Die Verkaufstricks der Schweizer Software-Anbieter 19.08.2016, 08:00 Uhr

Was machen sie richtig, was falsch?

Mit Swissness, Kundennähe und intimer Marktkenntnis punkten Schweizer Business-Software-Anbieter gegenüber den grossen Konkurrenten. CW sprach mit Abacus, Opacc, Microsoft, Dynasoft, Sage, SAP, MyFactory, Marktexperten und Analysten.
###BILD_56976_left###Schweizer Software-Anbieter trumpfen mit Swissness, Kundennähe und intimen Marktkenntnissen. Internationale  Hersteller – fast alle mit Niederlassung und Partnernetzwerk in  der Schweiz – haben die grösseren Forschungsbudgets und ein  reichhaltigeres Portfolio. Wer zieht im Gespräch mit Kunden die  besseren Trümpfe aus dem Ärmel, und was wollen Schweizer Anwender überhaupt? Wie überzeugt man die Firmen, die eigene Lösung zu bevorzugen und nicht die der Konkurrenz?  Computerworld lässt die lokalen Kleinen gegen die internationalen Grossen antreten. Wir haben unter anderem mit Abacus,  Opacc, Sage, SAP, Microsoft, Dynasoft, MyFactory, Analysten und Marktexperten gesprochen. Das sind die Ergebnisse. Zunächst einmal die gute Nachricht: Schweizer KMU sind –  mehrheitlich – glücklich und zufrieden mit ihrer BusinessSoftware. Von 594 Teilnehmern der Business-Software-Studie 2016 der FHNW antworteten über 90 Prozent mit «sehr  zufrieden» oder «eher zufrieden». Bei  Grossunternehmen hakt es, wegen der komplexeren Installationen, öfter als bei den Kleinen: 20 Prozent waren «eher nicht zufrieden». In diesem Marktsegment finden sich auch  die meisten Wechselkunden. Viele fahren sowieso eine Multi-Vendor-Strategie und schichten Budgets einfach um.

Gross und lokal – geht das?

###BILD_56977_left###Sage, SAP, Microsoft und Abacus erreichen die grössten  Marktanteile im Schweizer Business-Software-Markt – irgendetwas müssen sie also richtig machen. Thomas Köberl von Abacus zieht den Swissness-Trumpf: Bei gesetzlichen Anpassungen könnten sich Kunden darauf verlassen, innert nützlicher Frist die darauf abgestimmte Software-Version von  Abacus zu bekommen. Ein aktuelles Beispiel sei die anstehende Harmonisierung des Schweizer Zahlungsverkehrs, die sich auf die Finanz- und Lohn-Software, aber auch auf die Module Auftragsbearbeitung und Fakturierung auswirke. Bei der  Lohn-Software gebe es immer wieder Anpassungen, wie  jüngst die Harmonisierung der Quellensteuertarife.

Abacus: E-Bilanz ab 2017

Mit der sogenannten E-Bilanz (Bonitätsprüfung) wird ab 2017 die Lücke  zwischen KMU, Treuhändern und Kunden geschlossen. Dafür  braucht es versierte Partner, die mit allen Einzelheiten vertraut  sind. Denn die Software soll beim Kunden ohne Unterbruch  und Ausfallzeiten arbeiten. «Sollte es doch einmal zu Schwierigkeiten kommen, dann hat der Kunde bei Abacus die Möglichkeit, direkt mit der Geschäftsleitung zu sprechen. Bei SAP  oder Microsoft dürfte das eher schwierig sein», sagt Köberl. «Kleine und regionale Anbieter gleichen Mängel durch  Kundennähe, Kundenorientierung und eine hohe Flexibilität  aus», betont Eric Scherer vom Beratungs- und Implementierungshaus intelligent systems solutions (i2s) in Zürich. Denn: Mit zunehmender Anbietergrösse wachse auch die Bürokratie. Nächste Seite: Swissness spielt grosse Rolle

Innovationszyklus oder Ärgernis?

