Peering 20.05.2015, 17:03 Uhr

Kampf um Datenströme

Cablecom und Swisscom haben zugegeben, Netzbetreibern unterschiedliche Verträge zur Datenübertragung im Internet anzubieten. Dieses Geschäftsgebaren darf angeprangert werden.
21.5.2015: Richtigstellung: Swisscom und Cablecom haben nicht, wie im Artikel behauptet, zugegeben, Daten zu drosseln. Sondern lediglich, dass sie Netzbetreibern unterschiedliche Konditionen anbieten. Wenn das Verhältnis der empfangen und gesendeten Daten in zu grossem Missverhältnis für Swisscom und Cablecom steht, verlangen die Telkos Geld. Computerworld ging einen Schritt weiter und behauptete - basierend auf dem beschriebenen Fall Init7 vs Swisscom - dass die Geschwindigkeit gedrosselt wird bzw. der Interkonnektionspunkt nicht ausgebaut wird (was aufs Gleiche rauskommt), wenn die Netzbetreiber diese Verträge nicht akzeptieren und weiter auf kostenloses Peering pochen. Sonntagabend, kurz nach acht: Die Kinder sind im Bett, die Küche ist aufgeräumt, die Nachrichten sind vorbei. In der Schweiz gibt es hunderttausende Paare und Alleinstehende, die jetzt gerne einen guten Film schauen würden, um sich vor der neuen Woche noch einmal richtig zu erholen. Doch das TV-Programm vermiest einem wie jeden Sonntagabend rasch die Laune. Schon wieder bleibt nur die Wahl zwischen Tatort und einem Rosamunde-Pilcher-Film. Glücklicher ist da, wer Netflix abonniert hat. Oder ein vergleichbares Video-on-Demand-Angebot. Tausende Filme und Serien zur freien Auswahl, nach Genre sortiert, Originalton inklusive. Herrliche Aussichten für die nächsten rund 120 Minuten. Spannender Film gewählt und los gehts. Doch während uns die packende Handlung in die Couch drückt, nimmt das Filmvergnügen ein jähes, ruckelndes Ende. Das Bild wird nur noch bruchstückhaft übertragen, die Synchronisation passt nicht mehr zu den Mundbewegungen der Schauspieler, die Spannung ist weg. Und Ärger macht sich breit. Doch während die herkömmlichen TV-Zuschauer genau wissen, wen sie für das schlechte Programm verantwortlich machen müssen – die TV-Anstalten – sieht es bei den Netflix-Zuschauern anders aus. Ist am suboptimalen Wochenendausklang nun der Internet-Provider schuld, der die benötigte Bandbreite nicht mehr aufbringen kann? Oder der Inhalte-Anbieter, der mit Serverproblemen zu kämpfen hat? Beide Fälle sind natürlich möglich, aber es gibt noch einen Dritten im Bunde, der die Frame-Rate des Netflix-Films auf Diashow-Geschwindigeit drosseln kann: Der Netzbetreiber. Und wenn er dafür verantwortlich ist, steckt immer Absicht dahinter. Cablecom und Swisscom bestätigten Drosselung Auch wenn der Endkunde offiziell nie etwas von dieser gewollten Störung erfährt: sie wird praktiziert. Dies bestätigten Cablecom und Swisscom in der NZZ am Sonntag zum ersten Mal. Und sorgen damit bei all denjenigen für Empörung, die sich für Netzneutralitt einsetzen. Netzneutralität heisst, dass alle Daten bei der Übertragung im Internet gleich behandelt werden müssen. Warum Cablecom und Swisscom das nicht wollen, ist offensichtlich: sie haben eigene TV-Angebote und hoffen, mit einer Verknappung der Bandbreiten bei Konkurrenzangeboten deren Kunden derart zu entnerven, dass sie diese gewinnen. Natürlich würden das die Telkos nie zugeben, sie haben im vergangenen Herbst sogar eine Art Kodex ausgearbeitet, der ihre eigene Netzneutralitt definiert. Gemäss diesem werden sie dem Konsumenten immer die Inhalte seiner Wahl senden, keine Dienste sperren und stets Informationen zu den Kapazitäten des Internetzugangs offenlegen. Doch das Bekenntnis zur Netzneutralität ist Augenwischerei. Einerseits gibt es Partnerschaften die dafür sorgen, dass die Endkunden die Dienste nutzen, welche den Telkos gefallen. Wer beispielsweise bestimmte Salt-Abos nutzt, kann Zattoo kostenlos und unlimitiert empfangen. Von den Salt-Kunden wird also sicher keiner den Zattoo-Konkurrenten Willmaa als TV-Dienst wählen, weil er dort für die durchs TV-schauen entstehende Datenübertragung extra zahlen müsste. Geschweige denn, den Dienst eines noch unbekannten Start-ups, das vielleicht ein wesentlich innovativeres Modell anbieten würde. Der Kodex ist in seiner Nützlichkeit aber auch anderweitig limitiert: Wenn die Telkos gewisse Dienste zwar nicht sperren, aber derart wenig Bandbreite für diese anbieten, dass sie ohnehin niemand nutzen möchte, ist das Papier etwa so viel wert wie eine Deutsche Mark im Jahr 1923. Immerhin, der dritte Punkt des Kodexes könnte hilfreich sein: Eine Schlichtungsstelle, bei der sich Konsumenten melden können, wenn sie der Meinung sind, ihre Internetzugangsanbieter verletzen die Verhaltensrichtlinien. Allerdings konnte die Schlichtungsstelle bis heute nicht in Betrieb genommen werden, weil die geeigneten Leute noch gesucht werden müssen. Peering: Das Nullsummen-Spiel der Grossen Doch das Bevorzugen der eigenen Dienste ist