20.11.2015, 14:45 Uhr

«Geschäfte, die auf Know-How-Vorsprung basieren, sind im Internetzeitalter nicht nachhaltig»

Blindflug Studios gewinnt für ihr Atomkriegsspiel «First Strike» einen Preis nach dem anderen und hat nun ein Flüchtlingsspiel entwickelt. Geschäftsführer Moritz Zumbül spricht sehr transparent über die Gründe des Erfolgs und was andere daraus lernen können.
Das Unternehmen Blindflug Studios wurde 2014 in Zürich (u. a. von Moritz Zumbühl) gegründet und bringt politisch motivierte Spiele heraus. Das bisher bekannteste Produkt ist First Strike, das den Atomkrieg zum Thema macht und dafür unter anderem mit  dem Swiss ICT Award fr den besten Newcomer ausgezeichnet wurde.
Computerworld: Herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des Swiss ICT Awards als bester Newcomer. Sie gewinnen für das Atomkriegsspiel First Strike einen von rund 30 Preisen. Woher der Erfolg?
Moritz Zumbühl: Wohl, weil uns etwas gelungen ist, das nicht selbst­verständlich ist: Wir haben ein Spiel kreiert, das in den ersten 18 Monaten netto rund 350 000 Franken umgesetzt hat. Brutto blieb so viel übrig, dass wir ohne externe Investorengelder die Firma aufbauen konnten.
Sie hatten also keine Business-Angels, geschweige denn Venture Capitalists?
Nein. Wir haben 100 000 Franken selber investiert und nach dem Release von First Strike keine Investoren mehr gebraucht. Unser Case ist hübsch, aber atypisch: First Strike wird jeden Tag zwischen 100 und 200 Mal heruntergeladen. Der Longtail ist derart sub­stanziell, dass er schon bald so stark wie der Peak sein wird. Ohne arrogant wirken zu wollen: Wir haben in vielen Bereichen instinktiv das Richtige gemacht, in anderen Bereichen aufgrund unserer Erfahrung die korrekten Entscheidungen getroffen und auch schlichtweg Glück gehabt. 
Was haben Sie denn besser gemacht als andere?
Unsere Strategie war: «Release early, release often». Das macht man in der Schweiz eigentlich nicht, hier sichert man sich lieber ab. Wir haben ein unfertiges Produkt auf den Markt gebracht und das nicht einmal auf Deutsch. Dafür mussten wir uns einiges anhören, auch intern führte das zu vielen Diskussionen. Doch wir sagten, nach 1500 Entwicklerstunden veröffentlichen wir eine erste Version ausschliesslich fürs iPad und beobachten, wie sie am Markt ankommt. Nach nur acht Wochen kam dann bereits Version 1.1, in den letzten acht Monaten haben wir drei Versionen veröffentlicht.
War sonst noch etwas Unschweize­risches an Ihrer Strategie?
Wir haben uns getraut, propaganda­ähnliche PR zu machen. Beispielsweise haben wir eine falsche nordkoreanische Botschaft erfunden und behauptet, Kim Jong-un habe uns den Auftrag für das Spiel gegeben. Zudem ist bei uns alles transparent, man kann genau nachlesen, welche Ideen wie gut funktioniert haben und wie unsere Zahlen aussehen. Das hat ebenfalls zu Medienpräsenz geführt.
Keine Angst, dass bei all der Transparenz irgendjemand Ihre Strategie klaut?
Ich glaube nicht, dass im Internet­zeitalter Geschäfte, die auf Know-how-Vorsprung basieren, nachhaltig sind. Wir glauben, dass man versuchen muss, etwas Einzigartiges zu machen ? und dies soll man dann der Welt mit aller Lautstärke mitteilen. 
Marketing und ständige Weiterentwicklung kosten trotzdem Geld, da sind 350 000 Franken schnell weg. Wie können Sie sich das leisten?
Wir sind bei Blindflug lediglich vier Mitarbeiter, benötigte Ressourcen kaufen wir bei der Agentur Feinheit ein.
Deren Mitbegründer und VRP Sie sind.
Genau. Blindflug Studios agiert allerdings eigenständig, auch wenn es natürlich ein Spin-off ist. Würden wir bei Blindflug mehr Festangestellte beschäftigen, hätte es uns verblasen.
Trotz Preisen und medialer Beachtung?
Ja. Diese korrelieren leider nicht direkt mit den Verkäufen. Das Produkt befindet sich in der Wachstumsphase, über den Berg sind wir aber noch nicht.
Und trotzdem haben Sie mit dem Flüchtlingsspiel Cloud Chasers bereits das nächste Produkt lanciert. Warum investieren Sie die Gewinne gleich wieder und setzen sich damit einem Risiko aus?
Weil die Gaming-Industrie ein Hit-Geschäft ist wie beispielsweise die Filmbranche. Die grossen Franchises wie Call of Duty oder GTA kennt jeder, aber wer kennt die Studios dahinter? Das liegt daran, dass das geistige Eigentum der Spiele bei den Publishern liegt, die ihre Aufträge an einzelne Studios geben. Diese sind damit völlig von einzelnen Personen abhängig, was zu grossen Fluktuationen führt. 
Sie sprechen Publisher wie King oder Zynga an, die trotz Welterfolgen wie Farmville oder Candy Crash mittlerweile vor dem Ruin stehen, weil danach nichts mehr kam.