Bürokratie - dieser Fluch des Erfolgs ist fast unvermeidbar. All die flexiblen Technologien, die Grossanbieter früher anbieten als die  Kleinen, würden dann durch unflexible und nervige Abläufe  konterkariert, glaubt Scherer. Ausserdem gehe das Technologiefeuerwerk, das die Grossen veranstalten, um mehr Umsatz  zu machen, mehrheitlich an den Bedürfnissen der Anwender vorbei. Die drückt an ganz anderen Stellen der Schuh. Für  Bestandskunden ist laut Scherer der Zwang zum ReleaseWechsel, der gerne als Innovationszyklus verkauft wird, eher  ein Ärgernis, weil er Mehrkosten nach sich zieht. ###BILD_22503_left###Einer der kleineren Grossen ist das britische Software-Haus Sage. «Swissness spielt für uns eine grosse Rolle», sagte uns  Marc Ziegler, der neue Country Manager von Sage Schweiz.  «Wir zählen uns zwar zu den Grossen, haben aber im Gegensatz zu anderen internationalen Software-Häusern einen starken Schweizer Bezug.» Sage beschäftigt am Standort Root  60 Programmierer, welche die lokalen Produkte Sage Start für  Kleinstunternehmen, Sage 50 Extra und Sage 200 für Schweizer KMU weiterentwickeln. Die Urversion der ERP-Lösung Sage 200 wurde komplett in der Schweiz entwickelt. Ziegler sieht daher die Stärke seiner Niederlassung in der schlagkräftigen Kombination aus lokaler Marktkenntnis und internationaler Innovationskraft: «Wir bieten Schweizer Software-Produkte und Services mit der Erfahrung und den Ressourcen eines weltweit tätigen Konzerns. Das hat keiner der anderen.» Lesen Sie auf der nächsten Seite: Schweizer Erfolgsrezept

Schweizer Erfolgsrezept

Die Kundennähe sowie Agilität der Kleinen und die Innovationskraft der Grossen: Das scheint das Erfolgsrezept für  Schweizer Business-Software zu sein. Keine der beiden Komponenten darf fehlen. Swissness heisst, dass die Kulturen von  Anbieter und Kunde zusammenpassen. «Der Anbieter muss  das Geschäft verstehen, den Stallgeruch haben und eine ähnliche Organisationsstruktur aufweisen wie seine Kunden»,  betont Frank Hannich, Leiter der Fachstelle Strategic CRM  bei der ZHAW School of Management and Law. Nur dann  passen beide zusammen und der Kunde fühlt sich gut betreut. Grossanbieter versuchen, das Manko der überbordenden  Bürokratie mit Schweizer Partnern auszugleichen, die wissen, wie die Kunden ticken. Partnernetze sind ein Erfolgsfaktor besonders für die grossen, internationalen Anbieter  wie SAP, Microsoft oder Salesforce. Mit ihnen steht oder fällt  der Geschäftserfolg.
Die Schweiz sei ein heterogener Markt, sagt Andreas Stuker, Ex-COO und seit Juni Leiter Global Strategic Services Partners bei  SAP. Die Best-of-Breed-Welle flaue ab, meint er. «Wir spüren  eine Bewegung, CRM und ERP wieder vom gleichen Anbieter  zu beziehen.» Einer der Gründe: Mit zunehmender Tiefe werde  etwa die Integration von SAP ERP mit Salesforce CRM oder  Microsoft CRM – unter Schweizer Kunden beliebt – immer aufwendiger. KMU bevorzugen daher Beratung, Lizenz und Betrieb aus einer Hand. Wer einmal den Fuss in der Tür des Kunden hat, profitiert langfristig. Bei kleineren Firmen punkten ausserdem Schweizer Anbieter. «Im unteren KMU-Segment spüren  wir die Konkurrenz von Herstellern wie Abacus und Opacc»,  gibt Stuker zu. Bei Grossunternehmen mit komplexen, länderübergreifenden Installationen hat wieder SAP die Nase vorn.

