OpenJustitia 12.03.2013, 13:58 Uhr

Wie kommerziell darf Bundes-Software sein?

Dass der Kanton Bern mit OpenJustitia eine Open-Source-Lösung des Bundes einsetzt, wirft einige Fragen auf. Im Fokus: Wie weit darf sich der Bund in die Privatwirtschaft einmischen? Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht.
OpenJustitita oder die Lösung von Weblaw: Welche Gerichts-Software sollen die Kantone einsetzen?
In Bern wird momentan OpenJustitia eingeführt, berichtete Der Bund am Samstag. Darunter versteht man eine vom Bund entwickelte Gerichtssoftware zur Recherche der bundesgerichtlichen Rechtsprechung. Laut Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP) spart der Kanton Bern damit über 200 000 Franken Anschaffungskosten und jährlich wiederkehrende Lizenzkosten von 75 000 Franken. SP-Grossrätin Giovanna Battagliero unterstützt das Vorgehen des Regierungsrats:  «Das Open Source Entwicklungsmodell ist bestens geeignet, dass Behörden gemeinsam Software entwickeln und damit Informatikausgaben senken.» Auch EVP-Grossrat Marc Jost findet das Kompetenz-Sharing eine gute Sache: «Wenn öffentliche Stellen mehr zusammenarbeiten und ihre Informatikmittel koordiniert einsetzen würden, könnte viel Geld gespart werden. Ich befürworte deshalb die gemeinsame Entwicklung von Fachapplikationen von Behörden.» Deswegen planen die beiden einen überparteilichen Vorstoss, mit dem der Kanton Bern, beziehungsweise das Amt für Informatik und Organisation des Kantons Bern (KAIO) und die Bedag verstärkt mit anderen Parteien zusammenarbeiten sollen. Durch bessere Koordination und Kooperation sollen öffentliche Stellen auf allen föderalen Ebenen gemeinsam Softwarelösungen aufbauen und weiterentwickeln. Der Bund darf eigene Software entwickeln, solange er nicht in Konkurrenz zu Privaten tritt. Und als OpenJustitia entwickelt wurde, gab es noch keine vergleichbare Software auf dem Markt, hat unter anderem Swico gesagt. Der Wirtschaftsverband der Schweiz sagt auch, dass eine staatlich lizenzierte Software als Open-Source freigegeben werden darf, «womit alle Interessierten kostenlos von den mit Steuergeldern finanzierten Entwicklungsarbeiten profitieren können». 

Weblaw-Konkurrent

Trotz diesen Fürsprechern: mit OpenJustitia tritt der Bund in direkte Konkurrenz zu privaten Anbietern, wie der Firma Weblaw. Auch die Berner Software-Schmiede bietet Recherchetools zur Online-Publikation von Gerichtsurteilen an, hat aber wegen der Bundesgerichtlösung Schwierigkeiten, neue Kunden zu gewinnen. «Seit OpenJustitia auf dem Markt ist, lassen sich die Behörden Zeit mit der Einführung neuer Gerichtssoftware», sagt Weblaw-Chefin Sarah Montani gegenüber Computerworld. Oder sie entscheiden sich direkt für OpenJustitia, wie der Kanton Bern. Mit diesem arbeitet Weblaw seit einigen Jahren auf verschiedenen Gebieten zusammen und hat ihn dementsprechend auch als Interessent für die Recherche-Lösung gesehen. Doch nur einen Monat nach dem Erscheinen von OpenJustitia als Open Source entschied sich der Kanton Bern für die Software des Bundesgerichts. Klar, hadert Montani deshalb mit der staatlichen Konkurrenz: «Wir haben Schäden in millionenhöhe und mussten Arbeitsplätze abbauen», sagt sie. Und zweifelt dabei auch an, ob OpenJustitia wirklich eingesetzt werden darf. «Es ist nicht korrekt, dass es bei der Entwicklung keine vergleichbare Software auf dem Markt gab. Wir entwickeln seit vielen Jahren ähnliche Produkte.» Aus diesem Grund liess sie von der Anwaltskanzlei Waldyer Wyss ein Gutachten erstellen, welches zum Schluss kam «dass für das Handeln des Bundesgerichts eine eindeutige gesetzliche Grundlage fehlt». Anders sieht das Christian Cappis, Stabschef der bernischen Justizleitung, der die Implementierung von OpenJustitia im Kanton Bern mit verantwortet: «Wir wollten sicher sein, dass die Software zulässig ist. Die Wettbewerbskommission des Nationalrats hat gesagt, dass dem so ist. Und ausserdem befasst sich ja auch das Bundesgericht nicht erst seit gestern mit juristischen Dingen und weiss, was es tut.» Zwei Seiten, zwei Meinungen. Wer im Recht ist, soll ein vom Bundesrat in Auftrag gegebenes Gutachten entscheiden. Wann dieses fertig ist, ist nicht bekannt. Lesen Sie auf der nächsten Seite: spart der Kanton wirklich?

Wie viel kann gespart werden?

