09.12.2014, 15:00 Uhr

Die Schweiz bleibt vorerst am ICT-Honigtopf der EU

Die Schweiz hat ein Abkommen mit Brüssel unterzeichnet, das für die Zukunft der ICT von grosser Wichtigkeit ist.
Als die Masseneinwanderungsinitiative am 9. Februar 2014 angenommen wurde, sistierte die EU das Abkommen mit der Schweiz am 8. Forschungsrahmenprogramm, genannt Horizon2020. Horizon2020 ist ein EU-Förderprogramm für Forschung und Innovation, in welches jedes der 42-Mitglieds- und assoziierten Staaten einen Beitrag einzahlt. Der Fördergeldtopf ist mittlerweile auf astronomische 96 Milliarden Franken angewachsen. Die Schweiz hat gemäss einer Entscheidung des Parlaments für ihre Beteiligung an Horizon 2020 für den Zeitraum 2014-2020 ein Budget von 4,4 Milliarden Franken. Dieses wird einerseits direkt nach Brüssel überwiesen, andererseits werden die Mittel für die Direktfinanzierung von Forschenden aus der Schweiz bei Projekten verwendet, bei denen Schweiz den Status als Drittstaat hat und somit kein Geld einzahlen muss, aber auch keins erhält. Wer aus dem EU-Topf wie viel Geld erhält, wird in Brüssel entschieden.
Bis zum 9. Februar profitierte die Schweiz massiv von solchen Förderprogrammen. Im 6. Forschungsrahmenprogramm in der letzten Dekade konnte die Schweiz einen Nettorückfluss von 19,2 Millionen Franken verzeichnen. Eine erste Zwischenbilanz des 7. Programms, das 2013 endete, weist für die Schweiz einen Rckflusskoeffizienten von 1,52 aus. Was bedeutet, dass sich die Schweizer Forschenden ungefähr eineinhalbmal mehr Fördermittel sichern konnten, als im Verhältnis zu anderen Ländern eingezahlt wurden. Zwar sind definitive Zahlen erst in rund drei Jahren verfügbar und der Koeffizient dürfte noch etwas sinken, klar ist aber: die Schweiz profitiert mehr von der EU als umgekehrt. Besonders der ICT-Sektor. Und der Topf von Horizon2020 wird noch einmal deutlich grösser als der der Vorgänger.

10 Milliarden Franken für die ICT

Für die 7. Forschungsrunde wurden gesamthaft über 10 Milliarden Franken in die Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) investiert. Unter anderem ins Human Brain Project, dessen Führung die Schweiz innehat. 295,7 Millionen Franken gingen aus der EU an Schweizer Forscher, die an europäischen ICT-Projekten beteiligt waren. Dazu kamen 435,9 Millionen Franken für den sogenannten «European Research Council», für den einzelne Forschende Gelder beantragen konnten. Zahlen für die Jahre 2012 bis 2016 gibt es noch keine, allerdings sagt Martin Kern, Wissenschaftlicher Berater vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), dass diese in einer ähnlichen Grössenordnung wie in den Vorjahren zu erwarten sein dürften.
Weil aber die Masseneinwanderungsinitiative angenommen wurde, könnte dieser Honigtopf kleiner werden. Bereits wurden verschiedentlich Schweizer Forscher von Projekten abgezogen, nachdem die EU der Schweiz den Status als sogenannter assoziierter Staat, den sie seit 2004 innehatte, entzog. «Es gibt möglicherweise Projekte, die nun keine Schweizer Forscher mehr aufnehmen», sagt Martin Kern. «Sie haben Angst, dass kein Geld mehr aus der Schweiz fliesst.» Diese Sorge sei aber unberechtigt, sagt Kern. Die Schweiz wird die Summe, welche sie aufgrund des Drittland-Status nicht nach Brüssel einzahlen muss, selbst verwalten. Forscher könnten dadurch an allen Projekten teilnehmen und die Gelder beim SBFI sprechen lassen. Was den Forschern aus anderen Ländern genügend Sicherheit geben sollte, die Schweizer Forscher wie bis anhin partizipieren zu lassen. Allerdings könnte es sein, dass nun weniger Schweizer Wissenschafter als bisher Gelder beantragen. Einerseits weil sie nichts vom SBIF-Programm wissen, andererseits weil sie trotzdem unsicher sind, ob ihr Projekt auch finanziert wird.

Abkommen schafft Sicherheit

Da hilft es, dass Bundesrat Johann Schneider-Ammann am Wochenende in Brüssel ein Abkommen unterzeichnet hat, das die Teilnahme der Schweiz an Horizon2020 bis 2016 regelt. Wie das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) mitteilt, können damit Forschende aus der Schweiz für ausgewählte Teile der Programme vollumfänglich Fördergelder aus der EU erhalten. Dabei geht es um die rund 25 Milliarden schwere Säule «Excellent Sciences» von Horizon2020. Sie umfasst unter anderem die für die Schweiz wichtigen Stipendien des europäischen Forschungsrates sowie die Marie-Curie-Massnahmen zur Förderung der Laufbahnentwicklung und Mobilität der Forschenden. Auch das von der ETH Lausanne koordinierte «Human Brain Project» ist Teil davon.
Bei fast allen übrigen Programmteilen von Horizon 2020 verbleibt die Schweiz jedoch im Status eines Drittstaates, den man seit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative innehat. Zwar können sich Forschende aus der Schweiz europäischen Verbundprojekten anschliessen, sie erhalten jedoch für ihren Projektteil keine Finanzierungsbeiträge von der EU. Die Finanzierung des Schweizer Projektteils erfolgt direkt durch den Bund. Detaillierte Informationen dazu finden sich auf der Webseite des SBFI.

Human Brain Project gesichert

Kann bis zum 9. Februar 2017 eine Lösung im Bereich der Personenfreizügigkeit und deren Ausdehnung auf Kroatien gefunden werden, wird das von Schneider-Ammann unterschriebene Abkommen ab dem 1. Januar 2017 automatisch auf sämtliche Programmteile von Horizon 2020 ausgedehnt. Andernfalls wird das Abkommen hinfällig und die Schweiz kann ab dem 1. Januar 2017 in sämtlichen Bereichen nur noch als Drittstaat an Horizon 2020 teilnehmen. Immerhin: egal wie die Personenfreizügigkeitsfrage ausgeht, das Human Brain Project scheint gesichert. Bei einem Rückfall der Schweiz in den Status eines Drittstaates wird gemäss heutigem Kenntnisstand die ETH Lausanne das Projekt weiterführen können. Für viele andere Projekte und Forscher aber wäre es dramatisch. Nicht nur würde der Überschuss aus den Programm-Geldern fehlen. Ausschluss aus forschungspolitischen Gremien, keine Aussicht auf die begehrten Stipendien des Europäischen Forschungsrates, fehlende Netzwerke in Europa und ein hoher Koordinationsaufwand währen weitere Folgen. Womit sich dann die Frage stellt, wie lange der Bund gewillt bleibt, im selben Umfang weiterzufördern.



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