Innovative Kleine

###BILD_56975_left###Dass Grossanbieter innovativer sind als Schweizer Software-Häuser, würden Urs Amrein und Christian Reiter von Opacc  sicher vehement bestreiten. Besonders stolz sind die beiden auf die Architekturkomponente OpaccOxas, eine einheitliche Funktions- und Datenbasis, über die sich auch Fremdlösungen integrieren lassen. «In OpaccOxas steckt die ganze BusinessLogik: zum Beispiel das DMS, die ERP-Kernprozesse, die CRM-Kundendaten, die Anbindung an Groupware und die  Integration von Drittservices», erklärt Entwicklungschef Reiter. «Alle unsere Anwendungen setzen darauf auf.» Das bringt für den Kunden unbestreitbare Vorteile. Ist etwa die Preislogik  einmal parametrisiert, funktioniert das Preismodell im Webshop, ERP, CRM, auf dem Desktop oder mobil. Ausserdem gibt  Opacc eine kostenlose, unbegrenzte Update-Garantie. «Das  ist ein wichtiger Vorteil gegenüber der Konkurrenz», betont  Reiter. Einfach ist das nicht, denn «wir müssen heute schon antizipieren, was die Zukunft bringt, um in zehn Jahren immer  noch Update-fähig zu sein».
Die Strategie scheint aufzugehen,  denn in der Studie «Anwender-Zufriedenheit ERP/Business  Software» der Zürcher i2s hat sich OpaccOne weit oben platziert. Mit den Systemen der Grossanbieter wie SAP ERP, Microsoft AX und Microsoft NAV sind die Kunden dagegen «eher  unzufrieden». ###BILD_56990_fullwidth### Auch Abacus, der grosse Konkurrent aus St. Gallen, schneidet im Zufriedenheitstest von i2s  schlechter ab. Reiters Erklärung: «Abacus besteht aus mehreren eingekauften Einzellösungen, das merkt man dem Produkt heute immer noch an.» (##{"type":"__invalid__InterRed::Userlink","linktype":"e","linkoffset":0,"ziel_ba_name":"","bid":0,"cid":0,"extern":"http:\/\/www.computerworld.ch\/news\/software\/artikel\/opacc-schweizer-kunden-geniessen-eine-kostenlose-unbegrenzte-update-garantie-das-unterscheidet-u\/","fragment":"","t3uid":0,"page":0,"text":"vgl. Interview: S\u00abchweizer Kunden geniessen eine kostenlose, unbegrenzte Update-Garantie\u00bb","target":"_top","alias":"","_match":"","_custom_params":[]}#!) Nächste Seite: die Tricks von Microsoft und SAP

Integration mangelhaft

So wahnsinnig weither scheint es mit der Innovationskraft  von Grossanbietern wie SAP und Microsoft auch nicht zu sein. Seit Jahren wünschen sich zum Beispiel Kunden auf  dem Swiss CRM Forum, das alljährlich in Zürich stattfindet,  eine tiefere Integration ihrer ERP- und CRM-Systeme. Viel getan hat sich bislang nicht.
«Seit vielen Jahren konzentrieren sich Anbieter wie Microsoft auf das simple CRM-Geschäft  und kümmern sich sehr wenig um die Integration», kritisiert Scherer vom Beratungshaus i2s. So seien Microsoft AX+CRM  und Microsoft NAV+CRM bis heute zwei verschiedene Systeme, sogar die Schnittstellen seien eher schwach aus geprägt.  «Die ins ERP integrierten CRM-Funktionen bei Microsoft und bei SAP wurden seit vielen Jahren sträflich vernachlässigt  und nicht weiterentwickelt, da die Anbieter ja nebenher noch ihr CRM-System verkaufen wollten», erklärt Scherer.
Das CRM sei aber eben ein zweites System, mit eigener Datenbasis, eigener Hardware und teilweise sogar eigener  Rechteverwaltung. Gelungene Integration und unterbruchsfreie Geschäftsprozesse sehen anders aus. Das mache es den  Kunden unnötig schwer und habe dazu geführt, dass gerade  kleinere Partnerlösungen sehr erfolgreich seien. Scherer nennt als Beispiele das CRM von ITML, das zu hundert Prozent ins SAP-ERP integriert sei, oder die CRM-Branchenlösung Leego-Builder für den Maschinen- und Anlagenbau.  Scherer unterstreicht sein Argument mit einer Anekdote:  «Der Global Head of CRM von Microsoft hat mir vor einigen  Jahren gesagt: Unser bester singulärer Kundenmarkt sind  SAP-Anwender. Das gilt aus meiner Sicht immer noch.» Lesen Sie auf der nächsten Seite: Kundenwünsche ernst nehmen

