walter Stüdeli zumindest die Modellversuche in den Kantonen Genf und Basel-Stadt auf einem guten Weg. Mittlerweile hätten das Koordinierungsorgan Bund-Kantone «eHealth Suisse» auch eine Vorlage für ein kantonales eHealth-Gesetz erarbeitet, was den Start weiterer Projekte in anderen Kantone vereinfache. In Kürze werden den Verantwortlichen laut Stüdeli zusätzliche Hilfsmittel an die Hand gegeben: Noch in dieser Woche veröffentlicht «eHealth Suisse» ein Evaluationshandbuch, ab Herbst soll von offizieller Seite auch die Evaluation von Modellversuchen möglich sein.

Kantonsweiter Modellversuch

Zwei weitere Pilote stehen an, weiss Evtita-CEO Patrick Kutschera, denn die Swisscom-Tochter Evita ist an beiden Modellversuchen beteiligt. In Luzern plane ein Konsortium unter Einbezug des Kantonsspitals einen Test, bei dem die elektronische Patientenakte «Evita» verwendet werden soll. Die Rahmenbedingungen seien günstig, so der CEO, denn der Kanton habe die gesetzlichen Grundlagen für eHealth bereits geschaffen.
Noch weiter geht laut Kutschera das Wallis. Dort werde im Rahmen des Projekts «Infomed» eine kantonsweite eHealth-Lösung lanciert. «Die flächendeckende Implementierung ist eine Premiere für die Schweiz», sagte der Evita-CEO. Die Technologie von Swisscoms digitaler Krankenakte werde auch dort verwendet. Laut Projektplan sollen bis Mitte Dezember erste Pilot-Benutzer in den Modellversuch einbezogen werden, so dass nach dem Jahreswechsel der Test beginnen kann. Kutschera wünschte sich am «Swiss eHealth Summit» ein klareres Bekenntnis der übrigen Player im Gesundheitswesen zu Vernetzung. «Wer vom Nutzen von eHealth überzeugt ist, kann den Eintritt des Nutzens auch mit Anreizen beschleunigen», verklausulierte der Swisscom-Mann seine Forderung nach mehr Engagement der übrigen Träger sowie der Politik. Die Industrie leiste bereits ihren Teil. In Genf ist die Post einer der Projektträger, in Basel-Stadt IBM, in Luzern und dem Wallis die Swisscom. Unterstützt wurde Kutschera von seinem Kollegen Dieter Bernauer, Leiter der Swisscom-Beteiligungsgesellschaft. Bernauer ging aber noch einen Schritt weiter und forderte einen raschen Abschluss der Modellversuche. «Erst die Industrialisierung bringt eHealth wirklich voran», sagte der Manager. Wenn die Wirtschaft eine Aussicht habe, dass ein Pilot in den Normalbetrieb übergehe, könnten die Anbieter einen Return on Investment rechnen.



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