Ja. Wir wollen auch diese Erfolge haben, aber die Rechte an unserem geistigen Eigentum behalten. Deshalb gleich das nächste Spiel, wir wollen eine Art Katalog aufbauen. Zugegeben, das birgt ein grosses Risiko. Aber wir versuchen es.
CW: Diese Hauruck-Mentalität ist ebenfalls nicht wirklich schweizerisch.
Zumbühl: Wir orientieren uns schon auch an Nordamerika. Ich bin seit 2006 Internetunternehmer und immer wieder auf die Schnauze gefallen. Ich glaube, das ist ein Problem der einheimischen Gaming-Szene: Die Leute geben zu schnell auf. Klar, unsere Idee, politische Spiele zu machen, ist originell. Aber unsere bisherigen Pläne gingen nicht immer auf, da muss man einfach dranbleiben. Bis Timing, Glück und Können zusammenkommen.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: «Die Schweiz ist nicht genug»
Mit Themen wie Atomkrieg und Flüchtlinge behandeln Sie Probleme der globalisierten Welt. Ist die Welt auch Ihr Markt?
Ja. Die Schweiz hat viele Vorzüge, aber unternehmerisch könnten wir hier nicht überleben. Von unserem Umsatz haben wir knapp 25 000 Franken in der Schweiz erwirtschaftet. Der Grossteil kommt aus Nordamerika, aber auch Russland, Asien und Brasilien entwickeln sich vielversprechend. Wer in der ICT-Welt etwas erreichen will, muss meiner Meinung nach mindestens im gesamten deutschsprachigen Raum Erfolg haben. Die Schweiz alleine zählt nicht.
Zu Ihrer Philosophie gehört es auch, reine Premium-Modelle anzubieten, während viele auf Freemium schwören.
Das ist ein heikles Thema. Freemium braucht eine extreme Reichweite, die erhält man ohne Investoren nicht. Wir reden heute von CPI-Kosten (Cost per Install) von 5 bis 9 Franken pro Spieler oder mehr, das muss man erst mal reinholen, bei 2 bis 5 Prozent zahlenden Spielern. Als Indie war uns klar, dass wir diese Zeit zu Beginn nicht haben würden. Mit Premium dagegen dauert es nur 60 Tage ? so lange sitzen Apple und Google auf dem Geld ?, bis das Geld in der Kasse liegt.
Jetzt hätten Sie aber die Reichweite.
Stimmt. Deshalb überlegen wir uns auch, unser Geschäftsmodell anzupassen. Für Cloud Chasers erhielten wir in den ersten 7 Tagen so viel Berichterstattung wie mit First Strike in 18 Monaten. Trotzdem verkauften wir davon deutlich weniger. Wir werden deshalb ein anderes Geschäftsmodell finden müssen, doch das ist eine Knacknuss. Wir werden, wie stets, einfach mal ausprobieren und schauen, was geht.
Zumindest mit First Strike ging viel. Sie sind ein Erfolgsbeispiel für die Schweizer Gaming-Szene. Was machen Sie besser?
Es gibt durchaus auch andere Beispiele, wie Bitforge mit Orbital. Die haben allerdings nur ein Spiel entwickelt und sind seither als Agentur tätig. Um erfolgreich zu sein, braucht es Durchhaltewillen. Zudem muss man stets hungrig bleiben. Unser Ziel ist es nicht, ein erfolgreiches Projekt in der Schweiz zu sein, wir wollen eine international bekannte Spieleschmiede werden. Ich finde es super, dass viele andere Teams dies nun probieren. Ich bin sehr zuversichtlich für die Schweizer Gameszene. Einer von uns muss es einfach schaffen und den anderen den Weg ebnen. Sobald wir die ersten Trailblazzers haben wird es für alle anderen hoffentlich einfacher.
Ein anderer Erfolgsfaktor ist eine Differenzierungsstrategie. Ich sehe immer wieder Start-ups, die mit voller Überzeugung ein Produkt vorstellen. Wenn man dann fragt, was daran so speziell sei, kommen sie ins Stottern. Wer soll dann das Produkt kaufen?
Noch zu einem anderen Thema: Sie halten Schulungen zu Gamification. Ist diese in Schweizer Unternehmen angekommen?
Nein, die Firmen machen es viel zu halbherzig. Ich kenne kein einziges Best-Practice-Beispiel aus der Schweiz.
Woran liegt das?
Die Unternehmer trauen sich nicht, das Wort Spiel in den Mund zu nehmen. Obwohl vieles ein Spiel ist, z. B. an der Börse. Aber Spiel wird mit Zeitvertreib in Verbindung gesetzt. Wenige realisieren, dass Gaming Alltag ist. Für die Schweiz habe ich wenig Hoffnung, dass sich das bald ändert ? das passt nicht zu unserer Kultur.
Würde Gamification denn Mehrwert bringen?
Es könnte ein Killerfeature sein, etwas, das die Konkurrenz nicht bietet. Dafür muss Gamification aber in die Unternehmenskultur eingebaut werden, mit allem, was dazugehört: Überzeugung der Geschäftsleitung, Anpassung des Geschäftsmodells und Einbindung in die Kommunikation. Schon beim ersten Punkt scheitert es aber zumeist. Es braucht wohl zuerst Unternehmen, die damit ganze Branchen umkrempeln. Diese sehe ich aber derzeit nirgends, auch nicht international.



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