Kundenwünsche ernst nehmen

###BILD_56974_left###Kundennähe heisst eben auch, Wünsche ernst nehmen und  die Integration zwischen Teillösungen vorantreiben. Das wird von den kleineren Anbietern wie Opacc offensichtlich ernsthafter betrieben als von den grossen. Opacc ist übrigens nicht ganz allein mit seiner Integrationsstrategie. Der kleine Schweizer Software-Anbieter Dynasoft aus Solothurn verfolgt mit seinem ERP Tosca einen ganz ähnlichen Ansatz. «Tosca-Kunden  können ihre Daten für alle Geschäftszwecke, warenbezogene  oder administrationsbezogene Prozesse, zur Rechnungserstellung oder für Multichannel-Aktivitäten, aus einer Datenbank  beziehen», erklärte uns Knut Mertens, Vertriebsleiter bei Dynasoft. «Unsere Kunden schätzen, dass Tosca in sehr hohem  Masse individualisierbar ist, ohne die hundertprozentige Release-Fähigkeit zu verlieren.» Auch Mertens sieht die Stärke  kleiner Anbieter in der «deutlich höheren Flexibilität bei der  Umsetzung individueller Kundenwünsche» und in kurzen  Entscheidungswegen. Dynasoft hat in der Schweiz 80 und in Deutschland 40 Installationen realisiert. Der Cloud-Pionier und CRM-Anbieter Salesforce setzt ebenfalls auf Integration, muss sich allerdings auch nicht mit einer komplexen ERP-Lösung herumschlagen. Ein ERP fehlt  im Lösungsportfolio. «Auf unserer Customer-Success-Plattform vereinen wir Cloud-Lösungen für den Vertrieb, den Service, das Marketing, die Community, Analysen, Apps, Commerce und IoT als gesamtheitliche durchgängige Lösung», fasst Frank Engelhardt, VP Enterprise Strategy bei Salesforce, zusammen.

Salesforce kommt gut an

«Herkömmliche IT-Lösungen für Aufgaben wie ERP, CRM oder Marketing bilden Silos und verstellen dadurch den ganzheitlichen Blick auf den Kunden über alle  Kontaktpunkte und Kanäle hinweg», betont Engelhardt. Damit generalisiert er allerdings stark, denn es gibt wie erwähnt  löbliche Ausnahmen. Gartner hat Salesforce 2015 nach Umsatz und Marktanteil zum CRM-Weltmarktführer gekürt. Auch in der Schweiz kommen die Amerikaner mittlerweile  gut an. Zu den hiesigen Kunden gehören Firmen wie ABB,  FinanceFox, HPE/HP, Hublot, IATA, Roche oder Zenith. Nächste Seite: Microsofts Zukunftspläne

CRM verschmilzt mit IoT

Natürlich sind in Sachen Integration nicht alle kleinen Anbieter gut und nicht alle grossen schlecht. Microsoft etwa hat sein Integrationsdefizit erkannt und präsentierte auf seiner Worldwide Partner Conference (WPC) in Toronto Dynamics 365 aus  der Cloud, das ERP- und CRM-Services zu einem System fusioniert. Microsoft-Chef Satya Nadella demonstrierte am Beispiel des Wasser- und Energielieferanten Ecolab, wie Kunden  mit Dynamics 365, Cortana Intelligence und Azure Insights ihr Geschäft automatisieren und verschlanken können.

Nadellas digitale Feedback-Schleife

###BILD_51919_left###Nadellas Anwendungs-Case: Der Energielieferant City Power, ein Kunde von Ecolab, hat technische Probleme mit einem seiner Kühltürme. Über Sensoren und Analysealgorithmen kreist Cortana/Azure das Problem ein, macht mithilfe von Dynamics 365  einen Service-Techniker mit passendem Know-how ausfindig,  der sich zurzeit in der Nähe des Kunden aufhält und verschickt  auch gleich das Service-Ticket – alles voll automatisiert. Der Techniker gibt Feedback, nachdem er den Auftrag erledigt  hat. Nadella nannte das auf der WPC eine digitale Feedback-Schleife (Digital Feedback Loop). Das Automatisierungspotenzial ist selbstredend hoch. Den Konferenzbericht lesen Sie hier. Das neue Dynamics 365  soll übrigens im Herbst auf den Markt kommen.
Nicht nur ERP und CRM, sondern auch ERP und das Internet der Dinge (IoT) werden immer stärker miteinander verschmelzen. Das verändert auch die Business-Software. Laut  Frank Hannich von der ZHAW finden Automatisierung und  Self Services immer stärkere Verbreitung. Dazu gehören einfach zu installierende Plug&Play-Funktionalitäten. Software soll Spass machen, auch im anspruchsvollen Business-Software-Markt. Die ganze Kultur habe sich verändert, es herrsche eine Machermentalität, sagt Hannich und zitiert ein  Geschäftsleitungsmitglied eines Schweizer Unternehmens,  mit dem er kürzlich gesprochen hat: «Früher haben wir ewig  diskutiert, heute probieren wir es einfach aus.»



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