09.09.2015, 17:41 Uhr

Flüchtlinge sollen ICT-Fachkräftemangel abschwächen

Unzählige Flüchtlinge suchen dieses Jahr Zuflucht in Europa, die Behörden sind überfordert. In Deutschland ist daraus ein Projekt entstanden, das einerseits den Flüchtlingen helfen und andererseits den ICT-Fachkräftemangel beseitigen will.
Der Fachkräftemangel schwebt seit Jahren wie ein Damoklesschwert über der ICT-Branche. Jobs gäbe es genügend, qualifizierte Arbeiter fehlen aber (wobei es auch Branchenkenner gibt, die das ganz anders sehen). Die Schweiz als Hochpreisinsel hat es da noch vergleichsweise gut, ihre Unternehmen rekrutieren viele der bentigten Fachkrfte im Ausland. Idealerweise in den Nachbarländern, da fällt die Integration leichter. Daraufhin holen sich diese Länder ihre Fachkräfte an Orten, die noch weniger zahlen - es ist ein Kreislauf, der überhaupt keine Probleme löst, weil er nicht mehr Fachkräfte generiert. Exponenten wie «ICT Berufsbildung Schweiz» haben deshalb völlig Recht wenn sie sagen, dass nur ber Ausbildung das Problem langfristig gelöst werden kann. In Deutschland, genauer in Berlin, ist kürzlich ein Projekt gestartet, das die Fachkräfteinitiative auf eine brillante Weise beenden könnte. Refugees on Rails setzt zwar wie andere Organisationen auf die Ausbildung, ihr Zielpublikum sind aber nicht primär Lehrlinge und Studenten. Sondern Flüchtlinge. Tausende von ihnen kommen derzeit alleine täglich in Deutschland an, nach Europa dürften dieses Jahr mehre Millionen gelangen (oder hunderttausende, je nach Schätzung). Die Flüchtlinge kommen aus Ländern wie Syrien, Eritrea oder dem Irak, aus denen sie geflohen sind weil sie verfolgt oder bedroht wurden oder einfach, weil sie eine neue Zukunft aufbauen wollen.

Laptops und Programmierkurse

Weil die Flüchtlinge in der Regel sämtlichen materiellen Besitz an ihrem Heimatort zurücklassen, um die oft beschwerlichen Routen nach Mitteleuropa möglichst schadlos zu überstehen, fehlt ihnen für den Aufbau einer neuen Existenz vor allem eines: Arbeit. «Refugees on Rails» hatte nun die Idee, den arbeitssuchenden Flüchtlingen den ICT-Fachkräftemangel gegenüberzustellen. Die Projektverantwortlichen sammeln über Spenden ausrangierte Laptops, um Flüchtlingen das Programmieren beizubringen. «Wir konzentrieren uns in erster Linie auf Menschen, die bereits grundlegende EDV-Kenntnisse haben und diese vertiefen möchten. Dazu bieten wir einen Kurs zunächst in Berlin, in dem wir die Teilnehmer zu Programmierern ausbilden und sie in die Tech-Gemeinschaft in Berlin und Deutschland integrieren. Das Ziel ist es also, einerseits die kulturelle und wirtschaftliche Integration zu ermöglichen, andererseits den Tech-Unternehmen Zugang zu qualifiziertem Personal zu bieten», erklärt Ahmet Emre, Mitgründer von «Refugees on Rails», in einem Interview mit Technology Review. Als erstes soll den Flüchtlingen das Web-Application-Framework Ruby on Rails beigebracht werden, weil die Projektverantwortlichen sich damit auskennen und sich raschen Zugang zu Entwicklern versprechen. Später sollen andere Programmiersprachen dazukommen. «Programmier-Kenntnisse zu haben, ist wie eine Superkraft. Damit lässt sich in der heutigen Welt mit nur einem Laptop und einem Internet-Anschluss sehr viel erreichen. Denken Sie dabei an Minecraft oder an Tumblr», sagt Emre im Interview weiter. Es sei sogar vorstellbar, dass der nächste Steve Jobs gerade irgendwo in einem Camp sitze. Doch den Projektverantwortlichen geht es nicht primär darum, eine neue Elite zu finden. Sondern den Flüchtlingen eine Zukunft zu bieten. Man arbeite auch daran, das Programm auf andere Länder auszuweiten, sagt Emre. Zur Schweiz bestehe allerdings noch kein Kontakt, wie Co-Gründerin Kjær Riechert an inside-it.ch schreibt. 

Wer kann und will, darf

Das Ziel von «Refugees on Rails» ist gemäss Ahmet Emre ein weltweites Netzwerk aus Mentoren und Lehrern, an dem sich jeder beteiligen kann, der die benötigten IT-Kenntnisse hat und die Fähigkeit Menschen zu inspirieren und zu organisieren. Zu Beginn will man sich auf erwachsene Flüchtlinge, die Englisch können und bereits einmal einen Computer benutzt haben, konzentrieren. Die Teilnehmer des ersten Coding-Kurses habe man mittlerweile zusammen, durch Spenden besitze man auch bereits 34 Laptops. 60 weitere würden jedoch noch benötigt. «Man muss erstmal klein und fokussiert anfangen», sagt Emre. Im Wissen, dass die Möglichkeiten seines Projekts gigantisch sind. 



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