Es stellt sich nebst dem rechtlichen Aspekt aber auch die Frage, inwieweit die Behörden überhaupt Geld sparen. Denn sie sind verpflichtet, Steuermittel sparsam einzusetzen, was mit dem Einsatz von Open-Source-Software gegeben zu sein scheint. Die Lizenzgebühren können sie sich so sparen. Doch dafür kommen andere Kosten hinzu, sagt Sarah Montani. «Ausserdem ist auch beim Bund nicht alles gratis. Die Software muss ja gepflegt werden, das kostet Geld», sagt Montani. Sie steht deswegen die kolportierten Zahlen skeptisch gegenüber, auch weil nicht klar ist, wie der Kanton Bern OpenJustitia einsetzt. «Wir verfügen über keine Angaben, was genau von openjustita in Bern implementiert wird, eine Gegenüberstellung der Zahlen ist deshalb kaum möglich», sagt Montani. Antworten darauf liefert der Kanton. «Das Angebot ist das Gleiche, welches wir auch in einer Offerte von Weblaw hatten», sagt Christian Cappis. «Dafür zahlen wir 70 000 Franken». Regierungsrat Christoph Neuhaus, oberster Leiter des Projekts, präzisiert: «Bei den rund CHF 70'000 handelt es sich um die Kosten für die Integration. Es handelt sich dabei um einmalige Kosten. Weitere einmalige Kosten oder wiederkehrende Kosten fallen keine an.» Und darum habe man sich auch gegen Weblaw entschieden: «Als Alternative zu 'Open Jusititia' wurde in der Tat 'Weblaw' geprüft. Die Einführung von Weblaw hätte aber einmalige Kosten von über CHF 270'000 sowie jährlich wiederkehrende Kosten von über CHF 70'000 verursacht. Vor dem Hintergrund der finanziellen Situation des Kantons Bern hätte somit auch ein Verzicht in Erwägung gezogen werden müssen». Es scheint hier also «lediglich» ein Kommunikationsproblem vorzuliegen. Mehr Probleme macht die Implementierung von OpenJustitia. Eigentlich hätte das Projekt im Frühling 2012 abgeschlossen sein sollen, mittlerweile soll «die produktive Nutzung» für den kommenden Herbst geplant sein, schreibt «Der Bund». «Die Projektverzögerung hat sich einerseits ergeben aufgrund der beschränkten Personalressourcen bei der Informatik des Kantons Bern und weil die internen Test bis zum Produktivstarts länger dauern,» sagt Christian Cappis auf unsere Nachfrage. Ob die Verzögerung auch technische Ursachen hatte, konnte Cappis nicht mit Sicherheit sagen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Fazit

Fazit

OpenJustitia steht rechtlich auf unsicherem Boden und bringt vielleicht technische Schwierigkeiten bei der Implementierung mit sich. Ist die Kritik von Weblaw, es brauche diese Software nicht, also berechtigt? Nicht zwingend. Denn das Unternehmen versucht (verständlicherweise), die eigenen Interessen zu vertreten. So sagte uns Sarah Montani, dass ihre Lösung bereits existierte, als OpenJustitia kam, weil sie seit 2008 das Bundesstrafgericht beliefern. Gegenüber greenbyte.ch sagte allerdings Sabine Motta, Medienverantwortliche des Bundesgerichts, dass die Programmierarbeit an OpenJustitia bereits 2006 begann. «Die Bundesrichter als letzte Instanz müssten sich vollständig auf die Gerichtssoftware verlassen können, die ihnen frühere Entscheide sucht und anzeigt. Ein entsprechender Suchalgorythmus sei  damals in der Privatwirtschaft noch nicht entwickelt worden», schreibt «greenbyte». Wer im Recht ist, wird wohl das Gutachten des Bundesrats zeigen. OpenJustitia wird trotz eventuell teurerer Schnittstelle deutlich günstiger sein, die wegfallenden Anschaffungs- und Lizenzkosten sorgen dafür. Und das Bundesgericht hat bereits bewiesen, dass es sehr daran interessiert ist, Kosten weiterhin zu senken. Es hat eine offene Gemeinschaft gegründet, die aus Nutzern und Entwicklern besteht. Diese sollen laut Statuten die Kosten für die Informatik senken, weil auch Weiterentwicklungen als OpenSource Privaten und Öffentlichen zur Verfügung stehen werden. Dafür gab es letztes Jahr sogar eine Auszeichnung. Nebst Kantonen, die weniger zahlen müssen, profitieren unter Umständen auch IT-Zulieferer. Denn der Bund hat lediglich die Software entwickelt, die Wartung müssen/dürfen entweder die Kantone selber oder externe Dienstleister übernehmen. Für Weblaw gibt es trotzdem gute Neuigkeiten: Bestehende Kunden sind zufrieden mit dem Angebot und wollen treu bleiben. «Wir sind zufrieden mit der heutigen Informatiklösung, die wir für die Suche von Gerichtsentscheiden einsetzen, und haben zur Zeit keine Absichten, diese abzulösen,» sagt Rocco R. Maglio, Kommunikationsverantwortlicher des Bundesverwaltungsgerichts. Schlussendlich bleibt es also, sollte das Gutachten des Bundesrats pro OpenJustitia ausfallen, eine Bauchentscheidung der Kantone mit folgendem Fokus: «Will ich Geld sparen, oder will ich die Privatwirtschaft unterstützen?".



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