nur ein Beweggrund für die Internetprovider, Netzneutralität nicht ganz so ernst zu nehmen. Ein anderer: Mit dieser beabsichtigten Ignoranz kann man nicht nur den Endkunden, sondern auch den Inhalte-Anbietern den eigenen Willen aufzwingen. Will ein Swisscom-Kunde beispielsweise ein YouTube-Video schauen, zieht Swisscom die Daten dazu von den Google-Servern. Am effizientesten für alle Seiten wäre es logischerweise, wenn einige dieser Server bei Swisscom stehen würden. Nun könnte Swisscom aber sagen, sie wollen Geld von Google für das Hosting. Schliesslich braucht Google Swisscom, um an den Endkunden zu gelangen, aber umgekehrt ist das nicht der Fall. Trotzdem wird sich Swisscom hüten, einen solchen Vorschlag zu unterbreiten, weil das vermeintlich lukrative Geschäft ein riesiger Verlust wäre: Google würde als Reaktion einfach keine ihrer Inhalte mehr für Swisscom-Kunden anbieten. Und Swisscom in der Folge einen Grossteil ihrer Kunden verlieren. Um solche Patt-Situationen zu vermeiden, haben die grossen Firmen in der Regel Vereinbarungen untereinander getroffen, sogenannte Peering Agreements. Entweder stellen sie sich gegenseitig Server ins Rechenzentrum oder sie verbinden ihre Netzwerke (genannt: Peering oder Interkonnektion) und teilen sich die Kosten. Init7 gegen Swisscom Kleinere Anbieter aber ziehen bei diesem Titanen-Spiel den Kürzeren, wie eine Episode aus der jüngeren Vergangenheit der Schweizer Telekommunikationsgeschichte zeigt: Der TV-Streaming-Dienst Zattoo war seit 2007 Kunde von Init7 und bezog vom Winterthurer ISP seine Bandbreite. Wer als Swisscom-Kunde Zattoo schaute, holte die Daten darum aus dem Rechenzentrum von Init7. Gleichzeitig bezogen Init7-Kunden Daten von Servern, die von Swisscom gehostet wurden. Zwischen den beiden Providern bestand ein direktes Peering mit 2 x 10 Gbit/s, so dass eigentlich alle zufrieden waren. Allerdings gab es natürlich massiv mehr Swisscom-Kunden, die auf Zattoo zugreifen wollten als Init7-Kunden, die Dienste von Swisscom nutzten. Der Datentransfer war damit asymmetrisch zu Ungunsten der Swisscom. Das passte dem Ex-Monopolist irgendwann nicht mehr und sie verlangte von Init7 im Jahr 2011 Geld für das Peering, obwohl die TV-Streams letztlich von Swisscom-Kunden angefordert wurden. Init7 verweigerte die Zahlung und als Reaktion darauf drosselte Swisscom die Bandbreite für Zattoo. Wer in der Folge als Swisscom-Kunde Zattoo schauen wollte, musste sich auf schlechte Übertragungen gefasst machen. Für Zattoo war diese Situation existenzbedrohend, Swisscom hat derart viele Kunden, dass man ohne sie nicht überleben kann. Zattoo war deshalb gezwungen, zur Swisscom zu wechseln. (Das Beispiel zeigt übrigens auch, warum kleinere ISPs nicht gegen Netzneutralität sind: Sie haben zu wenig Marktmacht, um Inhalte-Anbietern ihren Willen aufzwingen zu können).  Doch Fredy Knzler, Chef von Init7, ist keiner, den solche Machtspiele beeindrucken. Er weigerte sich, Geld für das Peering zu zahlen und ging 2012 vor Gericht. Weil das Verfahren für Künzler zu lange dauerte beziehungsweise er die Forderung der Swisscom als existenzgefährdend für sein Unternehmen betrachtete, beantragte Künzler im März 2013 eine Zwischenverfügung beim Bundesamt für Kommunikation (Bakom). Nachdem er diese erhielt, rekurrierte die Swisscom vor dem Bundesverwaltungsgericht – und verlor. Bis das Hauptverfahren abgeschlossen ist, muss Swisscom das Peering wieder gratis anbieten. Unrealistische Vorstellungen Das ist aber eine Ausnahme. Swisscom gab in der «NZZ am Sonntag» an, dass man das eigene Netz nur kostenlos mit anderen verbindet, wenn das Daten-Austausch-Verhältnis 2:1 beträgt. Sonst werde gebremst: «Erfüllt ein Unternehmen die Voraussetzungen für entgeltfreies Peering nicht mehr, baut Swisscom die Verbindungen mit dem betroffenen Unternehmen grundsätzlich nicht mehr weiter aus», wird ein Sprecher zitiert. Bei Cablecom darf das Verhältnis maximal 3:1 betragen, ansonsten wird Eintritt ins Netzwerk verlangt: «Wenn die Daten am Interkonnektionspunkt aus dem Verhältnis laufen, steigen die Kosten bei einem Peering-Partner überproportional. Dies geht zulasten jener Kunden, die datenintensive Dienste nicht benutzen», sagte ein Sprecher der Zeitung. Die Aussage ist aber anzuzweifeln: Schlussendlich muss jeder Partner die gleiche Bandbreite zur Verfügung stellen. Also beispielsweise je einen 10-GB-Port für eine 10-GB-Verbindung. Ein Verhältnis von 1:2 oder 1:3 dürfte ohnehin für die meisten Kunden utopisch sein, doch ein Recht auf Drosselung der Netze gibt das den beiden Unternehmen nicht. Weil dem Kunden, der sowohl für das Cablecom-Abo wie auch Zattoo bezahlt hat, ist es völlig egal, welche Vereinbarungen die Unternehmen untereinander haben. Er will einfach am Sonntagabend Fernsehen schauen können. Ruckelfrei.



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