23.10.2013, 15:01 Uhr

Gläserne Verwaltung gestoppt

Der Bundesrat hat entschieden, dass amtliche Dokumente noch eine Weile nicht über eine zentralen Datenbank gesucht werden können. Dies ist eine Kehrtwende, die mit IT–Problemen und Mentalitätsunterschieden zu tun hat und eine halbe Million Franken kostet.
Die Zeit, in der nur die Verwaltung Übersicht und Zugriff auf ihre Dokumente hatte, sollte vorbei sein. Ein entsprechendes Pilotprojekt wurde aber vom Bundesrat gestoppt
Seit 2006 hat jeder, egal ob Ausländer oder Schweizer, egal ob in der Schweiz oder Timbuktu wohnend, das Recht, amtliche Dokumente der Bundesverwaltung einzusehen, sofern diese nicht durch spezielle Auflagen, beispielsweise sicherheitspolitische oder datenschutzrechtliche Bedenken, geschützt sind. So steht es im Bundesgesetz ber das ffentlichkeitsrecht (BG). Bisher machen aber sehr wenige Menschen davon Gebrauch, hauptsächlich sind es Journalisten und Lobbyisten. 2010 trafen beispielsweise lediglich 239 solcher Zugangsgesuche ein. Grund dafür ist der grosse Recherche-Aufwand, denn ausser den Beamten selber hat niemand wirklich einen Überblick über die Bürokratie in Bundesbern. Wer aber an das richtige Dokument kommen will muss wissen, wo er dieses anfordern muss.

Zentrale Datenbank in einigen Jahren

Der Bundesrat will das ändern und hat 2008 entschieden, ein zentrales Register für amtliche Dokumente zu schaffen. Diese sollte vom Schweizerischen Bundesarchiv (BAR) realisiert werden und heute soll nach Angaben des Departements eine funktionierende Pilot-Lösung bestehen. Der «Single Point of Orientation (SPO)» ist als eine Online-Datenbank konzipiert, die eine Übersicht über hunderttausende Verwaltungsdokumente ermöglicht. Das Verzeichnis enthält die Dokumententitel und weitere Metadaten (nicht aber die Dokumente selbst). Sie kann nach Stichworten durchsucht werden und listet die Treffer strukturiert ? beispielsweise nach Departementen ? auf. Hat jemand Interesse an einem Dokument, kann er dieses unter Berufung auf das Öffentlichkeitsgesetz direkt über die Webseite anfordern. Dieses System bewährt sich bereits in anderen Ländern, beispielsweise den USA (data.gov).  Klingt also eigentlich gut und dem Bundesrat war das Projekt derart wichtig, dass er dessen Einführung explizit in seinen Zielen für die Jahre 2011, 2012 und 2013 aufführte. Doch nun hat er entschieden, das Projekt zu stoppen und Ende 2017 zu evaluieren, ob es später eingeführt werden soll. Als Grund werden fehlende technische Voraussetzungen angegeben. Übersetzt bedeutet dies, dass die verschiedenen Ämter noch lange nicht so weit sind, Single Point of Orientation anzuwenden. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Schuld trägt Gever Der Grund für den Abbruch: SPO sollte eine Schnittstelle zu den elektronischen Geschäftsverwaltungssystemen (GEVER) der Bundesverwaltung besitzen. So hätten die Verwaltungen sehr einfach ihre Dokumentenverzeichnisse hochladen können. Bisher haben aber nur wenige Departemente GEVER umgesetzt, die Datenbank wäre damit nicht sonderlich gross. Bis Ende 2015 müssen aber alle Ämter ihre Geschäftsprozesse auf Computersysteme umgestellt haben.  «Während wir die Pilotlösung entwickelten, zeichnete sich ab, dass die Amtsstellen noch nicht so weit sind», sagt Manuela Höfler, Kommunikationsbeauftragte des BAR. Einige hätten noch nicht einmal mit der GEVER-Einführung begonnen. Dies sei der Grund für die Sistierung. «Das ist sicher für das Handhabung von BGÖ-Gesuchen nicht ideal, aber aus organisatorischer Sicht sinnvoll», sagt Höfler. Das BAR hatte für die Entwicklung des Piloten, der nach ihren Angaben im Testlauf gut funktionierte, bisher 500 000 Franken ausgegeben. Realisiert wurde es durch die Zürcher Software-Schmiede Inventage, beraten liess sich das BAR auch von itopia, die aber nicht automatisch den Zuschlag für das Nachfolgeprojekt erhalten. «Wenn wir das Produkt weiterentwickeln, werden wir es nach WTO-Regeln ausschreiben», fügt sie an. Da dies frühestens 2017 sein wird und sich die IT-Welt bis dahin ziemlich verändert haben wird, ist das aber eigentlich auch zwingend.
Kommentar
Es muss die Frage gestellt werden, ob die Sistierung von SPO wirklich nur an technischen Problemen liegt? Oder ob es nicht auch sein kann, dass es in der Bundesverwaltung Leute gibt, die nicht unbedingt Freude am BGÖ haben? Schliesslich war es bis 2006 noch so, dass grundsätzlich alle Dokumente der Verwaltung geheim waren, als Beamter war man als «Geheimnisträger» deklariert. Das fühlte sich gut an. Das BGÖ hat dies geändert, nun ist es genau umgekehrt. Werden nun die Dokumente beziehungsweise die Metadaten ohne grossen Aufwand abrufbar, könnte das einerseits mehr Aufwand für die Beamten bedeuten, weil mehr Gesuche eintreffen. Andererseits aber wäre dann die Zeit der Gläsernen Verwaltung definitiv gekommen. Es geht hier also auch um einen Mentalitätswandel. Für jüngere Leute ist der Switch sicher relativ einfach. Wer aber «aus einer anderen Zeit kommt», in der das Beamtentum noch glorifiziert wurde, wird sich damit schwerer tun. Es ist darum davon auszugehen, dass intern über die Gläserne Verwaltung mindestens so sehr eine politische wie eine technische Debatte geführt wird. Trotz bestehendem Gesetz. 



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